Stuttgart. Im zweiten Bundesligajahr ist die Euphorie beim VfB Stuttgart groß. Der Kader wurde gezielt verstärkt - dennoch bremsen die Verantwortlichen.
Es läuft überragend gut, die Erwartungen kochen über und mancher träumt vom ganz großen Wurf. Heißt auf Schwäbisch: „Es ist einiges gut gelaufen in der Vorbereitung.“ Gesagt hat das Thomas Hitzlsperger. Der 36-Jährige ist in den vergangenen Jahren der Krise, als dauerhafter Abstiegskampf zum VfB gehörte wie der Neckar, oft genug als entlastender Kronzeuge eingesetzt worden.
Heute ist er Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Und wieder Kronzeuge, der sich antizyklisch gegen die rasant wachsenden Erwartungen stemmt. Vor der Saison 2018/2019 ist Hitzlspergers Job so anstrengend wie 2016 als die Schwaben abstiegen und vieles in Trümmern lag. Zwei Jahre und einen Wiederaufstieg später huscht der deutsche Meister von 2007 auf die andere Seite, um die Last der Erwartung hier nicht zu erdrückend werden zu lassen.
Der Bundesliga-Check
Deutschland ist ein Land mit 82 Millionen Bundestrainern. Einige von ihnen sitzen in der Sportredaktion Ihrer Zeitung und tippen den Ausgang der neuen Bundesligasaison. Wer Meister wird, wer absteigt, wissen wir natürlich nicht. Aber bis zum ersten Spiel am 24. August zwischen den Bayern und Hoffenheim beleuchten wir täglich einen Klub und vervollständigen die Tabelle. Ob wir Experten sind? Das wissen wir erst am 18. Mai 2019.
Christoph Daum, Stuttgarter Meister-Trainer von 1984, hat von der Champions League gesprochen, die durchaus möglich sei. Vor gut einer Woche hat nicht viel gefehlt und die 59.000 Zuschauer hätten das allesamt mit flammendem Herzen unterschrieben: VfB Stuttgart gegen Atletico Madrid (1:1), nur ein Test-Spiel, aber eines, das zeigte: Das Selbstvertrauen ist enorm gewachsen und den Schwaben ist einiges zuzutrauen, wenn Trainer Tayfun Korkut Talente und erfahrene Kicker wie Gonzalo Castro, Daniel Didavi und Mario Gomez zu einer Einheit formt.
Kein konkretes Saisonziel
Sonst ist man von Aufsteigern vor dem zweiten Bundesliga-Jahr meist sorgenvolle Zurückhaltung gewohnt. In Stuttgart sagt Michael Reschke, der Sportvorstand des Tabellensiebten der vergangenen Saison, nach einem Jahr im Amt: „Nur der Klassenerhalt kann nicht mehr das Ziel sein.“
Weil trotzdem der Euphorie nicht gänzlich zu trauen ist, verzichtet der kauzige ehemalige Kaderplaner von Bayer Leverkusen und Bayern München darauf, ein konkretes Saisonziel zu nennen. „Ich habe manchmal die Sorge, dass es im Umfeld zu hohe tabellarische Erwartungen gibt. Ich warne davor, zu große Träume zu hegen und zum Beispiel das internationale Geschäft als Ziel zu nehmen.“
Ein Investor als Schlüssel
Trotzdem ist es vielen ein Rätsel, wie berauschend sich die Rückkehr der Stuttgarter in die Bundesliga gestaltet. Ein entscheidender Punkt ist die Ausgliederung der Profiabteilung 2017 und der Einstieg des Investors Mercedes Benz. Der Autobauer investierte 41,5 Millionen Euro für 11,75 Prozent der Klubanteile.
Das „Ja“ der Mitglieder (über 80 Prozent) ist wohl das erste schwäbische Wunder. Das zweite, dass der VfB den Abstieg offenbar zur Erneuerung genutzt hat. Der frisch gekürte Weltmeister Benjamin Pavard spielt noch ein Jahr in einer jungen Perspektiv-Mannschaft mit eingeflochtener Routine bevor er 2019 wahrscheinlich für rund 35 Millionen zum FC Bayern wechselt.
Es braucht positive Ergebnisse
Bald trifft die derzeitige schwäbische Euphorie-Welle auf den Liga-Alltag und es braucht positive Ergebnisse, um das Konstrukt stabil zu machen. Der Kader scheint breit und ausgeglichen gestaltet. „Das wird uns in der Bundesliga helfen“, sagt Reschke. Mehr denn je wird Korkut als Moderator gefordert sein. Und er wird beweisen müssen, dass er im zweiten Jahr so erfolgreich arbeiten kann wie im ersten. Bei früheren Klubs ist ihm das nicht immer gelungen.
Stuttgart soll für ihn ein Wendepunkt sein. Ebenso wie es für Reschke, der in Leverkusen und München in in der zweiten Reihe arbeitete, ein neue Kapitel seiner Karriere ist. Die Voraussetzungen scheinen gut. Der Aufsteiger der vergangenen Saison scheint erwacht, wobei der VfB nie ein „normaler“ Ab- und Aufsteiger war.
Der verlorene Sohn Didavi kehrt zurück
Didavi kehrte aus Wolfsburg zurück und gibt sich überwältigt vom warmherzigen Empfang. Der verlorene Sohn ist der Ankerspieler des neuen VfB. Reschke nennt ihn einen der „wichtigsten Transfers“. Gomez ist der zweite Pfeiler des Fundaments. Nach dem Rücktritt aus dem Nationalteam ist der 33-Jährige nur noch Stuttgarter. Dazu junge Talente (u.a. Nicolas Gonzales) , die das beisteuern, was im Fußball wieder wichtig geworden ist, Geschwindigkeit und Dribbelstärke in Eins-gegen-Eins-Situationen.
Es läuft am Neckar, das zeigt auch die Nachricht, dass Weltmeister Pavard früher aus dem Urlaub zurück kehrte und ins Training einstieg - ebenso wie die jüngste Vertragsverlängerung des umworbenen Mittelfeld-Arbeiters Santiago Ascacibar.
„Die Erwartungen sind enorm, die Wucht gerade sehr groß, das müssen wir bestätigen. Aber wir sind vorbereitet“, sagt Hitzlsperger, der gegensteuernde Kronzeuge.
Unser Tipp: Platz 7