Berlin. Die Nationalelf zeigt sich in prächtiger Frühform für die WM – muss aber auch erkennen, dass mit Spanien ein echter Konkurrent um den Titel warten dürfte.
Die ein oder andere Sehenswürdigkeit hat Berlin ja zu bieten. Für Joachim Löw sogar noch eine besondere. Der Bundestrainer weilt gerade nicht weit entfernt von seiner Wohnung am Tiergarten. Vom Teamhotel am Potsdamer Platz, in dem der Bundestrainer und die deutsche Nationalmannschaft noch in der Nacht zum Sonnabend ankamen, ist Löws Zweitresidenz fußläufig zu erreichen. Für die Spieler gab es in der Hauptstadt allerhand andere Möglichkeiten, ihren freien Nachmittag am Sonnabend zu verbringen. Sie konnten ihn genießen, weil sich am Abend zuvor das wohlige Gefühl eingestellt hatte, dass sie sich auf dem richtigen Weg befinden.
Mit dem 1:1 im Testspiel gegen Spanien am Freitag sei er „sehr zufrieden“, sagte Löw. Sein Fazit zur ersten Probe auf WM-Tauglichkeit hätte ruhig auch etwas euphorischer ausfallen dürfen. Denn diese Partie der beiden letzten Weltmeister war selbst nichts anderes als eine Sehenswürdigkeit – besonders, da derzeit in den allermeisten deutschen Stadien eher Fußball zum Weggucken dargeboten wird. Wie die Spanier sich trotz beherztem Draufstürmen der Deutschen in Halbzeit eins aus der Abwehr heraus kombinierten, das sei das „Beste gewesen, das ich je auf einem Fußballplatz live miterleben durfte“, sagte Abwehrspieler Mats Hummels. Der Münchner stand ja schon mit so manchen Größen des Weltfußballs auf dem Rasen, aber die Leichtigkeit des Altmeisters Andrés Iniesta (33) und die Finesse des krummbeinigen Isco nötigte auch Hummels Respekt ab: „Die sind schon ziemlich genial unterwegs“, sagte er. Die erste Erkenntnis aus dem Spiel also lautet: Mit den manchmal schon etwas vergessenen Spaniern ist als ernsthafter Konkurrent im Kampf um den Titel zu rechnen, wenn am 14. Juni die WM in Russland beginnt. „Für mich war das schon ein Vorgeschmack“, sagte Hummels.
Deutschland wurde zu einem Gegner auf Augenhöhe
Erkenntnis Nummer zwei aus dieser Partie für Genießer lautet: Auch mit Deutschland ist zu rechnen, und das nicht nur, wenn die Gegner Tschechien, Norwegen oder Aserbaidschan heißen wie in der fleckenlosen WM-Qualifikation. Hatte der Matchplan anfänglich noch so ausgesehen, dass Löws Team die Spanier früh attackieren wollte, zog es sich zurück, als immer klarer wurde, dass den Iberern damit nicht beizukommen war. So errang die DFB-Auswahl die Spielkontrolle und wurde zu einem Gegner auf Augenhöhe – mit einem leichten Übergewicht in der zweiten Halbzeit. „So ein Spiel, in dem man sich Lösungen einfallen lassen muss, macht richtig Spaß“, sagte Hummels, „es ist viel schöner als ein Spiel, in dem man nicht gefordert wird.“
Nun muss man sicher bedenken, dass die Schönheit der Partie auch daraus resultierte, dass es sich um einen Test handelte. Bei der WM dürfte Löws Elf weniger risikoreich anlaufen, den Spanier so auch weniger Räume im Rücken für ihre Kunst gewähren. Andererseits hätten Isco und Co. in einem wirklich wichtigen Spiel auch am Ende weniger den Fuß vom Gaspedal genommen, was die zarte Überlegenheit der deutschen ermöglichte. „Es ist schon noch Luft nach oben“, sagte Löw, „beide Mannschaften haben nicht alle Karten auf den Tisch gelegt.“ Die aber, die da lagen, sahen schon mal gut aus. Dass Thomas Müller, wenn es nötig ist, auch ganz untypisch für ihn aus 20 Metern einen Ball in den Winkel zum 1:1 Ausgleich schlenzen kann, ist beruhigend für Löw. „Ich habe das schon ein paar Mal beim Aufwärmen probiert“, flachste Müller. Die einzige Karte, die nicht recht zum Restblatt passen wollte, war Sami Khedira. Der defensive Mittelfeldspieler war im deutschen Spielfluss eher ein Hindernis und konnte der Eleganz der Spanier nicht wie gewohnt seine Wucht entgegensetzen. Seine Position neben Toni Kroos auf der Doppelsechs ist vielleicht die vakanteste in einer deutschen Mannschaft, die gegen Spanien ansonsten schon sehr nach WM-Startelf ausgesehen hat.
Müller und Özil gegen Brasilien nicht im Kader
Am Dienstag könnte es im ausverkauften Berliner Olympiastadion nun eine weitere Sehenswürdigkeit geben: Mit Brasilien (20.45 Uhr/ZDF) trifft Deutschland auf eine Elf, „die zu den Favoriten bei der WM gehört“, sagte Hummels. Müller wird dabei nicht zu besichtigen sein: Der 28-Jährige reiste nicht mit dem Charterflieger nach Berlin – ebenso wie Mesut Özil. Beide viel beanspruchte Profis werden geschont. Und auch der leicht angeschlagene Khedira bekommt zunächst eine Pause. Löw kündigte an, Ilkay Gündogan im zentralen Mittelfeld aufbieten zu wollen – und Leroy Sané auf dem Flügel.
Das bisher letzte Mal, das Deutschland auf Brasilien traf, brachte ein Fabelspiel hervor: 7:1 gewann die DFB-Auswahl im WM-Halbfinale 2014. Ob man darüber in der Mannschaft heute noch rede, wurde Mats Hummels gefragt: „Nein“, antwortete er prompt, „das ist Vergangenheit.“ Dass sich Deutschland aber schon wieder in WM-Form befindet, das ist die Gegenwart.