Essen. Vor 55 Jahren wurde der größte englische Dribbler von Königin Elizabeth zum Ritter geschlagen. Seine Tricks waren einzigartig.

Not macht erfinderisch. Und so stellte der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Stanley Matthews zu Beginn der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als kleiner Junge in der Küche zwei Stühle auf. Einen kleinen Gummiball schlenzte der Knirps um die Stühle. Stundenlang. Oder er dribbelte mit einer aufgeblähten Schweineblase auf den Straßen der englischen Stadt Hanley unter Gaslaternen. Die Übungen in einer Zeit viele Jahrzehnte vor den Nachwuchsakademien zahlten sich aus.

Stanley Matthews, der Zauberer des Dribblings

Der Straßenfußballer wurde einer der größten Könner seines Fachs. Seine einzigartige Dribbeltechnik brachte ihm den Spitznamen „Wizard of Dribble“ (Zauberer des Dribblings) ein. Aber nicht nur das: Stanley Matthews wurde vor 55 Jahren als erster Fußballer in den Adelsstand erhoben. Nachdem ihn Königin Elizabeth II. in einer feierlichen Zeremonie zum Ritter geschlagen hatte, sagte ihr Ehemann Prinz Philipp zum ersten Sir des Fußballs: „Stan, Sie sind eine Legende!“

Seine Karriere war grandios: 54 Mal spielte er für England. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. 33 Jahre dauerte seine Laufbahn: 19 Jahre mit Stoke City, 14 mit dem FC Blackpool. Obwohl ihn der Krieg um seine besten sportlichen Jahre brachte, stehen 886 Ligaspiele auf seinem Konto. 1965 lief er mit 50 Jahren ein letztes Mal im bezahlten Fußball auf. Und das in der Ersten Liga. Ein letztes Mal bezauberte der „Hexenmeister“ die Zuschauer mit Tricks.

iJean Cough, Stanley Matthews Tochter, zeigt mit ihrem Mann Bob einen Orden ihres Vaters.
iJean Cough, Stanley Matthews Tochter, zeigt mit ihrem Mann Bob einen Orden ihres Vaters. © Getty

Stan Matthews beherrschte alle Finten. Selbst die ausgebufftesten Verteidiger der Insel konnten ihm nicht das Wasser reichen, winkten oft nach einer seiner berühmten Körpertäuschungen verzweifelt ab. Sir Stan war der König der Außenbahn. „Wenn ich den Ball habe, dann mache ich das Spiel. Ich weiß, was ich tun werde, meine Gegner müssen raten“, verriet er einmal. Links antäuschen, rechts vorbeigehen – mit seinem berühmtesten Trick spielte er den gegnerischen Verteidigern Knoten in die Beine. Im Ruhrgebiet kam einige Jahre später ein Rechtsaußen dem Sir mit seinen Tricks sehr nah. Kein Wunder, dass der Schalker Reinhard Libuda seitdem „Stan“ genannt wurde.

Mit 50 noch im Profifußball

Wie beliebt Matthews bei den englischen Fans lange nach dem Ende seiner Karriere war, zeigen zwei Umfrageergebnisse aus den Neunziger Jahren. 1996 wurde er hinter George Best zum zweitbeliebtesten britischen Fußballer aller Zeiten gewählt, 1999 landete er bei der Ermittlung der Sportpersönlichkeit des Jahrhunderts in Großbritannien hinter Bobby Moore und George Best auf Rang drei.

Stanley Matthews, wie ihn die Fußball-Fans liebten: Trickreich am Ball wie kaum ein anderer.
Stanley Matthews, wie ihn die Fußball-Fans liebten: Trickreich am Ball wie kaum ein anderer. © Getty Images

Stan Matthews war ganz anders als George Best, der keine 40 Jahre alt wurde und vor seinem Tod zugab: „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.“ Matthews war dagegen ein Asket. Kein Alkohol. Kein Nikotin. Einem strengen Ernährungsplan folgend. Das war sein Motto. Vorgelebt hatte ihm diese Lebensweise sein Vater Jack, der sich neben seinem Beruf als Friseur auch als guter Boxer im Federgewicht einen Namen machte. Stans Tochter Jean erzählte einmal im Fußballmagazin 11 Freunde: „Weit vor dem offiziellen Training, ging er laufen und unterwarf sich einer strengen Diät. Wahrscheinlich stand er, was seine Lebensgewohnheiten anbelangt, den Profis von heute in nichts nach.“

1953: Das „Matthews-Finale“

Stan Matthews hat viele große Spiele gemacht. Zwar ist er nie englischer Meister geworden, doch mit dem größten Spiel seines Lebens erfüllte er sich wenigstens den Traum vom Gewinn des englischen FA-Cups. Nach zwei vergeblichen Anläufen 1948 und 1951 wollte Matthews es 1953 mit dem FC Blackpool endlich wissen. 20 Minuten vor dem Schlusspfiff lag er mit seinem Team gegen die Bolton Wanderers erneut zurück. 1:3.

Jimmy Armfield, damals Mitspieler bei Blackpool, erinnerte sich: „Ich schaute zu ihm rüber und es war wie immer: Er war nicht ein bisschen außer Atem. Er war auf einmal unaufhaltsam. Bei einer Spielunterbrechung kam er zu mir und flüsterte mir ins Ohr: ,Jetzt hab ich sie. Sie versuchen mich zu foulen, mich umzutreten, sie sind verzweifelt, aber ich bin schneller.’“

1956: Europas Fußballer des Jahres

Seine genialen Flanken und Zuspiele brachten die Wende, Blackpool drehte das Spiel. Der 4:3-Siegtreffer gegen die Bolton Wanderers fiel in der 90. Minute - nach einer Vorlage von Matthews. „Das Matthews-Finale“ war geboren, die Zeitungen überschlugen sich mit Lob für den damals schon 38-Jährigen. Der begeisterte Premierminister Winston Churchill sagte bei der Medaillenübergabe: „Ich umarme zum ersten Mal einen Zauberer.“

Matthews war nicht nur zweimal Englands Fußballer des Jahres, sondern erhielt auch 1956 als erster den „Ballon d’Or“, die Auszeichnung für Europas Fußballer des Jahres. Ab Mitte der sechziger Jahre betätigte sich Matthews als Jugendtrainer unter anderem in Australien, Kanada und jahrelang in Afrika. Zu Sir Stanleys Ehren wurde in seiner Geburtsstadt Hanley eine lebensgroße Bronzestatue errichtet.

Karriereende war „zu früh“

Für mehr als 50 Jahre blieb Stan Matthews der älteste aktive Fußballprofi der Geschichte, erst Anfang März 2017 wurde er vom Japaner Kazuyoshi Miura überholt. Als wenn er schon damals geahnt hätte, dass er seinen Rekord als ältester Erstligaspieler doch einmal abgeben müsste, hatte Stan Matthews nach seinem letzten Profispiel gesagt: „Ich bedauere, dass ich mich vom großen Fußball zu früh verabschiedet habe. Ich bin mit 50 gegangen. Ich hätte noch länger auf diesem Niveau spielen können, vielleicht bis 52.“