Essen. Die Ex-Nationalspielerin Kim Kulig ist eine von nur zwei Frauen im neuen DFB-Fußballlehrer-Lehrgang. Ein Gespräch über Frauen im Männerfußball.
Kim Kulig gehört zu den 24 Teilnehmern am 67. Fußballlehrer-Lehrgang beim Deutschen Fußball-Bund, der Anfang Juni begonnen hat. Wegen der Corona-Krise wird verstärkt der digitale Campus der DFB-Akademie genutzt. Die Fußball-Lehrer-Ausbildung ist nach einer Reform ortsunabhängiger, praxisbezogener, individueller ausgerichtet. Die 33-malige Nationalspielerin, die vor fünf Jahren nach mehreren Knieoperationen ihre Karriere beenden musste, sieht ihre Zukunft im Trainerberuf. Die 30-Jährige hat zusammen mit Kerstin Garefrekes die zweite Mannschaft beim 1. FFC Frankfurt trainiert, die nächste Saison unter dem Dach von Eintracht Frankfurt in der 2. Bundesliga antritt. Ein Gespräch über prominente Klassenkameraden, Frauen im Männerfußball und ihre Perspektiven.
In einer Lehrgruppe mit Weltmeister Miroslav Klose
Frau Kulig, Sie gehören zum 67. Fußballlehrer-Lehrgang, der durch die Corona-Krise unter neuen Maßgaben abläuft. Wie läuft es mit so bekannten Teilnehmern wie Miroslav Klose?
Kim Kulig: Wir haben Anfang Juni mit Präsenzunterricht in Hennef angefangen, wobei verschiedene Gruppen gebildet werden. Gleich in der ersten Woche war ich drei Tage vor Ort, wobei zu meiner Gruppe Hanno Balitsch und Miro Klose gehörten, dem ich schon bei der Eignungsprüfung begegnet war. Auch „Zecke“ Neuendorf - ein lustiger Typ - durfte ich neben vielen anderen tollen Persönlichkeiten kennenlernen! Es ist ein super Lehrgang für mich und gleichzeitig der anspruchsvollste Schritt meiner Trainerausbildung. Ich kann richtig viel mitnehmen und lernen.
Auch interessant
Sie waren mal gar nicht sicher, ob Sie in diesen illustren Kreis eintreten dürfen, oder?
Kim Kulig: Ich habe 2016 meine Elite-Jugend-Lizenz gemacht, ein Jahr später dann die A-Lizenz, mit der ich seitdem als Trainerin beim 1. FFC Frankfurt II tätig bin. Aber für mich war immer klar, dass ich die beste Ausbildung möchte. Mir geht es gar nicht so sehr darum, welche Mannschaften ich damit trainieren kann, sondern ich möchte meine Schwächen beheben und meine Stärken ausbauen. Es war für mich eine Punktlandung: einmal zur Eignungsprüfung, sofort zugelassen.
Sie trainieren seit zweieinhalb Jahren in der 2. Frauen-Bundesliga junge Fußballerinnen, die den Spagat zwischen Schule, Ausbildung und Fußball bewältigen müssen und vom Sprung in die Frauen-Bundesliga träumen. Was ist bislang ihre wichtigste Erfahrung?
Kim Kulig: Dass sich eine Spielerin und eine Trainerin in komplett anderen Welten bewegen. Es ist enorm viel Arbeit, wenn man jede Spielerin besser machen, sein Trainerteam zusammenhalten möchte: Dafür muss man sehr viel kommunizieren und immer das große Ganze im Blick haben. Und wenn sich die Mädels in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln sollen, dann darf ich ihnen nicht alles vorgeben, sondern muss sie eher „kitzeln“, dass sie selbst nach Lösungen suchen. Wir haben ja generell im deutschen Fußball festgestellt, dass wir bei der Individualität noch besser werden können.
Sie haben in der Frauen-Nationalmannschaft unter Silvia Neid gespielt, im Ausland wird Jürgen Klopp bewundert, Bundestrainer Joachim Löw genießt ebenfalls Hochachtung. An wem orientieren Sie sich?
Kim Kulig: Ich bin zu aller erst Kim Kulig. Natürlich gibt es viele tolle Trainer, die einen inspirieren, aber ein konkretes Vorbild kann ich nicht nennen. Definitiv kann ich am meisten aus der Zeit mitnehmen, in der sich selbst Spielerin war, weil man in dieser Zeit viele Einblicke hatte. Ich bin ein Mensch mit ganz viel Leidenschaft, Mut und Ehrgeiz. Für mich wird der Austausch mit erfahrenen Trainern aus den verschiedenen Bereichen bei dem Lehrgang enorm wichtig. In Sachen Teamführung und Menschenführung kann ich mir noch einiges aneignen. Um sich weiterzuentwickeln, muss man viel beobachten, besprechen, anwenden und hinterfragen.
