München. Der frühere Star-Trainer des FC Bayern und AC Mailand wird 80 Jahre alt. Der ehemalige FCB-Pressesprecher Markus Hörwick erinnert sich.
Wer erfahren mag, wie es Giovanni Trapattoni heute geht, muss im Internet nicht lange suchen. Unter seinem Kosenamen „Il Trap“ füttert er Facebook mit seinen Video-Botschaften, alten Fotos und politischen Ansichten. „Es ist an der Zeit, über die Gender-Stereotypen zu hinausgehen“, mahnte er vor einer Woche, „im Leben und im Sport.“
Der grammatikalische Salto im Satzbau ist zwar dem Übersetzungsprogramm des Sozialen Netzwerks geschuldet. Aber niemand, der Trapattoni jemals als Trainer erlebt hat, als einen der erfolgreichsten der Welt, würde ihm die Silbenverschiebung übelnehmen oder nicht zutrauen. Man kann sogar sagen: Sein luftiges Deutsch machte den Italiener erst so populär in Deutschland.
Jedes Jahr aufs Neue, so um den 10. März, werden jene drei Minuten aus der Pressekonferenz des FC Bayern zitiert, die Bundesliga-Geschichte geschrieben und die deutsche Alltagssprache um Redewendungen bereichert haben. Trapattoni wird am Sonntag 80 Jahre alt. Und jeder Fan kennt die Sätze, die er 1998 an der Säbener Straße in München vom Stapel gelassen hat.
Trapattoni und sein bekanntes "schwach wie eine Flasche leer"
Man muss nur Redefetzen hören: „schwach wie eine Flasche leer“, „ein Trainer ist nicht ein Idiot“, „ich habe fertig“ - sofort werden Erinnerungen wach. Ein TV-Sender adoptierte die berühmteste Wortakrobatik für den Namen einer Talkshow: „Was erlauben Strunz?“ Trapattoni ist die ungewollte Komik peinlich. Er meinte ja ernst, was er damals sagte.
Markus Hörwick, damals Pressesprecher beim FC Bayern, stand nur einen Meter entfernt, rechts von ihm, als Trapattoni vor den Journalisten immer wieder auf den Tisch haute, mit den Augen kurz Halt in den Notizen suchte, um dann von Neuem seine Spieler anzuprangern. Mehmet Scholl, Mario Basler und immer wieder Thomas Strunz: Der Trainer war nicht mehr zu beruhigen.
„In 30 Jahren habe ich so etwas nicht erlebt“, erzählt Hörwick heute. Er hatte den Wutausbruch kommen sehen, Tage vorher, mitten im Ruhrgebiet. Die berühmte Trapattoni-Rede von 1998: Der Vulkan brodelte schon im Sheraton-Hotel in Essen, wo Trainer und Vereinsführung nach einem 0:1 auf Schalke zu Abend aßen. Ein paar Bayern-Spieler hatten über ihre Reservistenrolle gemotzt.
Schon bei einem gemeinsamen Abendessen flogen die Fetzen
Trapattoni, eigentlich ein Gentleman, waren die Beschwerden zu Ohren gekommen. Beim Abendessen im Sheraton-Hotel flogen seine Arme wie wild durch die Luft, er schimpfte und verwünschte und fand kein Ende. „Nahezu jeden Satz, den er Tage später sagen sollte, haben wir an diesem Abend vorher in etwa so gehört“, weiß Hörwick noch.
Bis Trapattoni plötzlich vor lauter Wut eine Flasche Rotwein umwarf und sich der Rotwein über Uli Hoeneß ergoß, über Hemd und über Hose. Dann war Schluss. Trapattoni floh über den freien Tag heim nach Mailand und ließ seine Spieler wissen: „Ich will keinen von euch sehen.“ Hörwick trug er auf: „Am Dienstag will ich eine Pressekonferenz.“
Hörwick hat beim FC Bayern alle großen Trainer erlebt. Udo Lattek und Jupp Heynckes, später Ottmar Hitzfeld und Pep Guardiola. Als Pressesprecher entwickelt man ein Gefühl für die Männer, die in diesem Geschäft wie wohl keine andere Berufsgruppe unter Druck stehen. Mit Trapattoni hat er schon beim ersten Engagement 1994/95 und seit dessen Rückkehr 1996 gearbeitet.
