Manchester/London. Die Spurs empfangen am Dienstagabend das andere Sensationsteam dieser Champions-League-Saison im Halbfinale: Ajax Amsterdam.
Es wird viel darüber geklagt, dass kein echter Wettbewerb mehr bestehen würde im europäischen Fußball, dass alleine das Geld entscheidend sei und sich die internationale Elite zu einer geschlossenen Gesellschaft entwickelt habe. Doch es gibt Hoffnung für Romantiker und Kultur-Pessimisten. Das Halbfinale der Champions League zwischen Tottenham Hotspur und Ajax Amsterdam mit dem Hinspiel an diesem Dienstag in London zeigt, dass sich auch ohne große Transfer-Ausgaben Erfolg erzielen lässt und selbst in der Champions League noch Überraschungen möglich sind.
Eigentlich dürfte es dieses Treffen in dieser späten Phase des Wettbewerbs nicht geben. Denn in der jüngeren Vergangenheit waren es immer die gleichen vier Teams, die den Sieger der Champions League mehr oder weniger unter sich ausmachten. Die beiden Vereine aus Madrid, Atlético und Real, der FC Bayern und Juventus besetzten in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 14 der 20 Plätze im Halbfinale. Kein anderes Team schaffte es in dieser Zeit mehr als einmal in die Vorschlussrunde.
Weniger Geld als die Konkurrenz
Natürlich, Tottenham und Ajax verfügen über einen gewissen Status, es ist nicht so, dass sie aus dem Nirgendwo kommen würden. Der Klub aus dem Norden Londons hat sich in der Spitzengruppe der Premier League festgesetzt in den vergangenen Jahren. Er profitiert von den milliardenschweren TV-Verträgen der englischen Liga und hat gerade sein mehr als eine Milliarde Euro teures Stadion eröffnet. Ajax gehört traditionell zu den großen Namen Europas, hat mit Johan Cruyff den Fußball revolutioniert und gewann vier Mal den Europapokal der Landesmeister und die Champions League.
Trotzdem ist es eine erstaunliche Geschichte, dass die beiden Vereine jetzt einen Teilnehmer des Finals in Madrid untereinander ausspielen. Denn sie haben weniger Geld als die Konkurrenz und geben weniger aus. Laut der “Football Money League” der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte lag Tottenham im europäischen Vergleich mit einem Umsatz von knapp 430 Millionen Euro in der vergangenen Saison nur auf dem zehnten Platz, deutlich hinter Paris Saint-Germain (451,7 Millionen Euro), dem FC Bayern (629,2 Millionen Euro) oder Manchester United (666 Millionen Euro). Spitzenreiter Real Madrid kam sogar auf einem Umsatz von 750,9 Millionen Euro. Ajax Amsterdam erwirtschaftete nur knapp 92 Millionen Euro – das ist ein Achtel dessen, was der zuletzt dreimalige Champions-League-Sieger aus Spaniens Hauptstadt einfuhr.
Bei Tottenham klagt Trainer Mauricio Pochettino gerne darüber, dass er nicht die Möglichkeiten für Transfers hat, die es zum Beispiel bei Manchester City oder dem FC Liverpool gibt. Vorstand Daniel Levy ist berüchtigt für seine Sparsamkeit. In dieser Saison verpflichtete der Klub nicht einen einzigen Spieler. In der turbokapitalistischen Premier League wird man für so etwas verspottet von Fans und Fachleuten. Dass sich Tottenham dennoch als dritte Kraft im englischen Fußball etabliert hat, ist ein Qualitätsnachweis für Pochettinos Arbeit. Spieler wie Christian Eriksen, Harry Kane (im Moment verletzt) oder Heung-min Son (im Halbfinal-Hinspiel gesperrt) reiften unter ihm zur Weltklasse.
Der Ajax-Aderlass zeichnet sich bereits ab
Auch Ajax zeichnet sich durch solides Wirtschaften aus. Die zweistelligen Millionensummen, die der Verein in den vergangenen Jahren für David Neres, Hakim Ziyech, Dusan Tadic und Rückkehrer Daley Blind ausgegeben hat, sind kleines Geld, wenn man sieht, dass zum Beispiel Liverpool mehr als 80 Millionen Euro in Abwehrchef Virgil Dan Dijk investierte.
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So schön die Geschichte von den beiden Eindringlingen in den Kreis von Europas Fußball-Hochadel sein mag, so flüchtig ist sie wohl auch. Bei Tottenham dürfte der Halbfinal-Einzug trotz der insgesamt guten Entwicklung eher ein Ausreißer nach oben sein. Der Verein hat in der Liga mehr als 20 Punkte Rückstand auf das Spitzenduo Manchester City und Liverpool. Die besten Spieler – und Trainer Pochettino – werden aber irgendwann Titel gewinnen wollen. Im Zweifel bei einem andere Arbeitgeber.
Bei Ajax zeichnet sich der Zerfall der aktuellen Mannschaft schon sehr konkret ab. Der Wechsel von Spielmacher Frenkie de Jong zum FC Barcelona steht schon fest, Kapitän und Abwehrchef Matthijs de Ligt dürfte ihm folgen. Auch andere Profis haben sich in den Fokus der europäischen Konkurrenz gespielt. Eine Chance wie in dieser Saison wird es für Ajax in der Champions League so schnell wohl nicht wieder geben. Das Problem: Für Tottenham gilt das gleiche.