Essen. Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff hat in seiner Heimat unsere Redaktion besucht. Er spricht über das Revierderby, die WM und Bundestrainer Joachim Löw .
Oliver Bierhoff war zu Besuch bei seinen Eltern im Essener Süden. „Meine Mutter hat gut gekocht“, berichtet der Manager der deutschen Nationalmannschaft, lächelt und schlägt die Schnittchen, die ihm in unserer Redaktion angeboten werden, freundlich aus. Ausführlich beantwortet er dann die Fragen der Redakteure.
In einem halben Jahr beginnt die WM in Russland. Glauben Sie, dass es eine Nation nach 60 Jahren wieder schafft, zum zweiten Mal in Folge Weltmeister zu werden?
Oliver Bierhoff: Möglich ist es. Wir haben gezeigt, dass wir als europäische Mannschaft auch in Südamerika den Titel gewinnen konnten. Das gelang zuvor noch keiner Nation aus Europa. Dann können wir es jetzt auch schaffen, den Titel zu verteidigen. Wir haben in der Mannschaft eine hohe Qualität und durch den Erfolg beim Confed-Cup die Konkurrenzsituation noch einmal erhöht.
Bundestrainer Joachim Löw hat unlängst betont, dass jeder den Weltmeister schlagen will.
Bierhoff: Wir gehören natürlich zu den Favoriten, aus dieser Rolle können wir uns auch nicht herausstehlen. Wenn wir uns zusammenreißen, können wir es schaffen.
Kann man trotz dieser ehrgeizigen sportlichen Zielsetzung die aktuellen politischen Gegebenheiten ignorieren? In Russland werden Menschenrechte verletzt. Wie gehen Sie mit der Nationalmannschaft als Vertreter eines demokratischen Deutschlands damit um?
Bierhoff: Natürlich halten wir Augen und Ohren geöffnet und beobachten die Lage sehr genau. Ich finde aber schon, dass man den Sport nicht verantwortlich machen sollte, Probleme zu überwinden, die auch die Politik nicht lösen kann. Für uns als Sportler ist es wichtig, Begegnungen zu schaffen, den Menschen offen entgegenzutreten, wir suchen immer wieder das Völkerverbindende. Als Mannschaft wollen wir auch dafür stehen, wie man miteinander umgehen sollte. Respektvoll, freundlich, offen, tolerant. Bei uns spielen Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, politische oder sexuelle Gesinnung keine Rolle.
Wird es eine Art Fibel geben, wie die Spieler sich zu verhalten haben?
Bierhoff: Vor dem Confed-Cup haben wir mit der Mannschaft in lockerer Form ein Quiz gemacht, um ihnen auf spielerische Art Land und Leute näher zu bringen. So etwas planen wir auch vor der WM, damit die Spieler ein Gespür für die Menschen und die Mentalität des Landes bekommen. Darüber hinaus erhalten sie Hintergrundinformationen über unsere spezielle Mannschafts-App.
Die Entscheidung für die WM 2022 in Katar und deren Folgen hat viel Vertrauen zerstört. Glauben Sie, der Fußball lernt daraus?
Bierhoff: Ja. Auch wir haben aus der Krise um die WM 2006 gelernt. Bei der Vergabe von großen Events muss man transparent arbeiten.
Berührt es Sie persönlich, wenn eine Fußball-Lichtgestalt wie Franz Beckenbauer im Zuge des WM-Skandals um das Sommermärchen zu einer Persona non grata degradiert wird, die nicht mehr in Erscheinung tritt?
Bierhoff: Ja. Es tut weh, dass ein Franz Beckenbauer, der als Spieler und Teamchef so viel für den deutschen Fußball geleistet hat, nun in einem derart schlechten Licht steht. Generell aber gilt: Wer sich falsch verhält, vor allem in einer herausgehobenen Führungsposition, muss die Verantwortung übernehmen.
