Essen. Der aus der Bundesliga bekannte Andreas Herzog feiert als Nationaltrainer in Israel Erfolge. Er kümmert sich nicht um Religion und Politik.

„Bunt durchgemischt“ sei die Startelf gewesen, der er das Vertrauen geschenkt habe. So beschreibt er die Besonderheit, die in jener Region ein Aufsehen erregendes Politikum darstellte. Andreas Herzog selbst war sich indes nicht bewusst, für welches beachtenswerte Novum er gesorgt hatte. Der nun als Nationaltrainer Israels tätige ehemalige Bremer und Münchener Bundesliga-Profi hatte nach rein sportlichen Kriterien seine Personalauswahl getroffen, die im Nahen Osten nicht gerade selbstverständlich ist. „Andi“, wie der mit der einst mit dem Beinamen „Herzerl“ liebkoste Österreicher stets gerufen wird, hatte eine Mixtur der im dortigen Kriegsgebiet lebenden Ethnien und Religionen auf den Platz geschickt: Sechs Juden standen neben fünf Arabern in der Startformation.

Herzog: "Wir haben einen fantastischen Teamgeist entwickelt"

„Mir war es gar nicht aufgefallen, es war mir auch nicht bewusst“, meinte Herzog zu seiner Nominierungspraxis, „weil es für mich überhaupt keine Rolle gespielt hat.“ Erst die heimischen Journalisten, die natürlich die Brisanz erkannt hatten, machten den Trainer Herzog nach dem Abpfiff in der Pressekonferenz auf seine Tat aufmerksam, die in Anbetracht des steten Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis schon als historisch bewertet werden darf. Diese Grundproblematik im Nahen Osten, die in diesem Landstrich das Zusammenleben und die Gesellschaft prägt, interessiert Herzog nicht und bestimmt nach eigenen Angaben in keiner Weise seine Arbeit als Fußballtrainer: „Ich achte nicht auf politische Befindlichkeiten und mache mir keine Gedanken darüber, welcher Religion oder Volksgruppe ein Spieler angehört.“ Und so wird er sein Team auch bei den EM-Qualifikationsspielen an diesem Freitag in Lettland und am Pfingstmontag in Polen allein nach sportlichen Gesichtspunkten aufstellen.

Es funktioniere vorzüglich, betont der 50-Jährige, der seit dem vorigen Jahr bei dem zur Uefa gehörenden Verband aus Asien angestellt ist. „Wir haben einen fantastischen Teamgeist entwickelt“, sagt Herzog und nennt damit einen wesentlichen Grund für die Erfolge, die er mit der bei seinem Amtsantritt auf Platz 95 der Fifa-Weltrangliste platzierten Nation bislang verbuchen durfte.

Vorfälle wie aus anderen Sportarten bekannt, als Moslems gegenüber Israelis den Handschlag verweigert haben oder erst gar nicht zum Wettkampf angetreten sind, oder unappetitliche Ereignisse wie wüste antisemitische Beschimpfungen, die der in Ingolstadt engagierte Profi Alhog Cohen erleiden musste, hat Andreas Herzog nicht erlebt. Er berichtet von einer in dieser Hinsicht konflikt- und störungsfreien Alltagsarbeit und untermauert seine Devise: „Wenn so etwas passieren sollte, gehe ich sofort dazwischen. Spieler, die in dieser Beziehung aus der Rolle fallen, sich daneben benehmen und einen Streit anzetteln möchten, haben keinen Platz in der Mannschaft.“

Zusammenspiel zwischen Juden, Moslems und Christen passt

Herzog lebt mit seinem Team das in jenen Breiten so schwer zu bewerkstelligende Miteinander vor. Als Schöpfer eines Modellfalls in der ansonsten gespaltenen Gesellschaft, gar als Vorreiter, Vordenker und Vorbild sieht er sich aber nicht. „Mein Aufgabengebiet ist der Sport, mein Auftrag ist, den Fußball zu entwickeln. Dass das Zusammenspiel im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Juden, Moslems und Christen in der Nationalelf so super gepasst hat, ist ein wunderbarer Nebenaspekt, eine schöne Geschichte fürwahr.“

Der Signalwirkung ist er sich bewusst, wenn er konstatiert: „Dies ist möglicherweise für dieses Land viel wichtiger als unsere zuletzt erzielten sportlichen Erfolge.“