Sind Sie laut als Trainerin?
Kim Kulig: Ich kann auch laut sein als Trainerin (lacht)! Wenn mir etwas nicht gefällt, spreche ich das auf meine Art und Weise klar an.
Es bereitet auch dem DFB große Sorge, dass sich so wenige ehemalige Spielerinnen in den Beruf als Trainerin wagen. In dem aktuellen Lehrgang ist mit Sabrina Eckhoff vom Württembergischen Fußballverband nur noch eine zweite Frau unter 24 Teilnehmern. Und ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn selbst bei den zwölf Frauen-Bundesligisten nirgendwo eine Frau in der Chefrolle arbeitet?
Kim Kulig: Ist das wirklich ein Armutszeugnis? Es scheint momentan einfach noch zu wenige Trainerinnen zu geben.
Gibt es eine Erklärung dafür?
Kim Kulig: Aus meiner Generationen haben Lira Alushi oder Celia Sasic bisher andere Schwerpunkte gesetzt, einige spielen noch, ohne meine Verletzung wäre ich wohl auch noch aktiv. Ich bin mir sicher, dass sich zukünftig mehr ehemalige Spielerinnen für den Trainerjob interessieren. Imke Wübbenhorst, mit der ich beim HSV noch zusammengespielt hatte, hat ihren Fußball-Lehrer gemacht und ihren zweiten Posten im Männerbereich übernommen. Sie ist eine Persönlichkeit, trägt das Herz auf der Zunge und ist sehr clever.
Könnten Sie sich analog vorstellen, auch ein Männerteam zu übernehmen?
Kim Kulig: Ich kann mir viel vorstellen, aber dort, wo ich jetzt gerade bin – im Nachwuchsbereich im Frauenfußball – macht es mir enorm viel Spaß. Mit dieser Aufgabe bin ich sehr happy, und daher schaue ich gar nicht so weit in die Zukunft.
Mit der Fusion des 1. FFC Frankfurt unter dem Dach von Eintracht Frankfurt stehen einschneidende Veränderungen an. Wie wird ihre Rolle in diesem Konstrukt? Bleiben Sie zusammen mit Kerstin Garefrekes Trainerin der zweiten Mannschaft?
Auch interessant
Kim Kulig: Wir sind aktuell in sehr guten Gesprächen. Mein Wunsch ist es, diese Arbeit – auch mit Kerstin – fortzuführen. Ich habe selbst noch das Dress des 1. FFC Frankfurt getragen; vielleicht wird das neues Trikot mit dem Adler auf der Brust sich im ersten Moment ungewohnt anfühlen, aber ich freue mich sehr darauf. Für die Stadt Frankfurt ermöglicht die Fusion den nächsten Schritt im Frauenfußball.
Ohne dem aktuellen Coach Niko Arnautis zu nahe zu treten: Ist es für Sie denkbar, selbst Trainerin des Frauen-Bundesligisten Eintracht Frankfurt als Trainerin zu übernehmen?
Kim Kulig: Das ist kein spezielles Ziel. Mir sagt es aktuell zu, Nachwuchsspielerinnen zu begleiten, sie zu entwickeln. Ich kann mir noch vieles vorstellen – die Frauen-Bundesliga eingeschlossen –, aber aktuell habe ich eine andere Aufgabe, die ich sehr gerne mache.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat mit Talenten wie Lena Oberdorf, Klara Bühl, Lea Schüller oder Giulia Gwinn ein Nationalteam mit viel Perspektive, trotzdem ist der DFB sorgenvoll, weil die Zahl der Spielerinnen im Nachwuchsbereich teils dramatisch zurückgeht. Wo sehen Sie Defizite?
Kim Kulig: Ich glaube, wir müssen an der Persönlichkeit und Individualität, an der Technik und Fußballfitness arbeiten. Natürlich müssen wir zudem auf die Strukturen schauen, die es beispielsweise England ermöglicht haben, sich schnell weiterzuentwickeln. Es ist wichtig, dass genug Mädels Fußball spielen. Was man sieht oder mitbekommt – beispielsweise bei einer EM oder WM – bleibt in den Köpfen hängen, weshalb Frauen-Länderspiele oder Bundesligaspiele medial präsent sein müssen. Ich habe in diesem Jahr bei Vereinen und Verbänden eine Aufbruchsstimmung gespürt. Zudem ist es eine tolle Leistung, dass es in Deutschland gelungen ist, als erste Frauen-Liga in Europa den Spielbetrieb nach der Corona-Zwangspause wieder aufzunehmen und zu Ende gespielt zu haben, das ist weltweit als Signal registriert worden.