Helsinki/Gelsenkirchen. Hochtalentiert, aber schüchtern – bei Schalke 04 kam Teemu Pukki ab 2011 nie zurecht. Mit der EM-Quali versetzt der Stürmer Finnland in Ekstase.

Manchmal muss man im Leben einen Schritt zurückmachen, um noch entscheidend voranzukommen. Teemu Pukki weiß das. Wobei der finnische Fußballprofi extreme Erfahrungen mit solchen Entwicklungen gemacht hat. Denn der 29-Jährige ist bereits häufiger eher zwei Schrittlängen zurückgegangen, ehe ihm nun der ganz große Satz in seiner Karriere gelingen konnte.

Die Historie des Weltfußballs ist voll von großen Namen. Und wahrscheinlich werden Ralf Rangnick sowie Horst Heldt als damals sportlich Verantwortliche des

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FC Schalke 04 gehofft haben, dass auch der Name Pukki eines Tages in einem Atemzug mit den besten Angreifern der Geschichte genannt wird, als sie ihn 2011 hastig aus Helsinki nach Gelsenkirchen holten. Jung war er, schnell auch, torgefährlich und entwicklungsfähig.

Rangnick und Heldt setzten große Hoffnungen in Pukki

Nun, aufgrund seiner beiden Saisons beim Bundesligisten hat es für Pukki nicht zu besonderem Ruhm gereicht: Bewerbungen, in denen acht Treffer in 47 Pflichtspielen für Schalke zu Buche stehen, lassen Klubmanager der Topligen schon mal gerne von ihren Schreibtischen rutschen. Doch auch der frühere S04-Trainer Rangnick und der Ex-Sportvorstand Heldt werden sich heute noch fragen: Ist dieser Pukki, der jetzt Finnland zur EM 2020 und damit zur ersten Teilnahme an einem großen Turnier geschossen hat, wirklich derselbe von damals?

Der früherer Schalker Teemu Pukki (r) war in Finnland der gefeierte Mann.
Der früherer Schalker Teemu Pukki (r) war in Finnland der gefeierte Mann. © dpa

Aufs rein Äußerliche bezogen, ließe sich diese Frage erst einmal klar verneinen. 2011 war die musikalische Zeit der Boybands schon weitestgehend beendet, mit seiner blonden Mähne hätte Pukki aber damals jede kreischende Teenager-Meute bei Konzerten durchdrehen lassen.

Vom Mädchenschwarm zum Typen Holzfäller

Acht Jahre später sind Leistungsexplosionen auf dem Fußballplatz gekommen, aber die Haare gewichen. Geheimratsecken haben sich auf der Stirn ihren Platz gesucht, die einst wallenden Locken sind nun raspelkurz zurechtgestutzt. Aus dem Mädchenschwarm von einst ist ein Typ Marke Holzfäller aus den finnischen Wäldern geworden. Und nicht nur optisch hat sich Pukki verändert.

Der Wechsel für die Ablöse in Höhe von 1,5 Millionen Euro von HJK Helsinki zu Schalke 04 war bereits der zweite Fehltritt in der noch jungen Laufbahn des Teemu Pukki. Ausgezeichnet als Finnlands Nachwuchsspieler des Jahres, ging er 2008 zum FC Sevilla. Dass es in Spanien „zu heiß war im Vergleich zu dem Klima, an das ich in Finnland gewöhnt war“, hat nicht alleine den Gedanken befeuert, nur zwei Jahre später in die Heimat zurückzukehren.

Pukki ist kein Mann überzogener Ansprüche

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Pukki ist ein leiser Mensch, manchmal wirkt er sogar ein wenig tüdelig, wenn man Geschichten Glauben schenkt, dass er für Freunde Flüge bestellt hat, sich aber um eine ganze Woche beim Abflugdatum vertan hat. Für die Startaufstellungen überzogene Ansprüche zu stellen, liegt ihm ebenfalls fern.

Doch ohne Ellbogen ist es schwer, bei den besten Klubs einen festen Platz zu finden. Das war auch in Gelsenkirchen der Fall, als er vor acht Jahren S04 den Einzug in die Europa League erschwerte, alle drei Tore in den beiden Play-off-Spielen (2:0, 1:6) für HJK erzielte. „Zwei Tage später riefen sie mich an und sagten: Komm zu uns“, sagte Pukki mal der englischen Zeitung Daily Mail. Doch aus dem Durchbruch wurde nichts unter den Trainern Ralf Rangnick, Huub Stevens und Jens Keller. Pukki: „Vielleicht war der Schritt, aus Finnland zu einem der Top-Teams in Deutschland zu wechseln, zu groß für mich.“

Seit 2018 vIel Mehr Tore als Burgstaller und Uth zusammen

Symbolbild zu Zeiten von Schalke 04: Teemu Pukki ist sportlich nicht glücklich.
Symbolbild zu Zeiten von Schalke 04: Teemu Pukki ist sportlich nicht glücklich. © Peter Steffen

Der Weiterverkauf zu Celtic Glasgow brachte dem Bundesligisten immerhin noch eine Million Euro Gewinn. Doch seit der Kopenhagener Zeit bei Bröndby IF (72 Tore in 169 Spielen von 2014 bis 2018) und der Saison 2018/2019, als er das von Daniel Farke trainierte Norwich City mit 29 Toren zum Aufstieg in die englische Premier League schoss, stellt sich die Frage: Hat Pukki Schalke nicht geschafft, oder hat Schalke Pukki geschafft? Acht Tore weiland bei den Königsblauen waren immerhin drei mehr, als Chinedu Obasi in drei Jahren erzielt hat, und nur vier weniger als die Ausbeute von Franco di Santo oder Breel Embolo in vergleichbaren Zeiträumen wie Obasi. Seit Beginn der Saison 2018/2019 hat Pukki für die gelb-grünen Canaries sogar 25 Tore mehr erzielt als die Schalker Guido Burgstaller (7) und Mark Uth (4) aufaddiert.

Nun versetzt Pukki sogar seine Heimat in Aufruhr, in der Regel interessieren sich die Finnen eher für das Eishockey in der ersten Liga, in der zweiten Liga und in der dritten Liga als für Fußball. „Jetzt sind wir ein EM-Team – das fühlt sich völlig unwirklich an“, sagte der Stürmer emotional überwältigt nach dem entscheidenden 3:0-Sieg über Liechtenstein, zu dem er zwei Tore (neun insgesamt in der Qualifikation) beigetragen hatte. Seit 1938 versuchte die finnische Nationalmannschaft bisher vergebens, sich für eine EM oder WM zu qualifizieren – selbst als die Stars Jari Litmanen oder Sami Hyypiä hießen. Nun aber hat es geklappt. Vor allem dank Pukki.

Finnlands Kirche verfasst ein modernes Stoßgebet

Deshalb fühlte sich sogar die evangelisch-lutherische Kirche Finnlands vor dem letzten Spiel am Montag in Griechenland zu der religiös-modernen Version eines Stoßgebets hingerissen und twitterte: „Wunder geschehen, weil Gott existiert. Und Teemu Pukki.“

Spätestens jetzt muss Teemu Pukki nie mehr fürchten, einen Schritt oder mehrere zurückmachen zu müssen.