Hamburg. Von möglicher Abschiebung zum Nationalspieler in vier Wochen: U-21-Trainer Kuntz kämpft um HSV-Profi Bakery Jatta, der eingebürgert werden soll.
Um Punkt 10 Uhr am Mittwochmorgen ging das fröhliche Treiben im Ballsaal des Millerntorstadions los. Speeddating à la DFB. Die Spielregeln: Vier Nationalspieler an vier Stehtischen in jeweils vier Minuten. Die Kandidaten: Juventus Turins Emre Can, Dortmunds Nico Schulz, Kölns Jonas Hector und Bayern Münchens Serge Gnabry. An jedem Tisch ein knappes Dutzend Journalisten. Gefragt werden darf, was gefällt.
Dortmunds Schulz schwärmt vor dem Prestigeduell gegen die Niederlande am Freitag (20.45 Uhr) von seinem ersten Länderspieltreffer gegen Holland, Turins Can ärgert sich über die Nicht-Nominierung für die Champions League (siehe unten), Kölns Hector spricht über den Umbruch der Nationalmannschaft und Münchens Gnabry lobt Qualigegner Holland. Nur über ein Thema sprechen alle vier gleichermaßen: Jatta, Bakery.
Trainer Kuntz will Jatta von der U21 überzeugen
Natürlich hatte sich auch im Lager der Nationalmannschaft, die in dieser Woche im edlen Hotel The Fontenay an der Außenalster logiert, die neusten Irrungen und Wirrungen im Fall des HSV-Profis herumgesprochen. Knapp vier Wochen lang wurde landauf, landab die Identität des Gambiers angezweifelt, ehe das Bezirksamt Hamburg-Mitte am Montag einen vorläufigen Schlusspunkt setzte. Am Dienstag zogen dann Nürnberg, Karlsruhe und Bochum ihre Proteste zurück, bevor am frühen Abend auch der DFB verkündete, dass „die Einspruchsverfahren vor dem DFB-Sportgericht mit Zustimmung des DFB-Kontrollausschusses abgeschlossen“ seien.
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Ende gut, alles gut. Doch es kam noch besser, unglaublicher und verrückter, als es sich ein Hollywood-Drehbuchschreiber hätte ausdenken können. Am frühen Dienstagabend sagte Deutschlands U-21-Trainer Stefan Kuntz in einem Videointerview mit Sport1: „Ich würde gerne versuchen, Bakery bei der Einbürgerung zu helfen, weil ich ihn gerne von der U21 überzeugen möchte.“
Jatta für Deutschland? Eine bessere Pointe hätte es nach all den Berichten, Pfiffen und Beleidigungen in den vergangenen Wochen nicht geben können.
Einige Nationalspieler unterstützen Jatta
Finden auch die A-Nationalspieler Schulz, Can, Hector und Gnabry. „Ich würde mich auf jeden Fall freuen“, sagt Mittelfeldmann Can beim Vierminutentalk zum Abendblatt. „Bakery Jatta spielt jetzt in Deutschland, und wenn er seine Leistung bringt, dann hat er es auch verdient.“ Auch Schulz würde den HSV-Profi im Kreis der DFB-Nationalmannschaft mit offenen Armen empfangen: „Sehr gerne, er soll ihn bitte nominieren. Ich würde mich darüber freuen.“ Und auch Gnabry („Ich freue mich für jeden Spieler, der berufen wird, egal wo er herkommt“) und Hector („Die fußballerische Qualität hat er, sonst würde er nicht als Profi für den HSV spielen“) sind bekennende Mitglieder im #teamjatta.
Doch ist die neuste Jatta-Entwicklung nicht vielleicht zu schön, um tatsächlich wahr zu sein?
