Essen. Alle reden vom Coronavirus und der ungewissen Zukunft. Der FC Bayern beschäftigt sich mit sich selbst. Dafür gebührt ihm Dank. Eine Kolumne.

Sonntag: „Stockender Vertragspoker. Neuer klagt an.“ Montag: „Matthäus zu Neuers Vertragsärger: In zehn Minuten aus der Welt schaffen.“ Dienstag: „Ullreichs Berater über Konkurrenz: FC Bayern ist Leistungsgesellschaft“ Mittwoch: „Müller hofft beim FC Bayern auf Neuers Vertragsverlängerung.“ Donnerstag: „Flick: Neuer ist eindeutig unsere Nummer 1.“ Das sind die Schlagzeilen dieser Woche zum FC Bayern München, nur aus dieser Woche, wohlgemerkt. Die Liste ist längst nicht vollständig. Am Ende wurde es selbst dem Kummer gewöhnten Karl-Heinz Rummenigge zu viel. Er versuchte in der Debatte um Torwart Manuel Neuer ein Machtwort zu sprechen. Das müsste er eigentlich besser wissen.

Im Normalfall geht jedenfalls selbst dem hartgesottensten Fußballfan der Strom von „Neuigkeiten“ aus München auf die Nerven, weil dieses „Es ist zwar alles gesagt, nur noch nicht von jedem“ für eine latente Reizüberflutung sorgt. Wer an den FC Bayern München denkt, an dessen inneren Auge ziehen jedenfalls in rascher Folge die Gesichter von Uli Hoeneß, Udo Lattek, Mario Basler, Giovanni Trapattoni, Stefan Effenberg oder Jürgen Klinsmann und die dazugehörigen Skandälchen, Aussetzer und Intrigen vorbei. Die „Hall of Shame“ beim FC Bayern hat mindestens Bierzeltformat.

Weil sich in München jeder, wirklich jeder zu Interna äußert, gleicht der Informationsfluss beim Klub, der zurecht den Spitznamen „FC Hollywood“ trägt, in normalen Zeiten einem steten Wasserstrahl, der auf einen randvollen Eimer trifft. Viel Geplätscher, kaum Gehalt, kein Gewinn. Es sind aber keine normalen Zeiten.

Autor Jan Kanter.
Autor Jan Kanter. © FFS

Debatten um Verpflichtung von Schalke-Torwart Nübel

Das Nachrichtenrinnsal aus dem Süden der Republik trifft, um im Bild zu bleiben, in diesen Tagen auf einen sehr trockenen Schwamm. Selten hat sich der sportbegeisterte Mensch jedenfalls so sehr über eine Personaldebatte gefreut. Dass die Verpflichtung des Schalker Torwarts Alexander Nübel und dessen künftige Rolle im Klub des Nationalmannschaftskapitäns Manuel Neuer intensiv diskutiert wird, lenkt vom tristen Alltag ab. Anders gesagt: Alle reden vom Coronavirus und der ungewissen Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs. Nur der FC Hollywood beschäftigt sich mit sich selbst und – im weitesten Sinne – mit Fußball. Selten fühlte man sich dem FC Bayern München so sehr zu Dank verpflichtet.

Bleibt die Frage: Was war eigentlich am Freitag? Keine Schlagzeile vom FC Bayern? Selbstverständlich: „Marina Hegering wechselt zum FC Bayern München.“ Das ist fast schon erfrischend langweilig normal. Außerdem: „Der FC Bayern unterstützt mit Gesichtsmasken „#wekickcorona.“ Vorbildlich, natürlich. Aber auch schade. Selbst der FC Hollywood kann sich der harten Realität nicht völlig entziehen.