München. 1:2-Pleite gegen Real Madrid: In München neigt sich eine Ära dem Ende entgegen. Nicht nur wegen der Boateng-Verletzung ist ein Generationswechsel überfällig.

Die Szene schrie geradezu nach Interpretation. Jerome Boateng saß verzweifelt auf dem Rasen der Allianz-Arena und bettelte, mit beiden Armen wild gestikulierend, um eine Gehhilfe. Sein Oberschenkel streikte. Verletzt humpelte er, Champions-League-Sieger und Weltmeister, Richtung Umkleidekabine. Gestützt von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. „Ein 29-Jähriger von einem 75-Jährigen“, wie die Süddeutsche Zeitung süffisant bemerkte.

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Von dieser Momentaufnahme ging eine Symbolkraft für das 1:2 im Halbfinal-Hinspiel der Champions League aus. Die Bayern wollten gegen Real Madrid — und konnten nicht. Eine halbe Stunde zuvor hatte schon der Körper bei einer weiteren Bayern-Legende die Willenskraft überstimmt. Auch bei Arjen Robben, 34 Jahre alt, war es ein Muskel zwischen Lende und Oberschenkel, der nicht mitmachte.

Boateng bangt um WM-Teilnahme

Sobald im Leistungssport Muskeln und Adduktoren zu zwicken beginnen, herrscht höchste Besorgnis. Entweder liegt eine falsche Trainingsbelastung vor — oder Verschleiß. Falsches Training: unter Jupp Heynckes ausgeschlossen.

Nein, es ist schon so: Die Bayern-Stars kommen in die Jahre. Das Durchschnittsalter in der Start-Elf am Mittwoch: 29,9 Jahre. Da kann jeder Sprint der letzte im Spiel sein. Gestern vermeldete der Verein das Saison-Aus für Boateng. Diagnose: strukturelle Verletzung der Adduktoren-Muskulatur im linken Oberschenkel. Voraussichtliche Ausfallzeit: vier bis sechs Wochen. Bei Twitter erklärte der Innenverteidiger: „Das Leben ist voller Rückschläge. Jetzt heißt es kämpfen, um in Russland dabei zu sein.“

In Russland. Bei der WM (14. Juni bis 15. Juli). Die Verletzung bereitet Bundestrainer Joachim Löw Sorgen. Boateng musste schon mehrfach wegen schwerer Verletzungen am Oberschenkel pausieren, zuletzt von Mai bis September 2017. Danach erreichte er nur schleppend seine Bestform.

Auch Ribery kann das Spiel nicht mehr entscheiden

Es ist nicht zu übersehen: Beim FC Bayern neigt sich eine Ära dem Ende entgegen. Sechs Meisterschaften in Folge, aber seit dem Europacup-Sieg 2013 immer wieder das vorzeitige Scheitern in der Champions League: Da geht irgendwann die Luft aus. „Und so komme ich langsam an den Punkt, an dem ich gewisse Fragen für mich beantworten muss: Was sind meine noch nicht erreichten Ziele?“, sagte Boateng nun dem Magazin Socrates. Ein entlarvender Satz.

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Nach Ära-Ende sah es schon zu Saisonbeginn aus, als die Mannschaft unter Trainer Ancelotti strauchelte und in der Liga zeitweise fünf Punkte hinter Dortmund lag. Erst mit Appellen an Ehrgefühl und Nostalgie kitzelte Nachfolger Heynckes die notwendigen Kraftreserven zur Titelverteidigung heraus. Das klappt nicht ewig so. Man sieht es bei Franck Ribéry: Gegen Real Madrid läuft er, 35 Jahre alt, zu alter Dribbelstärke auf. Das Spiel entscheiden kann er nicht mehr.

Wer im Klubfußball alles gewonnen hat, muss entweder so besessen wie Cristiano Ronaldo sein, der seine Rekorde auf immer höhere Stufen schraubt, oder seine Motivation aus der Gewissheit schöpfen, dass die Karriere bald keine Reizpunkte mehr setzt. Fast stellvertretend gibt Boateng zu Protokoll, ihm gehe es „um die persönliche Herausforderung“. „Das sind nicht unbedingt klassische Karrierefragen, das sind Lebensfragen.“

Bayern muss Bescheidenheit lernen

Nach langem Zögern hat Präsident Uli Hoeneß seinen altgedienten Stars Robben und Ribéry neue Verträge angeboten, nur für ein Jahr, um den Generationswechsel fließend zu gestalten. Die Zukunft gehört der Generation Kimmich: deutschen Nationalspielern wie Niklas Süle in der Abwehr, dem Ribéry-Verschnitt Serge Gnabry, der aus Hoffenheim zurückkehrt, dem Noch-Schalker Leon Goretzka. Und eben Joshua Kimmich, dem Torschützen gegen Real Madrid.

„Noch mehr Jugendarbeit“ verspricht Hoeneß als Konter auf die kaufwütigen Großvereine im Ausland. Das hieße: vorübergehend bescheiden sein, wenn Erfolge ausbleiben. Kann Hoeneß das? Vermutlich hat er keine Wahl. Sogar die Blütezeit von Mats Hummels (28) und Thomas Müller (29) endet irgendwann. Der künftige Trainer Niko Kovac, Samstag mit Frankfurt zu Gast, muss erst noch beweisen, dass er der richtige Mann für den Umbruch beim FC Bayern ist.

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