Sollte man die Umstände der WM-Vergabe an Deutschland aufklären oder ruhen lassen?
Bierhoff: Aufklären, ganz klar. Das hat die neue DFB-Führung auch bestmöglich und mit viel Engagement getan.
Glauben Sie angesichts der vielen Skandale und der wahnwitzigen Ablöse- und Gehaltssummen, dass sich der Fußball von seiner Basis immer weiter entfernt?
Bierhoff: Das Wichtigste ist, dass die Spiele spannend und interessant sind. Wichtig ist auch, dass trotz dieser Summen sauber gearbeitet wird. Der Fan muss spüren, dass er nicht getäuscht wird.
Wie haben Sie das Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 erlebt?
Bierhoff: Das waren große Emotionen. Das war Fußballwahnsinn pur, wie er eigentlich nur im Ruhrpott vorkommt. So ein Spiel macht den Reiz des Fußballs aus. Daran hat man auch gesehen, wie attraktiv die Bundesliga sein kann.
Dürfen Sie bedauern, dass Borussia Dortmund es wieder nicht schaffen wird, den Alleingang von Bayern München zu stoppen?
Bierhoff: Da bin ich neutral, aber nicht, weil ich das als Manager der Nationalmannschaft sein müsste. Ich hoffe natürlich, dass die Bundesliga- Klubs auch international erfolgreich sind, möglichst mit vielen deutschen Spielern. Das ist leider seit einigen Jahren ein wenig rückläufig. Bei Bayern München stehen teilweise nur zwei deutsche Spieler in der Anfangsformation, beim BVB vielleicht drei, nur einer davon Nationalspieler. Im Champions-League-Finale zwischen Bayern und Dortmund 2013 standen in jeder Mannschaft fünf, sechs deutsche Nationalspieler. Ich bin ein großer Freund davon, dass viele deutsche Spieler bei den deutschen Topmannschaften spielen und damit das Gerüst der Nationalmannschaft bilden.
Wie sollte sich Leon Goretzka entscheiden? Soll er auf Schalke bleiben, zu den Bayern gehen oder den Sprung ins Ausland wagen?
Bierhoff: Für seinen weiteren Weg in der Nationalmannschaft ist es das Beste, kontinuierlich zu spielen.
Das wäre auf Schalke gewährleistet. Oder wäre er dank seiner herausragenden Qualitäten unterfordert?
Bierhoff: Das glaube ich nicht. Er könnte große Verantwortung übernehmen, was sicher auch gut für die Entwicklung der Persönlichkeit wäre. Natürlich – das sehen wir gerade bei Julian Draxler – profitiert man automatisch auch selbst davon, wenn man täglich mit den Besten trainiert. Das Niveau in Paris, bei den Bayern oder in Barcelona ist natürlich höher. Am Ende wird es bei ihm wahrscheinlich eine Bauchentscheidung werden.
Was raten Sie ihm?
Bierhoff: Ich weiß, dass er sich viel Zeit nimmt für Gespräche mit seinen engsten Beratern. Ich kann ihm nur raten: Höre dir alles an, besprich dich mit deiner Familie und deinen Freunden. Aber dann nimm Dir Zeit, höre in Dich hinein, und entscheide du allein.
Wird Joachim Löw auch nach der WM 2018 Bundestrainer bleiben?
Bierhoff: Ja. Davon gehe ich fest aus.
Auch, wenn er frühzeitig scheitert oder den WM-Titel verteidigt?
Bierhoff: Er hat großen Spaß an seinem Job. Er wird sein Wirken nicht von einem Spiel abhängig machen. Man weiß natürlich nie, was passiert, wenn es extrem wird. Wenn ich aber wetten würde, würde ich darauf setzen, dass er auch 2020 noch Bundestrainer ist. Es gibt nun mal nur eine Mannschaft (lacht). Die Annehmlichkeit, mit den besten Spielern Deutschlands arbeiten zu können, macht diesen Job einzigartig.