München. Der skeptisch beäugte Trainer Kovac ahnt, dass sein zweites Bayern-Jahr mindestens so kompliziert werden könnte wie das erste. Er bleibt positiv.
Zusammen mit Zugang Fiete Arp bestieg Niko Kovac am Dienstag das Podium, und gleich seine erste Ausführungen ließen anklingen, wie sehr sein erstes Amtsjahr beim FC Bayern an ihm gezehrt hat. „Alles das, was schön ist, ist sehr kurz“, sagte der Trainer über den Sommerurlaub. Kovac weiß, dass er nun wieder massiv unter Druck stehen wird.
Er hoffe, dass man ihm ansehe, den Urlaub genossen zu haben, dass er also erholt wirkt. Und dann sprach Kovac noch einen Satz aus, der ebenfalls indirekt von jenen Beschwernissen erzählte, mit denen er in der Vorsaison zu kämpfen hatte. Er sagte: „Jetzt beginnt das alles wieder von vorne.“
Bayern München muss in der Champions League liefern
Wer wollte, konnte das so verstehen: Das alles, auch der tägliche und interne Druck, lastet nun wieder auf Kovac. Der Trainer machte aber deutlich, seiner loyalen Linie treu bleiben zu wollen. Vielleicht sogar, ohne mehr Menschlichkeit anzumahnen, wie gegen Ende der Vorsaison. Jetzt machte Kovac jedenfalls ausnahmslos gute Miene zum schweren Spiel, von dem manche behaupten, es sei ein böses, da es sich um Mobbing handele. Kovac zeigte sich aber ungerührt von den jüngsten Einlassungen des Vorstandschefs Karl-Heinz Rummenigge, der beim Trainingsauftakt am Montag betont hatte, dass die Ansprüche nicht geringer würden, vor allem international. „Wir möchten das verteidigen“, sagte Kovac also über das zuletzt gewonnene Double aus Meister- und Pokaltitel und fügte ganz auf Linie mit Rummenigge hinzu: „International wollen wir sehr viel besser abschneiden.“ Es gilt also, deutlich über das Achtelfinale der Champions League hinauszukommen. Der von Rummenigge bis zum Ende seiner Amtszeit am 31.12.2021 erhoffte Titelgewinn werde allerdings „von Jahr zu Jahr immer schwieriger“, gab Kovac mit Blick auf die immensen Transfersummen und Gehälter zu bedenken, „inzwischen müssen wir als FC Bayern gegen Staaten ankämpfen.“ Wie Katar, das Vereine wie Manchester City und Paris Saint-Germain finanziert.
Es ist für Kovac eine so bedrohliche wie paradoxe Situation. Die Ansprüche sind höher als in der komplizierten Vorsaison. Zugleich wurde ihm wegen der stockenden Transferbemühungen bisher kein Kader hingestellt, der die größeren Ambitionen nach den Abgängen von Mats Hummels, Arjen Robben, Franck Ribéry, James Rodríguez und Rafinha rechtfertigt. Vor allem nicht in der Champions League, wie Manuel Neuers Berater Thomas Kroth gerade bemerkenswert deutlich befand.
In der Vorsaison waren die Münchner gegen den späteren Titelträger FC Liverpool ausgeschieden, was Rummenigge wiederholt auch den seiner Meinung nach zu defensiven Vorgaben von Kovac anlastete. Ohnehin hat der Klubboss seine Skepsis gegenüber dem 47 Jahre alten Fußballlehrer immer wieder durchblicken gelassen, weshalb Kovac in der Sommerpause gar kurzzeitig über einen Rücktritt nachgedacht haben soll. „Ich finde das immer ganz lustig“, sagte er dazu mit einem gequälten Lächeln über Informationen aus dem sogenannten Umfeld und stellte fest: „Ich bin hier, von daher ist die Frage damit auch beantwortet.“ Laut SZ soll zudem seine Wunschliste für Transfers (Luka Jovic, Ante Rebic) wenig Beachtung gefunden haben. Ähnlich wie im Vorsommer, als er eine Verpflichtung von Hoffenheims Defensivspieler Kevin Vogt angeregt haben soll. Ein Transfer von Manchester Citys Flügelspieler Leroy Sané würde Kovac selbstredend ausdrücklich begrüßen. Ob dieser helfen könne? „Ja. Punkt. Ausrufezeichen“, sagte Kovac. Zur angedachten Alternative Ousmane Dembélé vom FC Barcelona sagte er: „Auch ein sehr guter Spieler. Punkt.“ Ohne Ausrufezeichen.
Niko Kovac sieht Bedarf in der Offensive
Seit Montag leitet Kovac das Training des derzeit kleinsten Bundesligakaders (17 Feldspieler, vier Torhüter), der ihm zudem bisher nicht einmal zur Hälfte zur Verfügung steht, da die Nationalspieler erst am Freitag einsteigen. „Mit 17 Mann wird’s nicht ganz reichen“, befand Kovac. Er hofft auf 19 oder 20 Akteure und sieht vor allem in der Offensive Bedarf. Für Transfers sei Geduld gefragt, sagte er wie Rummenigge tags zuvor. Kovac gab sich zuversichtlich, „dass wir zum Saisonstart eine sehr gute Mannschaft haben werden, die in allen drei Wettbewerben konkurrenzfähig ist“. Hinzudenken ließ sich: Bisher ist sie das nicht. Zumal Corentin Tolisso seit seinem Kreuzbandriss im September nur 25 Minuten Spielpraxis sammelte, im Pokalfinale gegen RB Leipzig. Der gefühlte Zugang muss sich ähnlich wie die Neuerwerbungen Lucas Hernández, Benjamin Pavard und Arp erst integrieren.
Neben der nötigen Eingewöhnung kommt bei Hernández hinzu, dass er nach seiner Knie-OP mehr hofft als sicher sein kann, zum Ligaauftakt gegen Hertha BSC am 16. August im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein. Am Dienstag drehte der französische Weltmeister seine ersten Laufrunden. Und dann sind da ja noch die „erschwerten Bedingungen“ (Kovac) durch die neuntägige US-Werbetour, die am Montag beginnt und bei der viele A-Jugendliche in den drei Tests gegen Arsenal, Real Madrid und AC Mailand eingesetzt werden sollen, damit die Profis mehr trainieren können. Es geht schon wieder ziemlich knifflig los. Und der intern auch skeptisch beäugte Kovac scheint zu ahnen, dass sein zweites Bayern-Jahr mindestens so kompliziert werden könnte wie das erste. Trotz aller Loyalität.