Duisburg. . Einmal im Jahr sichtet der DFB in Duisburg Fußballtalente aus ganz Deutschland. Hier hoffen Jugendspieler auf die große Karriere. Das kann Druck erzeugen.

Ismail Harnafi bleibt eiskalt. Mit seinem starken rechten Fuß schiebt er den Ball ins Tor der Hamburger Verbandsauswahl. Die Spieler klatschen mit dem 16-jährigen Nachwuchsspieler von Borussia Mönchengladbach ab. 1:0 für die Niederrhein-Auswahl.

Einige Herren an der Seitenlinie zücken ihre Kugelschreiber, ziehen einen Bogen aus der Gesäßtasche und notieren wortlos ein paar Zeilen. Der Bogen verschwindet zusammengerollt in den Händen oder in der Tasche. Der Blick geht wieder auf das Spielfeld, bis zur nächsten Notiz.

Eine Notiz, sie könnte einen Jungen seinem Traum vom Profi näher bringen, hier beim U16-Sichtungsturnier des Deutschen Fußball-Bundes. Alljährlich verwandeln sich die Plätze der Sportschule Wedau für mehr als 330 Jugendliche in Felder der Träume: Für Spieler wie die Weltmeister Manuel Neuer, Mario Götze und Julian Draxler oder den früheren Dortmunder Ilkay Gündogan war Duisburg der Startschuss zu großen Karrieren. Wer hier für die U-Nationalmannschaft nominiert wird, kann hoch hinaus kommen. Und wer nicht? Der muss warten und hoffen.

Nur etwa ein Prozent aller Spieler in den Nachwuchsleistungszentren deutscher Fußball-Klubs schaffen den Sprung zum Profi. Der Absatz, auf dem sie landen müssen, ist winzig klein. Danach wartet eine Welt aus Ruhm und Reichtum, eine, die nach Ansicht von Per Mertesacker schon beim Nachwuchs Druck ausübt. „Nach dem, was ich gehört habe, wird alles extremer“, sagte der frühere Nationalspieler in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Heute ist das utopisch, dass man einfach in Ruhe gelassen wird und noch nicht mit der Welt, diesem Wahnsinn so früh in Berührung kommt.“

„Wir spielen ein anderes Spiel“

Diese Welt sucht in Duisburg im Schatten Zuflucht vor der erbarmungslosen Sonne. Auffallend viele Männer in schicker Kleidung stehen mit Stift, Block und Handy in der Hand am Spielfeldrand. Die Eltern, die misslungene Flanken ihrer Sprösslinge bedauern und Tore bejubeln, sind in der Unterzahl. Aber sie sind deutlich präsenter, weil sie miteinander reden, über Angebote, über Spiele ihres Nachwuchses, über Verletzungen. Die Männer mit den Stiften reden selten – und wenn, dann leise.

Gerd Bode bekommt davon nicht viel mit. „Mich kümmert das nicht, wir spielen hier ein anderes Spiel“, sagt Bode. Er ist seit über 25 Jahren Niederrhein-Verbandstrainer. „Sobald ich meine 16 Spieler zusammen habe, beginnt eine stressfreie Zeit.“ Auf ihn sei noch keiner zugekommen, der über Druck geklagt habe. „Ich sage immer zu meinen Spielern, ich lade euch ein, mit mir dazuzulernen.“

Das hat in der Vergangenheit geklappt. Unter ihm spielte ein junger Fußballer des MSV Duisburg, der heute in der Bundesliga für den 1. FC Köln auf Torejagd geht: Simon Terodde. Unter ihm trainierte ein Spieler von Gladbach, der heute im Tor des FC Barcelona steht: Marc-André ter Stegen.

In Duisburg wird deutlich, wo der Druck herkommen kann: Von oben, wo den Vorbildern einst der unwahrscheinliche Sprung glückte, und von der Seite, wo neben den Eltern die stehen, die theoretisch dabei helfen können.

Trainer nehmen Druck heraus

„Man muss vor allem gucken, dass die Eltern nicht verrückt spielen“, sagt Oliver Madejewski, Verbandstrainer in Hamburg. „Ich glaube, die Eltern stehen manchmal mehr unter Druck als die Spieler.“ Sie hoffen mit ihrem Nachwuchs, dass in Duisburg wahr wird, was für Neuer, Draxler und ter Stegen Realität wurde. Verbandstrainer wie Madejewski steuern dagegen: „Da sind wir als Trainer verantwortlich, den Druck herauszunehmen. Es ist wichtig, ihnen Mut zuzusprechen, ihnen klar zu machen, dass sie mit Freude bei der Sache sein müssen.“

Die Niederrheinauswahl gewinnt ihr Spiel mit 2:0. Die Seitenlinie leert sich, auf dem gegenüberliegenden Platz spielt jetzt die Bremen-Auswahl gegen die vom Mittelrhein. Zuschauer halten Blöcke und Stifte bereit, installieren Kameras auf Stative. Das Spiel der Hoffnung beginnt von Neuem.