Essen/Manchester. Ilkay Gündogan spricht im Interview über seine Kindheit im Ruhrgebiet. Er kritisiert streikende Fußball-Profis. Die Ernährung hat er umgestellt. Das Interview.
Geboren in Gelsenkirchen, Stadtteil Heßler. Ilkay Gündogan ist ein Junge aus dem Pott. Klingt nach Maloche. Und wenn man dem heute 27-jährigen Nationalspieler von Manchester City aufmerksam zuhört, hat ihn dieses Leben in seiner Kindheit geprägt. Heute ist Gündogan ein Star im Fußball-Zirkus. Der Nationalspieler ist Dreh- und Angelpunkt bei der Mannschaft von Trainer Pep Guardiola. Wir sprachen mit dem einstigen Dortmunder über Auswüchse des Transfermarkts, ein Versprechen – und Bierfässer.
Woran denken Sie beim Begriff Heimat?
Ilkay Gündogan: An meine Familie und meine Freunde. Natürlich auch an die Straße in Gelsenkirchen, in der ich aufwuchs. An den Hinterhof mit den Garagen, auf dem ich mit meinen Kumpels Fußball gespielt habe.
Wie viele Garagentore haben Sie zerschossen?
Ilkay Gündogan: (lacht) Die ein oder andere Garage musste schon leiden unter unseren Schüssen. Viele Bälle sind auch verloren gegangen, sie landeten in den Gärten der Nachbarn oder flogen auf die Garagendächer. Wir mussten hochklettern, um die Bälle zurückzuholen. Das war nicht ganz ungefährlich. Natürlich gab es dafür einige Male einen schönen Rüffel von den Eltern.
Apropos Eltern: Ihr Vater Irfan arbeitete in Gelsenkirchen als Fahrer für eine Brauerei. Stimmt es, dass Sie und Ihr Bruder mit anpacken mussten?
Ilkay Gündogan: Mein Vater arbeitete für die Stauder-Brauerei. Er lieferte Getränkekisten und Bierfässer zu den Kneipen. Bereits um sechs Uhr morgens verließ er das Haus, nachmittags gegen vier, fünf Uhr kam er zurück. Er hat hart geschuftet für sein Geld. In den Schulferien mussten mein Bruder Ilker und ich mit unserem Papa fahren und helfen. Also: Nicht auf der faulen Haut rumliegen, bis nachts vier Uhr PlayStation spielen. Sondern: Früh raus und schuften fürs Taschengeld.
Klingt nicht, als hätten Sie das gern getan.
Ilkay Gündogan: Natürlich hat uns das keine große Freude bereitet, aber da mussten wir durch, Montag bis Freitag, zwei Wochen lang. Als ich dann mit 16 zum VfL Bochum ging, musste ich auch in den Ferien trainieren. Da war ich raus aus der Nummer, mein Bruder aber musste weiter ran. Das hat ihn ein wenig genervt.
Plagte Sie das schlechte Gewissen?
Ilkay Gündogan: (lacht) Nein. Ich war froh, dass ich die schweren Fässer nicht mehr tragen musste. Ich konnte meinen Papa davon überzeugen, dass ich für das Training fit sein musste. Außerdem: Der Job war ja nicht gerade ungefährlich. Diese Fässer waren verdammt schwer und es kam schon einmal vor, dass die einem auf den Fuß fielen.
Hilft die Erinnerung an die Ferien damals, das Leben als Fußball-Profi richtig einschätzen zu können?
Ilkay Gündogan: Ich denke, unser Vater wollte uns damit sagen, dass man hart arbeiten muss, wenn man in seinem Leben etwas erreichen will. Unsere Eltern haben auch immer darauf geachtet, dass wir unsere Hausaufgaben machen und dass wir mit guten Noten nach Hause kommen. Sie haben das gemacht, weil sie wollten, dass wir in unserem Leben mehr erreichen als Getränkekisten auszufahren. Heute sieht man, dass uns diese Kindheit nicht geschadet hat (lacht). Mein Bruder und ich sind nicht auf den Kopf gefallen. Irgendwann haben wir die Botschaft unseres Vaters verstanden.
Sind Sie bodenständiger als manche Berufskollegen?
Ilkay Gündogan: Man muss seine eigenen Erfahrungen machen. Als ich mein erstes eigenes Geld mit Fußballspielen verdient habe – es waren rund 3000 Euro – habe auch ich Fehler gemacht. Ich habe mir Klamotten gekauft, teure Schuhe und ein tolles Auto. Aber irgendwann hat es bei mir Klick gemacht, irgendwann habe ich gespürt und verstanden, dass mich das 30. Paar Schuhe und die 15. Jeans nicht glücklicher gemacht haben.
Was ist Ihnen heute wichtig?
Ilkay Gündogan: Eine gute Zeit mit den Menschen zu verbringen, die mir nahe stehen. Freunde, Familie – am liebsten im großen Kreis. Zusammen essen, reden. Das macht mich wirklich glücklich.
Respekt und Bodenständigkeit scheinen ihnen wichtig zu sein. Wie haben Sie den jüngsten Wechselexzess ihres ehemaligen Dortmunder Klubkollegen Pierre-Emerick Aubameyang zum FC Arsenal verfolgt?
