Erfurt. . Horst Hrubesch steht zum letzten Mal als Frauen-Bundestrainer an der Linie. Für den früheren Essener Torjäger beginnt eine neue Zeit.

Für irgendwelche Sentimentalitäten ist Horst Hrubesch nur schwer zu haben. Dann lehnt sich der mächtige Oberkörper auf einem eigentlich zu kleinen Stuhl zurück, die kräftigen Arme nehmen eine Schutzhaltung ein. Oder er macht einfach einen lockeren Spruch. Als kürzlich ein Gespräch im ostwestfälischen Marienfeld über seinen bevorstehenden Abschied von der Frauen-Nationalmannschaft mit der Mutmaßung begann, nun sei die Zielgerade erreicht, entgegnete der 67-Jährige: „Ein bisschen länger leben wollte ich eigentlich noch!“ Typisch Hrubesch. Vielleicht ein bisschen kauzig, aber immer authentisch. Und damit unverwechselbar.

Vermutlich hätte sich der am Jahresende endgültig in den Ruhestand verabschiedende Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes früher niemals vorstellen können, dass ein Frauen-Länderspiel Deutschland gegen Spanien im Steigerwaldstadion von Erfurt (Dienstag 16 Uhr/ZDF) sein letzter Trainer-Auftritt sein wird. Doch als Steffi Jones zu Jahresanfang ihre Überforderung nicht mehr verbergen konnte, war mal wieder die DFB-Allzweckwaffe gefragt.

Hrubesch: „Wenn ich 60 wäre, hätte ich selber weitergemacht.“

Heute gesteht sich die Übergangslösung ein: „Wenn ich 60 wäre, hätte ich selber weitergemacht.“ Und die Frauen-WM 2019 in Frankreich in Angriff genommen. Er will im nächsten Jahr beim Turnier vorbei schauen, aber vorher macht er mit seiner Frau eine lange geplante Weltreise. Sechs Wochen Neuseeland, Malaysia, Singapur, Hawaii und Las Vegas.

Seiner Nachfolgerin Martina Voss-Tecklenburg, die zurzeit noch die Schweiz trainiert und Ende des Monats vorgestellt wird, übergibt er zwar nicht „ein bestelltes Feld“, wie er sagt, aber „einen Rahmen, auf den man aufbauen kann“. Das Einstellungsgespräch mit der 50-Jährigen habe er damals selbst geführt. Drei Stunden lang. Und: „Wir waren uns einig, dass es passt.“

Die künftige Bundestrainerin sei über Co-Trainerin Britta Carlson, die genau wie sein Assistent Thomas Nörenberg beim Team verbleibt, „über jeden Schritt informiert“ gewesen. Das Leistungspotenzial sei noch längst nicht ausgereizt, „da sind noch 25 Prozent Rest“. Voss-Tecklenburg, versichert Hrubesch, könne das deutsche Team nahtlos übernehmen. „Die Mädels haben wieder Selbstvertrauen.“ Sieben größtenteils überzeugende Siege – zuletzt ein 5:2 gegen Italien – haben die DFB-Frauen aneinander gereiht, und dementsprechend hat der Verantwortliche wohl die richtigen Stellschrauben betätigt.

Es sind dieselben Schlüsselreize, die Hrubesch vor zwei Jahren einer zusammengewürfelten Männer-Auswahl verordnete, die bei den Olympischen Spielen 2016 im Finale beinahe Gold gegen das mit Neymar verstärkte Brasilien gewonnen hätte: Er appellierte an die Eigenverantwortung, sprach klare Vorgaben aus.

Die Hierarchie hat Hrubesch bewusst breit gemacht, dazu schnell erkannt, welches System, welche Philosophie am besten passt. Der Spaßfaktor stellte sich fast von alleine ein. Dass ein Fachmann an der Linie stand, der als Aktiver selbst alles erlebt hatte, hat die Akzeptanz vom ersten Tag an befördert. „Er hat das richtige Fingerspitzengefühl, das macht ihn aus“, sagt Svenja Huth, die unter seiner Regie zur Leistungsträgerin reifte und im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Island doppelt traf. „Die Balance aus Lockerheit und Konzentration stimmt.“

Hrubesch: „Da ist Ehrlichkeit drin“

Hrubesch selbst möchte die Erfahrung als Frauen-Bundestrainer nicht mehr missen. Aus seiner Sicht hätten die Frauen-Bundesliga sowie -Nationalmannschaft wieder mehr Präsenz, mehr Zuschauer und damit mehr Wahrnehmung verdient. Vor allem, weil dieses Metier im Vergleich zum Männerfußball bodenständig geblieben ist. Vieles habe ihn an seine Anfangszeit als Fußballer bei Rot-Weiss Essen erinnert. „Da ist Ehrlichkeit drin, ich brauchte nichts anzuschieben. Da ist noch ein Miteinander zu spüren.“

So geht das frühere Kopfball-Ungeheuer wohl doch mit Wehmut – auch wenn er diese bislang noch verneint. Typisch Hrubesch eben.