Hoeneß und Rummenigge wollten Trap vorsichtig nach München locken
Als Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge den Italiener im Frühjahr 1994 in Mailand besuchten, um ihn vorsichtig nach München zu locken, war das eine ebenso große Sensation wie Pep Guardiola 2013. Trapattoni war eine Institution, „eine große Nummer“, wie Hörwick sagt: Ein exzellenter Taktiker, der den Deutschen das Verhalten auf dem Fußballplatz beibringen sollte.
Das tat er auch. Aber nicht unbedingt, wie es Franz Beckenbauer als Oberhaupt der Bayern-Familie gerne wollte. Ging Bayern gegen das Mittelmaß der Liga in Führung, ersetzte Trapattoni Stürmer durch Verteidiger. Das Resultat halten: So war Italien als Fußballnation großgeworden. „Ich kann’s nicht mehr mitansehen“, schnaufte Beckenbauer irgendwann mal.
Trapattoni, der Trainerfuchs, bekam die Schwingungen natürlich mit. Darum verlangte er diese Pressekonferenz Tage nach dem Schalke-Spiel. „Mein Bauchgefühl sagte mir: Das war’s noch nicht“, erinnert Hörwick sich. Er rief den Trainer während des Heimaturlaubs an. „Alles okay“, hörte er ihn sagen. „Ich fahre jetzt mit dem Auto in Mailand los. Klappt die Pressekonferenz?“
Hörwick wurde es mulmig. Ein zweiter Anruf. Trapattoni wirkte aufgeräumt. „Ich bin schon am Brenner.“ Unter einem Vorwand wagte Hörwick einen dritten Anruf. Sein Bauchgefühl hatte ihn noch nie getäuscht. Der Trainer fuhr gerade an Rosenheim vorbei und hatte seine ursprüngliche Frage nicht vergessen: „Wissen alle von der Pressekonferenz?“
Er wollte seine eigenen Worte sprechen, was er sonst nie gemacht hatte
Noch heute hat Hörwick das Bild vor Augen, wie Trapattoni, endlich im Kabinengang, acht Notizzettel aus dem Jacket zog. Das machte er sonst nie vor Pressekonferenzen. Dolmetscher Massimo Morales schrieb ihm sonst die Kernbotschaften zum Ablesen in bestem Deutsch vor. Diesmal nicht. Trapattoni wollte seine eigenen Worte sprechen. Mit allen Nebengeräuschen.
„Am liebsten hätte ich die Kabinentür abgeschlossen und den Schlüssel zum Fenster rausgeworfen, um Zeit zu gewinnen“, so Hörwick. Er ahnte, was kommt: die wohl berühmteste Pressekonferenz der Bundesliga-Geschichte. Als Trapattoni nach drei Minuten Wutausbruch in die Kabine zurückkehrte, drehte er sich ruckartig zu Hörwick um: „Ich habe was vergessen!“
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Er wollte tatsächlich zurück und nachlegen. Der Pressesprecher platzierte ihn auf einen Stuhl, sagte, er wolle schnell nachsehen, wer noch im Presseraum sei. Dort war der Teufel los, logisch. Ganz Deutschland drehte durch. Hörwick aber ging zu Trapattoni und flunkerte: „Alle schon weg.“ So verhinderte er den zweiten Teil der Trapattoni-Rede.
Hörwick erlebte Trap als "menschlichen Trainer"
Hörwick, inzwischen Berater, sieht heute das Positive in diesem Wutausbruch: Trapattoni habe, bei aller Situationskomik, „eine Wertediskussion im deutsche Fußball losgetreten“, eine um Professionalität, was Profispieler, die den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen, zu tun und zu lassen haben. Das sei Trapattonis Verdienst. Noch heute.
Er selbst habe Trapattoni immer als „menschlichen Trainer“ erlebt, nicht als einen, der wollte, dass alle nach seiner Pfeife tanzen. „Er hat die Leute mitgenommen und viel Empathie gezeigt“, so Hörwick. Er habe halt eine andere Philosophie von Fußball gehabt, einen Dolmetscher gebraucht. Da bringe man nie alles so rüber, wie man wolle, und übertreibe es womöglich mit der Taktik.
Meister 1997 und DFB-Pokalsieger 1998 ist Giovanni Trapattoni beim FC Bayern geworden. Insgesamt 23 Titel hat er in seiner Trainerkarriere geholt, darunter fünf Europapokale. Nicht zu vergessen: die neun Trophäen, die er als Spieler mit dem AC Mailand gewann. Schon kurios: Am meisten verbindet man ihn in Deutschland mit der legendären PK. Auch heute, wenn er 80 wird.