Essen. US-Basketballer Kevin Love hat offen über seine Panikattacke gesprochen. Auch Per Mertesacker offenbarte seine Angst. Doch psychische Erkrankungen im Spitzensport sind immer noch ein Tabuthema, sagt Psychologin Marion Sulprizio. Was sind die Konsequenzen?
.Kevin Love ist ein Schwächling. Irgendwie komisch, irgendwie anders als die anderen Profi-Basketballer. Kevin Love ist kein richtiger Mann.
29 Jahre hat der US-Star gedacht, dies würde auf Menschen zutreffen, die psychologische Hilfe brauchen. Bis er sie selbst brauchte.
Am 5. November erlitt der NBA-Profi der Cleveland Cavaliers im Spiel gegen die Atlanta Hawks eine Panikattacke. Fünf Monate später ging er damit an die Öffentlichkeit. Der Bericht auf der Internetplattform Player’s Tribune verschaffte ihm international Aufmerksamkeit. Warum? Er beantwortet diese Frage selbst. „Ich wollte es machen, weil die Menschen nicht genug über mentale Gesundheit sprechen.“ Im Spitzensport sind psychische Erkrankungen noch immer ein Tabuthema. Auch in Deutschland, wo jüngst Fußball-Weltmeister Per Mertesacker (33) offen über den Druck im Leistungssport sprach.
„Es kam aus dem Nichts. Ich hatte vorher nie eine. Ich wusste nicht mal, dass es so etwas gibt. Aber es war echt – so echt wie eine gebrochene Hand oder ein verstauchter Knöchel. Seit diesem Tag haben sich meine Anschauungen in Bezug auf psychische Störungen fast vollständig geändert.“
30 Prozent der Menschen erleiden in ihrem Leben mindestens ein Panikattacke
Als Panikattacke wird eine Angststörung bezeichnet, die die Betroffenen sehr kurz in intensive Angst versetzt. Sie kommt unvermittelt, scheinbar ohne Ursache. Etwa dreißig Prozent der Menschen erleiden in ihrem Leben mindestens eine Panikattacke, Nicht-Sportler wie Sportler. „Wir denken bei einem Sportler an jemanden, der viel wegstecken kann, weil er mental stark ist“, sagt Marion Sulprizio. Die Diplom-Psychologin ist Geschäftsführerin der Initiative „MentalGestärkt“, die unter anderem psychologische Hilfe an Spitzensportler vermittelt. „Aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine psychische Erkrankung auftritt, ist bei Athleten genauso hoch wie in der Normalbevölkerung. Das zeigen Studien. Gerade bei Depressionen ist die Prävalenz gleich – jeder Fünfte kann daran erkranken, egal ob Sportler oder nicht.“
„Als ich zur Bank ging, spürte ich, wie mein Herz schneller schlug als sonst. Dann bekam ich Atembeschwerden. Es ist schwer zu beschreiben, aber alles drehte sich, als wolle mein Gehirn aus meinem Kopf herausklettern. Die Luft war dick und schwer. Mein Mund fühlte sich an wie Kreide.“
Kevin Love hat sein ganzes Leben Basketball gespielt. Er wuchs nicht nur zu einem kräftigen, über zwei Meter großen und hundert Kilo schweren Mann heran, er wurde ein millionenschwerer Basketball-Profi. 2016 gewann er mit den Cleveland Cavaliers die Meisterschaft, 2017 wurde er zum fünften Mal ins NBA-All-Star-Team berufen.