Die Antwort überrascht. Nach Abendblatt-Informationen haben sich sowohl U-21-Nationaltrainer Kuntz als auch der HSV und Jattas Berater Efe Aktas bereits vor Wochen informiert, was es braucht, damit Jatta tatsächlich Deutscher wird. Und das Trio ist fündig geworden. Im Ermessenseinbürgerungsgesetz für ausländische Flüchtlinge heißt es in Paragraf 8: „Einbürgerungserleichterungen kommen auch in Betracht, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Einbürgerung besteht.“ Und weiter: „Ein besonderes Interesse bei einer Einbürgerung im Bereich des Sports setzt stets voraus, dass sich die Einbürgerungsbewerberin beziehungsweise der Einbürgerungsbewerber zumindest seit drei Jahren im Inland aufhält (1), konkret in einer deutschen Nationalmannschaft eingesetzt werden soll (2) und sportlich eine längerfristige internationale Perspektive aufweist (3).“
Die Frage: Will Jatta das überhaupt?
Nun aber alles schön der Reihe nach. Punkt 1 ist bereits erfüllt. Jatta kam im Sommer 2015 als Flüchtling aus Gambia durch die Sahara über das Mittelmeer und Italien bis nach Deutschland. Für die Punkte 2 und 3 ist Stefan Kuntz zuständig. Und der U-21-Cheftrainer machte sehr deutlich, dass er es ernst meint. „Auf diesem Weg waren wir schon, und dann kam diese, für meine Begriffe, etwas unsägliche Diskussion“, sagte Kuntz am Dienstag. Tatsächlich hatte sich der 56-Jährige nach Abendblatt-Informationen am 1. August, also sechs Tage vor dem ersten „Sport Bild“-Artikel, der die Jatta-Welle ins Rollen brachte, bei HSV-Sportchef Jonas Boldt und bei Berater Aktas gemeldet. Und auch am späten Dienstag rief Kuntz noch einmal an und versicherte, dass sein Angebot stehe: „Wenn unser neuer Präsident gewählt ist, dann werde ich ihn fragen, ob wir Bakery nicht von uns begeistern wollen.“
Beim DFB-Bundestag am 27. September soll der Freiburger Fritz Keller zum neuen Verbandspräsidenten gewählt werden – und danach könnte tatsächlich alles sehr schnell gehen. Zunächst bräuchte Jatta eine Bestätigung vom DFB, dass der Verband ihn tatsächlich zum Nationalspieler machen will. Mit diesem Dokument könnte der pfeilschnelle Außenstürmer dann seine Blitz-Einbürgerung beantragen.
Bleibt nur die nicht ganz unwichtige Frage: Will Jatta das überhaupt?
Als das Abendblatt den Gambier vor einem Dreivierteljahr fragte, ob er sich eigentlich vorstellen könnte, für sein Heimatland zu spielen, aus dem er einst geflüchtet war, antwortete Jatta: „Es gab schon Anfragen, aber momentan wollte ich diese noch nicht annehmen. Es muss sich alles richtig anfühlen.“
Die Anfrage des DFB schmeichelt Bakery Jatta
Gleiches gilt nun auch für Deutschland. Es muss sich richtig anfühlen. Die Anfrage schmeichelt Jatta. Doch ziemlich falsch fühlte sich an, was in Deutschland im vergangenen Monat passierte. Jatta wurde beschuldigt, angefeindet, ausgepfiffen. Es ist keine vier Wochen her, da titelte die „Bild“-Zeitung nach den ersten Berichten über Jattas angeblich falsche Identität: „Jatta drohen fünf Jahre Haft und die Abschiebung.“
Von der möglichen Abschiebung bis zum möglichen Olympiakandidaten in gerade einmal vier Wochen. Denn tatsächlich dürfte sich Jatta nach einer Einbürgerung ernsthafte Chancen ausrechnen, für die olympischen Spielen in Tokio im kommenden Sommer nominiert zu werden. Das deutsche Team ist bereits qualifiziert – und die Altersgrenze beim olympischen Fußballturnier liegt bei 23 Jahren. Aktuell ist Jatta 21 Jahre alt, zum Start der olympischen Spiele im Sommer 2020 ist er 22 Jahre alt. Und wer das nicht glauben kann: Es ist amtlich.