Dortmund. Das Trikot, das Helmut Rahn beim WM-Triumph trug, kann nun in Dortmund besichtigt werden. Enkel des WM-Helden hatte es in seinem Besitz.

Kinder können eine große Wirkung auf Erwachsene erzielen, wenn es gilt, Kompliziertes zu erklären. Für sie wird es vereinfacht, oder: auf den absoluten Kern der Sache reduziert. So strich auch Museumsdirektor Manuel Neukirchner am Donnerstag alle Wörter, die er eben noch von sich gegeben hatte, und brachte es auf diese zwei Sätze: „Das Spiel war das erste Mal, dass sich Deutschland wieder als eine Nation gefühlt hat. Das Trikot von dem Spieler, der all das möglich gemacht hat, ist ein Schatz.“

Viel mehr als ein Trikot

Was sahen die Kinderaugen im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund? Ein weißes Trikot ohne viel Schnickschnack. Aus der Nummer 12 lugt ein Faden hervor, einige Maschen haben sich aus dem dichten Baumwollstoff gelöst. Am Rücken ist es unten bräunlich verfärbt. Der Matsch des Berner Wankdorf-Stadions, und Neukirchner sagt für Fußballfans selbsterklärend: „Fritz-Walter-Wetter“. Auf der Brust neben dem Adler ist ein Abdruck, vielleicht von einem Ball. Hätte es Helmut Rahn nicht bei der WM 1954 in der Schweiz getragen, wäre es ein wunderschönes, in heutigen Zeiten eher zierliches Männer-Trikot.

Doch so ist es viel mehr. Und so viel größer.

„Man sagt, es gibt drei Gründerväter der Bundesrepublik“, erzählt Neukirchner. „Adenauer für das Politische, Erhard für das Wirtschaftliche und Rahn für das Mentale.“ Das Wunder von Bern – oft erzählt, aber nie alt geworden. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges trat Deutschland neun Jahre später zur WM an. Die Auswahl von Bundestrainer Sepp Herberger galt als Außenseiter, der Finalgegner Ungarn als übermächtig. Am Ende siegte Deutschland, dank einer Vorlage und zwei Treffern von Helmut Rahn, dem Boss, 3:2. „Das war ein Schlüsselimpuls der jungen Bundesrepublik“, sagt Neukirchner. Man durfte sich besser fühlen.

Lange war nicht bekannt, dass es das Rahn-Trikot noch gibt. Das Fußballmuseum hat den linken Schuh ausgestellt, mit dem der 2003 verstorbene Essener das 3:2 im Finale geschossen hatte. Zur 54er-Sammlung zählten bisher die Trikots des letzten noch lebenden WM-Helden, Horst Eckel, und des 1993 verstorbenen Karl „Charly“ Mai. Doch das Trikot von dem Mann, der „all das möglich gemacht hat“, nicht. „Ich war überrascht, als sich der Enkel von Helmut Rahn bei mir meldete und sagte, er wolle das Trikot der Öffentlichkeit zugänglich machen“, sagt Neukirchner. „Wir haben es auf Echtheit geprüft und mit Bildern verglichen. Das ist es wirklich.“

Oliver Klaus Rahn, Sohn von Klaus Peter Rahn, konnte gar nicht bewusst gewesen sein, welche Bedeutung dieses Trikot hat, als es in seinen Besitz übergegangen war. Anfang der 90er habe ihm Opa Helmut gesagt, er dürfe sich ein Trikot aussuchen. Der Enkel, damals fünf oder sechs Jahre alt, griff zum weißen. Gespielt habe er damit nicht, sagt Neukirchner. „Es wurde offensichtlich nicht oft gewaschen.“ Aber im Schrebergarten angezogen, wenn er den Opa besuchte.

Familie bleibt im Hintergrund

Wer heute an das Tor denkt, denkt auch an Herbert Zimmermann. „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen“, kommentierte der Radioreporter 1954. In der Rückschau ist dieser Satz besonders treffend. Rahn, der Boss auf dem Platz, der mit Rot-Weiss Essen Deutscher Meister und später mit dem Meidericher SV Vizemeister der Bundesliga wurde, hielt sich gern im Hintergrund auf. Kein Mann der großen Worte, aber der großen Taten. Die Familie trägt diese Einstellung bis heute fort: Wie schon bei der Übergabe des Final-Schuhs wollte sie nicht im Licht der Öffentlichkeit sein. Das Trikot soll für sich stehen.

Ob Helmut Rahn die Ausstellung seines Trikots gefallen hätte? „Ich glaube schon“, sagt Neukirchner. „Er hat das Trikot genauso wie den Schuh aufgehoben.“ Für die Nachwelt, damit auch Kinder verstehen, wie groß das damals war.