Leverkusen. Der Ex-Dortmunder Sven Bender will mit Leverkusen den Bayern ein Bein stellen. Den Klubwechsel hat er keinen Tag bereut. Zu seinem Ex-Mitspieler Pierre-Emerick Aubameyang hat er eine klare Meinung.
Sven Bender kennt sie noch die gute, alte Schule. Fester Blick, kräftiger Händedruck und ein höfliches „Guten Tag“. Musterprofi eben. Der 28-Jährige, der im letzten Sommer für geschätzte zehn Millionen Euro von Borussia Dortmund zu Bayer Leverkusen wechselte, ist einer der Gründe, warum die Rheinländer in der Hinrunde einen Höhenflug hinlegten. Freitag erwartet der Tabellenvierte Spitzenreiter Bayern München zum Rückrundenauftakt. Wir sprachen mit dem „Charakterspieler“ (Bayers Sportchef Rudi Völler) über seinen Kultstatus in Dortmund, das Selbstwertgefühl der Bayern und den gläsernen Profi.
Sie sind ein Dortmunder Kultspieler...
Sven Bender: Ist das so?
Ja. Ihre Rettungstat im Pokalhalbfinale 2017 mit dem BVB gegen Bayern München beim Stand von 1:2, als sie einen Schuss von Arjen Robben von der Linie kratzten, gilt in Dortmund als Mutter aller Grätschen.
Bender (lacht): Es war wohl gut, dass ich danach Dortmund verlassen habe. So haben mich die Dortmunder Fans in guter Erinnerung behalten. Übrigens: Es gab noch eine Grätsche, die ebenfalls legendär war. 1997 im Champions-League-Halbfinale gegen Manchester United vollbrachte Jürgen Kohler auch so eine Tat. Sie hat letztlich ebenfalls zum Einzug ins Finale geführt.
Ihre Szene wird trotzdem ewig in Erinnerung bleiben. Wie haben Sie das erlebt?
Bender: Ich habe diesen Hype gar nicht so wahrgenommen. Das war mir nach dem Abpfiff gar nicht so bewusst. Als ich Robbens Ball abwehrte, stand es 1:2. Hätten wir das Spiel daraufhin nicht in einen 3:2-Sieg gedreht, wäre meine Grätsche auch nicht so in Erinnerung geblieben. Aber so kann man sagen: Es hat nicht geschadet, dass ich meinen geschundenen Körper in den Schuss warf. (lacht)
Die BVB-Fans trauern Ihnen nach. Spüren Sie noch die Zuneigung?
Bender: Das zeigt vielleicht, dass ich acht Jahre lang in Dortmund mit Herzblut gespielt habe. Das haben die Leute gemerkt. Dieses Anerkennung macht mich auch ein wenig stolz, das darf ich schon zugeben.
Vermissen Sie die Atmosphäre des Dortmunder Stadions?
Bender: Nein, ich wollte neue Erfahrungen sammeln.
Haben Sie den Wechsel bereut?
Bender: Nein. Ich treffe keine Entscheidung aus dem Affekt, sondern mit vollster Überzeugung. Ich habe den Wechsel noch keinen Tag bereut. Natürlich habe ich mich letztes Jahr gefragt: Soll ich das jetzt machen? Aber dann dachte ich: Vielleicht muss ich einmal an mich denken. Hinzu kam ja auch: Nach dieser Grätsche im Pokalspiel gegen die Bayern habe ich für Dortmund kein großes Spiel mehr gemacht. Da habe ich gedacht: Jetzt ist der richtige Moment gekommen, um Dortmund zu verlassen.
Vor der Saison dachte man, der BVB sei der einzige Klub, der den Bayern gefährlich werden könnte. Jetzt könnten Sie Freitag mit Bayer durch einen Sieg über den Rekordmeister der Liga noch etwas Hoffnung geben, dass es nicht zu langweilig wird im Rennen um den Titel. Hätten Sie das erwartet?
Bender: Wir würden den Bayern am Freitag schon gerne ein Beinchen stellen. Wir haben uns jetzt nach oben gearbeitet und wollen uns dort festkrallen. Zu Hause sind wir zudem noch ungeschlagen. Aber klar ist: Die Bayern hatten in der Vorrunde die unfassbare Qualität, Spiele zu gewinnen. Egal wie. Am Ende ist Fußball ein Ergebnissport. Und das beherrschen die Münchner perfekt. Sie sind gierig auf Siege, das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.
Ist es dieses berüchtigte Mia-sa-mia-Gefühl?
Bender: Es wirkt so, ja.
Ist die Meisterschaft entschieden?
Bender: Solange es rechnerisch noch nicht durch ist, ist im Rennen um den Titel noch alles offen.
Bender: "Mit Tuchel hatte ich keine Probleme"
Wie war die Zeit unter ihrem Ex-Trainer Thomas Tuchel, der Dortmund trotz großen Erfolges verlassen musste?