Deutscher Meister mit Werder Bremen 1993: Andreas Herzog.
Deutscher Meister mit Werder Bremen 1993: Andreas Herzog. © imago

Für diesen Höhenflug einer Ländermannschaft, die allenfalls der zweiten Kategorie im internationalen Spitzenfußball zugerechnet werden darf, steht Andreas Herzog erstmals als Fußballlehrer richtig in der ersten Reihe und somit der Verantwortung. Es ist die Chance für den langjährigen Assistenten von Jürgen Klinsmann in US-Diensten, ehedem auch Betreuer der amerikanischen Olympia-Auswahl-Auswahl sowie der Junioren-Elite in seiner Heimat. „Ich bin dankbar für die Möglichkeit, die ich hier bekommen habe“, bekennt der Rekord-Nationalspieler Austrias (103 Länderspiele), der sich in der Bundesliga bei Werder Bremen mehr einen Namen als begnadeter Techniker machte als bei seinem ebenso kurzen wie erfolglosen Gastspiel bei Bayern München. Lange hat er auf diesen Moment gewartet. Ein Job in der Bundesliga, speziell bei seinem Herzensklub in der Hansestadt, hätte ihn gereizt, von der Berufung zum Nationaltrainer hat er geträumt. Oft stand er in der engeren Auswahl, ohne den ersehnten Zuschlag zu bekommen. Zuletzt schenkten die Oberen in Wien dem Deutschen Franko Foda das Vertrauen.

„Immer in der Verlosung“, wie Herzog schimpft, „doch verarschen kann ich mich selber.“ Teamchef in Austria – ein Thema, das für ihn aktuell uninteressant ist. Sein Fokus liegt auf der „allergrößten Herausforderung“ in Israel. „Hier kann und will ich mich als Trainer beweisen“, sagt der Mann, der seinen Erstwohnsitz nach Tel Aviv verlegt hat, hier gut Zweidrittel seiner Arbeitszeit verbringt. In der Freizeit pendelt er nach Wien, zur Familie, zu Ehefrau Kathi und den beiden Kindern. In diesen Tagen müssen seine Lieben auf den Papa verzichten. Seine Mission geht weiter: Qualifikation für die Europameisterschaft. Der Start glückte mit einem Remis gegen Slowenien und einem Sieg, ausgerechnet gegen Österreich, was die Fußballschreiber in der Heimat geradezu närrisch werden ließ. Um die Rache des ungewollten Teamchefs kreisten die fetten Schlagzeilen, triefend voller Schadenfreude. „Aufgebauscht“, sagt der gefeierte Triumphator gegen die Landsleute lediglich. Revanchegelüste seien nicht seine Triebfeder gewesen, behauptet er. Natürlich sei der 4:2-Sieg schon „a Wahnsinn“, so Herzog, „doch es war wichtig, dass wir unsere Heimspiele nicht verloren haben und uns eine passable Ausgangsposition erkämpft haben.“

Auch Cohen und Tawatha zählen zum Kader

Bedanken durfte sich der glückliche Austria-Bezwinger bei einem Akteur, den er einen „Unterschiedsspieler“ nennt. Sein Name: Eran Zahavi, nach einem Zwist mit den Fans verbannter Kapitän, den Herzog begnadigt hat. Der in China beschäftigte Torjäger steuerte drei Tore zum umjubelten Erfolg gegen eine nur scheinbar übermächtige Elf aus der Alpenrepublik bei. „Mein bester Spieler“, sagt Herzog über den Matchwinner. „Er könnte in vielen europäischen Mannschaften spielen, auch in der Bundesliga.“

Aus Deutschland gehört neben dem zur erweiterten Stammelf zählenden Almolg Cohen noch Taleb Tawatha zum Kader. Der Frankfurter verkörpert das Dilemma der meisten Herzog-Zöglinge, die verstreut in Europa, von Schottland und England über Belgien und Österreich bis hin zur Ukraine und Griechenland engagiert sind: Sie zählen meist nicht zur ersten Wahl, haben daher kaum Spielpraxis. Ein wunder Punkt für Herzog, den Fremdarbeiter in Vorderasien, der diese Problematik vor den anstehenden Gastspielen in Lettland und in Polen ganz bewusst ausklammert, indem er Zuversicht versprüht: „Wir können auch auswärts bestehen. Wenn wir zur EM möchten, müssen wir das auch.“