Barcelona. Die Südamerikaner stecken vor dem Länderspiel am Mittwoch in Dortmund voll im Umbruch. Aber Trainer Scaloni hat einen Plan für 2020.
Vor einigen Monaten ist José Luis Brown gestorben, einer der argentinischen WM-Helden von 1986. Der Libero – betagteren Fußballfans ist diese heutzutage vergessene Position sicherlich noch ein Begriff – erzielte im Finale gegen Deutschland den Führungstreffer und hielt nach einem Zusammenstoß mit Dieter Hoeneß bis zum Schlusspfiff trotz einer ausgekugelten Schulter durch. In die Nachrufe mischte sich Melancholie: Brown stand für die letzte Generation, die dank ihrer Wettkampfhärte den Druck wegsteckte, der immer auf argentinischen Auswahlen lastet – nicht nur Fußball zu spielen, sondern auch ein dauerkriselndes Land zu erlösen, das schon in so vielen anderen Bereichen hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibt.
Messi fehlt am Mittwoch in Dortmund gesperrt
Seit 1986 gab es besonders gegen Deutschland nur noch Schmerz. Zwei Endspiele (1990, 2014) und zwei Viertelfinals (2006, 2010) gingen verloren. Dass Argentinien dafür von den letzten sechs Testduellen, allesamt auf deutschem Boden, fünf gewann und keines verlor – was nützt es schon? Es akzentuiert ja nur den Befund, wonach es in all den Jahren an vielem mangelte, aber gewiss nicht an guten Fußballern.
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Wenn man sich jetzt in Dortmund die Ehre gibt, hat sich insofern etwas geändert: Argentinien kommt ohne die übliche Heerschar großer Namen. Kapitän Lionel Messi (32 Jahre) ist gesperrt, er hatte dem südamerikanischen Verband nach umstrittenen Schiedsrichterpfiffen im Halbfinale der Kontinentalmeisterschaft gegen Brasilien (0:2) Korruption unterstellt. Und die jeweils ein Jahr jüngeren Angreifer Sergio Agüero (Manchester City) sowie Ángel Di María (Paris St.-Germain) werden seit besagtem Turnier nicht mehr berufen – also mindestens geschont.
Neue Ansprache an die Spieler
Priorität hat bei Trainer Lionel Scaloni eindeutig der Umbruch. Der frühere Verteidiger verkörpert selbst eine neue Generation, gewissermaßen die Post-1986er: Als erster der schier unendlichen Kette argentinischer Nationaltrainer – acht allein in der Ära Joachim Löw – ist er mit seinen 41 Jahren näher an den heutigen Spielern als an den Heroen von einst. Ansprache, Nahbarkeit und moderne Diskussionskultur gelten denn auch als einige seiner Stärken; und damit als Gründe, warum er sich im Amt behaupten konnte, obwohl er als Assistenztrainer der missratenen Weltmeisterschaft 2018 – Achtelfinal-Aus gegen den späteren Titelträger Frankreich – ursprünglich bloß zur Interimslösung befördert worden war. Scaloni überraschte, zuletzt gelang im Test gegen Mexiko durch drei Tore von Angriffshoffnung Lautaro Martínez (22, Inter Mailand) sogar ein 4:0. So klare Siege war man in Argentinien schon gar nicht mehr gewohnt.
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Ein so harmonisches Ambiente auch nicht. „Etwas Schönes, Neues beginnt“, erklärte Messi im Sommer. Seit dem Russland-Desaster scheint Argentinien akzeptiert zu haben, dass es vielleicht erst ein paar Zwischenschritte braucht, bevor man wieder groß träumen kann. Diese Demut befreite nicht nur den Kapitän – sie gibt auch den Talenten die Chance auf eine Entwicklung, wie sie die meisten noch benötigen. Im Kader für Dortmund etwa stehen neben Jungstars wie Lautaro oder Paulo Dybala (Juventus) und vielen eher mittelklassigen Legionären wie Lucas Alario (Leverkusen) auch so überraschende Namen wie der von Leonardo Balerdi, 20, Innenverteidiger ohne Profi-Einsatz bei Borussia Dortmund.
Fokus liegt auf der Copa América 2020
„Es gibt eine gute Basis, die man jetzt in Ruhe wachsen lassen muss“, sagt Messi. Es gibt aber auch ein Problem. Weil der südamerikanische Turnierkalender an den europäischen angepasst wird, kommt schon 2020 die nächste Copa América. Ihre Ausrichtung teilen sich Kolumbien und Argentinien. Heimturnier also, und die Chance, erstmals seit 1993 ein Kontinentalchampionat zu gewinnen – so weit kann Argentinien gar nicht sinken, als dass es da nicht den Titel anstreben müsste. Womit es dann auch schnell wieder den Druck spüren wird.