Bender: Ich kann nichts Negatives über ihn berichten. Er hat außergewöhnliches Fachwissen, das er uns weitergegeben hat. Er hat uns immer Pläne mitgegeben, deshalb waren wir stets super eingestellt auf den Gegner. Außerdem war das Training sehr herausfordernd.
Gab es zwischenmenschliche Probleme?
Bender: Ich hatte menschlich mit Thomas Tuchel überhaupt keine Probleme.
Ihr ehemaliger Kollege Pierre-Emerick Aubameyang macht den BVB mit seinen Extratouren ein wenig verrückt. Wie haben Sie ihn während ihrer Zeit in Dortmund erlebt?
Bender: Er ist ein Spieler, der gerne auffällt.
Muss man ihm die Freiheiten lassen? Und: Wann ist eine Grenze überschritten?
Bender: Er braucht wohl eine längere Leine als andere Spieler. Aber die Leine darf auch nicht zu lange werden, sonst wird sie dir aus der Hand gerissen. Er ist ein fantastischer Spieler, der mit seinen großartigen Leistungen gewisse Freiräume braucht. Zum Problem kann es werden, wenn diese Leistungen nicht mehr konstant abgerufen werden.
Sie sind weder auf Instagram, Twitter oder Facebook vertreten? Ist Sven Bender altmodisch?
Bender: Mal sehen, vielleicht werde ich doch noch einmal die sozialen Medien nutzen. Immerhin hat man damit die Chance, gewisse Werte zu vermitteln oder Leute zu erreichen, die man sonst nicht erreichen würde. Aber von mir wird es keine Fotos aus dem Mannschaftsbus geben oder Bilder vor einem protzigen Auto. Das bin ich nicht.
Der Fußball ist gläsern geworden, die Summen, die zirkulieren, sind irrwitzig. Wie schauen Sie auf diese Entwicklung?
Bender: Die Summen sind deshalb so gewaltig, weil im Fußball eben so viel Geld im Umlauf ist. Man muss allerdings aufpassen, dass sich der Fußball nicht so sehr von der Basis entfernt, vom Amateurfußball. Letztendlich machen wir doch alles das gleiche: Es laufen 22 Spieler dem Ball hinterher. Es darf nicht passieren, dass die Fußballer in den unteren Ligen das Gefühl haben, dass sie vergessen werden. Dass sie gar nicht mehr wissen, was da oben, im Profifußball passiert.
Lebt der Fußball in seiner eigenen Blase?
Bender: Man hat aktuell schon das Gefühl, dass die Sprünge der Ablösesummen immer kürzer und gewaltiger werden. Das kann aber auch nur eine Phase sein, die auf besondere Umstände zurückzuführen ist.
Verliert der Fußball seine Glaubwürdigkeit?
Bender: Diese Gefahr besteht, ja. Wir sollten auf der Hut sein und Vernunft walten lassen.
Sie wirken so, als sei dieser Zirkus an Ihnen vorbeigegangen.
Bender: Ich habe Glück gehabt, habe mich Schritt für Schritt entwickelt. Deshalb habe ich nie den Boden unter den Füßen verloren. Wenn ich nach Hause fahre, in meine Heimat, treffe ich meine Freunde, gehe auf den Berg, schaue mir die Landschaft an und denke: Da ist noch alles einfach. Das holt einen runter.
Wie gefällt ihnen Ihr Trainer Heiko Herrlich?
Bender: Cooler Typ. Extrem ehrgeizig.
Was heißt das?
Bender: Er ist nie zufrieden, weil er immer das Maximale erreichen will. Er fordert uns, es macht Spaß, mit ihm täglich zu arbeiten.
Warum sind Sie nie ins Ausland gegangen?
Bender: Die Verletzungen haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit Mitte 20 dachte ich daran, dass ich mir diesen Traum einmal erfüllen müsste. Aber dann wurde mir klar: Wenn ich diesen Schritt wage, will ich auch spielen. Nach meinen Verletzungen war das keine Option mehr.
Julian Brandt wird mit dem FC Bayern München in Verbindung gebracht. Glauben Sie, dass er zum Rekordmeister wechselt?
Bender: Wenn er eine Entscheidung trifft, muss er davon überzeugt sein. Ich denke, er hat sich noch nicht festgelegt. Er will hier spielen, seine Leistung bringen und Spaß haben. Er vermittelt mir das Gefühl, dass er froh ist, bei Bayer zu spielen. Ich denke auch, dass Leverkusen ihm gut tut, nicht zuletzt weil er hier auf seine Einsatzzeiten kommt. Außerdem muss er diesen Schritt zu einem ganz großen Verein ja auch nicht jetzt machen. Er ist noch jung und hat genügend Zeit.
Haben Sie die WM in Russland noch im Hinterkopf?
Bender: Nein. Daran verschwende ich keinen Gedanken.
Was hat Ihnen Ihre Mutter gesagt, nachdem klar war, dass Sie zusammen mit Ihrem Bruder Lars in einer Mannschaft spielen?
Bender (lacht): Sie hat sich gefreut, weil sie bei der Bundesligakonferenz nicht mehr hin- und herzappen muss.