Essen. Freitag startet die Fußball-Bundesliga mit dem Saison-Auftakt FC Bayern gegen TSG Hoffenheim. Es wird Zeit für kritische Gedanken.
Plötzlich zuckten sogar die Gesichtsmuskeln des sonst so kühlen Sportdirektors Michael Zorc. Sein Trainer Lucien Favre schlug mit der Faust so heftig auf den Konferenztisch, dass die Wände auf der BVB-Geschäftsstelle am Rheinlanddamm wackelten, er brüllte in die Chefrunde: „Kauft mir einen Mittelstürmer — und wir werden Meister!“
Eine Stunde lang hatte Favre die Lage der Liga analysiert. Matthias Sammer hielt es vor Begeisterung nicht auf dem Stuhl. „Dieses Jahr sind die Bayern reif!“, schrie er mit hochrotem Kopf dazwischen. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nippte genüsslich an einer Coke Zero. Endlich hatte er seinen Klub wieder da, wo er ihn haben wollte.
Natürlich ist diese Szene nicht passiert. Sondern genau das Gegenteil. „Lassen Sie uns bitte Zeit!“, bettelte Favre unter der Woche. „Zwei, drei Jahre“ brauche er für einen Neustart bei Borussia Dortmund. Darum habe er im Urlaub die Hoffnungen von Fans enttäuschen müssen: Kopf an Kopf mit Bayern — daraus werde nichts. Er sagte: „So schnell geht das nicht.“
Seit einem halben Jahrzehnt hört man die Beschwichtigungen und Entschuldigungen in jedem Sommer aufs Neue. Nicht nur von Borussia Dortmund. Selbst die finanzstärksten Rivalen geben schon auf, bevor die Saison überhaupt begonnen hat. „Die Kinder, die jetzt eingeschult werden“, so Ex-Profi Ansgar Brinkmann, „kennen keinen anderen Meister als Bayern München.“
Inzwischen können sich die Bayern, die am Freitagabend den Saison-Auftakt gegen Hoffenheim bestreiten (20.30 Uhr / ZDF und Eurosport-Player), sogar Stillstand leisten: Nicht einen einzigen Euro haben sie in Ablösen investiert. Ihnen reichen der ablösefreie Leon Goretzka von Schalke und die Rückkehr der ausgeliehenen Spieler Serge Gnabry und Renato Sanches.
In der Liga der Hasenfüße sind alle anderen Mannschaften am Ende der Saison froh, wenn die Qualifikation zur Champions League gelingt. Das heißt: Platz zwei bis vier — hinter Bayern. Die Spannung in der Saison 2018/19 resultiert wie in den Vorjahren allein aus dem Gerangel um die Startplätze im Europapokal und aus dem Abstiegskampf. Ist das die Bundesliga, die wir wollen?
Zurückhaltung bei Investitionen
An Erklärungsversuchen für vorsichtige Saisonprognosen mangelt es nicht. Wirtschaftliche Vernunft. Umbruch im Kader. Neue Trainerphilosophie. Nicht zuletzt: Erwartungsmanagement. Aber Erfolg ist immer die Summe aus Kompetenz und Leidenschaft — und Leidenschaft die Addition von Mumm und Glauben. Hasenfüßen fehlt beides.
In Zahlen: Den Transferausgaben von 456 Mio. Euro stehen Transfereinnahmen von 447 Mio. Euro gegenüber. Bedeutet: Alle 18 Bundesliga-Klubs haben zusammen unterm Strich — Stichtag heute — neun Millionen Euro in Ablösen investiert. Zum Vergleich: England investierte im Saldo eine Milliarde Euro in die erste Liga, Italien 310 Mio. Euro, Spanien 57 Mio. Euro.
Das Branchenportal Transfermarkt.de zählt 231 Zugänge und 189 Abgänge. Interessant ist hier der Marktwert pro Spieler: Die Abgänge sind im Schnitt 400 000 Euro teurer als die Zugänge. Auf den Punkt gebracht: Die Liga verliert an Qualität. Nur vier Kader haben einen durchschnittlichen Spielerwert im zweistelligen Millionenbereich: Bayern und BVB, Leverkusen und Leipzig. Zwei mehr als früher.
Was auffällig ist: Der Alterschnitt der insgesamt 521 Bundesliga-Spieler liegt 2018/19 um zwei Jahre höher als in den Vorjahren. Der Ausländeranteil ist um zwei Punkte auf 53 Prozent gestiegen. Die Statistik wäre komplett gleichgültig, wenn man das Gefühl hätte, die Liga bemühte sich um Steigerung von Attraktivität und Spannung. Aber das tun exakt drei Vereine.
Dortmund, Leverkusen und Leipzig verpflichteten sieben der zehn teuersten Transfers. Allein drei leistete sich der BVB: Abdou Diallo, Thomas Delaney und Axel Witsel kosten zusammen 68 Millionen Euro und damit ein Drittel über Marktwert. Mutig ist auch Mönchengladbach: Alassane Pléa kam für 23 Millionen Euro aus Nizza.
Trotzdem erbrachte die traditionelle DPA-Umfrage das ebenso traditionelle Ergebnis: 15 Klubvertreter erwarten die siebte Bayern-Meisterschaft in Folge. Als einziger tippte Trainer Heiko Herrlich (Leverkusen) auf Dortmund. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Prinzip. Und Trainer Julian Nagelsmann (Hoffenheim) legte sich auf Leverkusen fest: „Das ist eine gute Mannschaft.“
Ein Duell erwartet Manager Max Eberl: „Punktetechnisch“ würde der BVB enger an Bayern heranrücken. Das kann gut sein. Der Rückstand betrug voriges Jahr 29 Punkte.