Ilkay Gündogan: Ich nehme es wahr. In unserer gemeinsamen Zeit war er mir gegenüber stets höflich und voller Respekt. Pierre hat aber sicherlich seinen Anteil daran, wie das alles ablief.
Losgelöst vom Fall Aubameyang: Beobachten Sie angesichts streikender Spieler, die ihre Wechsel erzwingen, einen Sittenverfall im Fußball?
Ilkay Gündogan: Es ist kein schöner Trend, der sich gerade abzeichnet. Wenn man als Fußballer einen Vertrag mit einer gewissen Laufzeit abschließt, sollte man erwarten, dass er zumindest annähernd erfüllt wird. Es ist natürlich völlig normal, dass auch mal ein anderer Klub kommt, um den Spieler zu verpflichten. Dann muss man sich eben zusammensetzen und darüber sprechen. Wenn die Parteien sich einigen, kommt es zum Transfer. Wenn eine Partei sich dagegen ausspricht, hat der Spieler nicht das Recht, seinen Wechsel zu erzwingen.
Sie hatten während Ihrer Dortmunder Zeit auch Angebote anderer Klubs…
Ilkay Gündogan: 2013 konnte ich mir quasi aussuchen, wohin ich wechsle. Als sich abzeichnete, dass dies nicht funktioniert, habe ich das akzeptiert und weiter meine Leistung gebracht, damit der Klub erfolgreich bleibt. Ich habe die Entscheidung respektiert. Als dann das Angebot von Manchester City kam, haben wir uns zusammengesetzt und gemeinsam eine Lösung gefunden. Das ging sauber und respektvoll über die Bühne. Und ich darf sagen, dass ich stolz darauf bin, dass es so gelaufen ist. Der Klub und ich haben stets mit offenen Karten gespielt, da wurde kein falsches Spiel getrieben.
Sie haben Ihren auslaufenden Vertrag zuvor noch um ein Jahr verlängert, damit Dortmund eine Ablöseforderung stellen konnte.
Ilkay Gündogan: Ich hätte sicherlich mehr davon profitiert, wenn ich meinen Vertrag nicht verlängert hätte. Aber der Klub und ich hatten so Gewissheit, dass es noch ein Jahr weiterläuft. So konnten wir uns in aller Ruhe im Sommer zusammensetzen. Außerdem: Ich wollte zu meinem Wort stehen. Als ich aus Nürnberg kam und beim BVB meinen ersten Vertrag unterschrieb, haben wir gesagt: Sollte ich einmal den nächsten Schritt gehen, sollten beide Parteien davon profitieren. Der Klub und ich. Daran habe ich mich erinnert und keine Sekunde gezögert.
Wäre es für Sie ausgeschlossen, für einen Wechsel zu streiken?
Ilkay Gündogan: Das kann ich für mich absolut ausschließen.
Täte dem Fußball mehr Loyalität gut?
Ilkay Gündogan: Die Fälle, die jetzt Schlagzeilen gemacht haben, sind eher die Ausnahme. Es gibt auch viele Spieler, die sehr lange bei einem Klub spielen und ihrem Verein die Treue halten. Spieler, die den Klub mit Stil und Respekt wechseln, sind für mich auch nicht automatisch illoyal. Es gibt Spieler, die wollen immer den nächsten Schritt machen, sie wollen besser werden und wechseln nach zwei, drei oder vier Jahren den Klub. Das ist doch im normalen Berufsleben auch so. Deshalb ist das für mich auch vollkommen in Ordnung.
Problematisch wird es, wenn es nur noch ums Geld zu gehen scheint.
Ilkay Gündogan: Im Alter von 25 oder 26 nach China zu wechseln, halte ich auch für problematisch. Da stimme ich Ihnen zu.
Sie streben nicht nach China, sondern nach sportlichem Erfolg. Dafür beschäftigen Sie jetzt auch einen Privat-Koch. Wie kam es dazu?
Ilkay Gündogan: Im Klub haben wir Ernährungswissenschaftler, die uns mit allen wichtigen Informationen versorgen. Da hatte ich die Idee, ob ich nicht mal einen Koch ausprobieren sollte, der bei mir zu Hause am Herd steht. Das Essen ist klasse. Von Montag bis Freitag kommt er nun jeden Abend zu mir.
Haben Sie Ihre Ernährung umgestellt?
Ilkay Gündogan: Ich esse kaum noch Kohlenhydrate, eher Gemüse und gedünstetes Fleisch. Ich verzichte fast komplett auf weißen Zucker. Ich achte auf die Portionen, nicht zu viel und nicht zu wenig.
Haben Sie abgenommen?
Ilkay Gündogan: Ich war selber überrascht, wie gering mein Körperfettanteil ist. Er liegt bei 8,5. Damit liege ich im unteren Drittel der Mannschaft.
Das klingt, als seinen Sie stolz auf sich…
Ilkay Gündogan: (lacht) Ja. Ich gebe zu, das bin ich auch.
Ist Ihr geringes Gewicht auch spürbar auf dem Platz?
Ilkay Gündogan: Als ich mit Dortmund das Double gewann, war ich vier Kilogramm schwerer. Trotzdem fühlte ich mich sehr wohl.