Als Junge habe er schnell gelernt, was es bedeute, ein Mann zu sein: dem Regelbuch zu folgen --stark sein, nicht über Gefühle sprechen, die Dinge selbst regeln, schreibt er. „Wir fordern schon länger, dass man von kleinauf sportpsychologische Angebote erhält“, sagt Diplom-Psychologin Sulprizio. „wenn ich damit groß geworden bin, erschrecke ich mich nicht über eine solche Betreuung.“ Wie gehe ich mit Misserfolgen um? Wie mit Lustlosigkeit? Das sollte schon den jüngsten beigebracht werden, findet die 52-Jährige. DFB und DFL setzen das schon ganz gut um. So sind die Vereine dazu angehalten, sportpsychologische Betreuer in ihren Nachwuchsleistungszentren einzubinden.“ Nicht alle fänden das gut, „weil sie das Geld lieber an anderer Stelle investieren möchten. Aber daran arbeiten wir.“ Damit es nicht zu spät ist wie bei Hannovers früheren Torwart Robert Enke. Mit nur 32 Jahren beging Enke 2009 Selbstmord.
Köln als gutes Beispiel
Seit dem habe sich in Deutschland bereits etwas verändert, sagt Marion Sulprizio. Die Initiative wird teilweise von der Robert-Enke-Stiftung finanziert. „Wir müssen weiter marschieren: Entstigmatisierung, offener Umgang, eine noch bessere Versorgung von Vereinen, Verbänden und Kadermannschaften“, sagt sie. „Alle kennen Hans-Dieter Herrmann, den Sportpsychologen der deutschen Nationalmannschaft, aber da hört es auch schon auf. Welcher Verein geht damit offensiv um?“ Der FC Köln sei ein gutes Beispiel. Durch eine Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln habe mittlerweile jede Jugendmannschaft einen sportpsychologischen Betreuer.
Hannover 96 ging mit dem Thema nach Enges Tod anders um. Im September 2011 musste Torwart Markus Miller wegen mentaler Erschöpfung behandelt werden. Nach erfolgreicher Therapie stieg er im November wieder ins Mannschaftstraining ein, absolvierte wenig später sein erstes Pflichtspiel für Hannover.
Nach Ansicht von Marion Sulprizio genau der richtige Weg. „Wenn ein Sportler einen Kreuzbandriss hat, rechnet man damit, dass er nach einem Jahr gesund zurückkommt. Mit einer Depression müsste man im Prinzip genauso verfahren und sagen: Nach neun bis zwölf Monaten ist man ganz normal wieder dabei. Dass das geht, wissen die wenigsten Leute.“ Viele würden eine Depression mit einer Dauererkrankung assoziieren und einer künftig geringeren Belastbarkeit. Die Silbe „Psych“ werde oft mit „Geistesgestörten“ assoziiert. Oder wie es Kevin Love selbst empfand: Für ihn sei es eine Form von Schwäche gewesen, die den Erfolg bedroht oder ihn verrückt oder anders erscheinen lassen könnte. „Wir stellen schon fest, dass das immer noch ein Tabuthema ist“, sagt Sulprizio.
Es erfordert Mut, in der Öffentlichkeit dazu zu stehen. Ralf Rangnick löste wegen eines Burn-outs seinen Trainer-Vertrag auf Schalke auf. Dafür gab es viel Lob, aber auch Häme seitens einiger Fans („Ey Ralf Rangnick, wir warten sehnlichst auf deinen nächsten Burnout“). Heute ist Ralf Rangnick Sportdirektor des Bundesligisten RB Leipzig.
Kevin Love suchte nach seiner Panikattacke einen Therapeuten auf. Dieser zeigte ihm auf, was ihn belastete: Loves Großmutter Carol musste operiert werden und fiel ins Koma. Kurz darauf starb sie. Kevin Love konnte über den Verlust seiner geliebten Großmutter nicht reden. Stattdessen machte weiter, wie er es immer getan hatte. Kevin Love war „ein Mann“.
„Ich möchte mit etwas enden, was ich mir selbst in diesen Tagen immer wieder ins Gedächtnis rufe: Jeder trägt ein Päckchen, das wir nicht sehen können.
Ich möchte es noch einmal schreiben: Jeder trägt ein Päckchen, das wir nicht sehen können.“