Sotchi. Volle Stadien, gute TV-Verträge und Talente: Oliver Bierhoff, Manager der Nationalelf, sieht im großen Interview trotzdem Gefahr und warnt.
- Die Stadien sind voll, die TV-Verträge gut und es gibt im deutschen Fußball viele Talente
- DFB-Manager Oliver Bierhoff sieht trotzdem Gefahren
- Ein Interview
Am Freitag schlüpfte Oliver Bierhoff in die Rolle des Außenministers des deutschen Fußballs. Der 49-jährige Manager der Nationalmannschaft, der in Essen aufgewachsen ist, lobte überschwänglich die Bedingungen in Sotschi („Tolles Hotel, kurze Wege, wir fühlen uns sicher“) und formulierte ein ehrgeiziges Ziel: „Wir wollen ins Endspiel des Confed-Cups“. Eine andere Rolle nahm er im Gespräch mit dieser Zeitung ein. Er warnt, die Erfolge für selbstverständlich zu halten und fordert ein Umdenken ein.
Herr Bierhoff, Sie haben ein Angebot eines europäischen Top-Klubs vorliegen, der Sie als Sportvorstand verpflichten möchte. Werden Sie den DFB verlassen?
Oliver Bierhoff: Es wird immer wieder viel geredet und spekuliert. Nur soviel: Ich hätte bereits in den letzten Jahren etwas anderes machen können. Aber ich habe beim DFB einen Vertrag bis 2020. Ich empfinde eine hohe Loyalität zu meinem Team. Dazu kommt das unglaublich spannende Projekt DFB-Akademie. Obwohl es wegen der baulichen Verzögerung keine einfache Zeit ist, will ich dieses Projekt zur Weiterentwicklung des Fußballs und Positionierung des DFB verwirklichen. Deshalb kommen für mich zur Zeit keine anderen Aufgaben in Frage.
Das ist schwer zu glauben. Es heißt, dass Sie mit Ihren Ideen die DFB-Führung überfordern. Im Gegenzug dauern Ihnen die Entscheidungen zu lange.
Bierhoff: Tatsächlich arbeite ich gut mit Präsident Reinhard Grindel und Generalsekretär Friedrich Curtius zusammen. Das heißt aber nicht, dass wir immer der gleichen Meinung sind. Ein bisschen Reibung gehört dazu. Darin sehe ich auch meine Aufgabe. Ich möchte immer wieder neue Impulse und Reize setzen, um den Sport im Verband weiter zu entwickeln.
Deutschland ist Weltmeister. Die Bundesliga boomt. Reicht Ihnen nicht der Status Quo?
Bierhoff: Nein. Ich denke, wir sind in Deutschland an einem Punkt angekommen, an dem wir aufpassen müssen, dass wir unsere Spitzenposition nicht wieder aufgeben. Dass wir nicht zu selbstverliebt in unsere Erfolge sind.
Ist der deutsche Fußball zu satt?
Bierhoff: Es gibt Tendenzen, die einen zum Nachdenken bringen. Wir müssen aufpassen, dass wir gewisse Fehlentwicklungen nicht verschlafen, nur weil wir volle Stadien, gute TV-Verträge und viele junge Talente haben. Dennoch schaffen wir es im Juniorenbereich im Moment nicht, Titel zu holen oder entscheidende Momente für uns zu nutzen. Ein anderes Beispiel: Wir haben vier Schweizer Torhüter in der Bundesliga, das ist ein Zeichen, dass die Schweizer in der Ausbildung etwas richtig machen.
Wer ist Wir?
Bierhoff: Wir ist der gesamte deutsche Spitzenfußball, Nationalmannschaft natürlich eingeschlossen. Wir müssen wir den Mut haben, immer wieder Veränderungen vorzunehmen, uns in Frage zu stellen und unsere Programme weiterentwickeln.
Ihre Worte erinnern an das Jahr 2002. Damals lag der deutsche Fußball am Boden. Das kann man doch nicht mit der aktuellen Situation vergleichen.
Bierhoff: Wir haben nach dem WM Titel 1990 geglaubt, ohne akribische Arbeit top zu bleiben. Mit dem Programm von 2002 haben wir, gemeinsam mit den Vereinen, unglaublich viel erreicht. Das sieht man an der Qualität der heutigen Spieler. Aber: Wir haben sehr viele gleiche Spielertypen, zu wenig Vielfalt in der Ausgestaltung der Persönlichkeiten. Wir sind zu systemverhaftet und haben dabei wir die individuellen Stärken wie Dribbling, Kopfballspiel oder das Abwehrverhalten vernachlässigt. Diese Themen müssen wir aufgreifen und korrigieren.
Plädieren Sie für einen Runden Tisch, an dem der DFB und die Klubs sitzen?
Bierhoff: Ich weiß nicht, ob das an einem Runden Tisch stattfinden muss. Generell aber sollte der deutsche Fußball in den großen Fragen Geschlossenheit demonstrieren und gemeinsam auftreten. Das ist nicht nur sportpolitisch sondern vor allem im sportlichen Bereich gemeint. Wir haben unterschiedliche Arbeitsfelder. Wir können uns das im sportlichen Bereich alles gut zum Wohl des Ganzen aufteilen. Die Ausbildung der Spieler geschieht in den Klubs. Aber wir als Verband sorgen für Strukturen und für Inhalte, sind für die Ausbildung der Trainer und Schiedsrichter zuständig. Und in unseren Nationalmannschaften bekommen die Spieler den letzten Schliff. Wenn wir in der Entwicklung Hand in Hand gehen, profitieren sowohl Liga als auch der Verband. In den vergangenen zwei Jahren wurde sehr viel über politische und wirtschaftliche Dinge gesprochen. Jetzt ist es an der Zeit, über Sport zu reden.
Dann wäre es doch sinnvoll, wenn der DFB seinen neuen Sportdirektor installiert. Oder ist die Übergangslösung Horst Hrubesch eine Dauereinrichtung?
Bierhoff: Generell muss der Sportdirektor in das Anforderungsprofil des DFB passen. Horst Hrubesch erfüllt aus meiner Sicht aber die Rolle in dem bestehenden Team schon sehr gut. Ich freue mich sehr, ihn an meiner Seite zu haben. Er arbeitet leidenschaftlich und mit großer Freude, er hat ein großes Herz und ist ein Sympathieträger. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch eine dauerhafte Lösung werden könnte.
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So einen Mann wie Horst Hrubesch kann ein Verband, dessen Ansehen in Teilen der Fangemeinde schwer angekratzt ist, doch gut gebrauchen. Was denken Sie, wenn Ihr Verband als Fußballmafia bezeichnet wird?
Bierhoff: Ich sitze im Präsidium und sehe täglich, wie viele Gedanken wir uns über die Amateurklubs, den Nachwuchs oder über soziale Projekte machen. Der DFB tut so viel Gutes an der Basis und auf gesellschaftlicher Ebene. Aber die Gefahr ist natürlich da, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr differenziert wird, da wird auch vieles vermengt mit Vorgängen bei anderen großen Sport-Organisationen. Und selbstverständlich gibt es die Vorgänge und Untersuchungen rund um die WM 2006, die den Verband beschäftigen. Aber ich habe das Gefühl, dass diese Diskussion viele Menschen mittlerweile langweilt.
Die Umstände des Pokalfinales haben das negative Bild des DFB noch einmal verfestigt…
Bierhoff: Auf der einen Seite tut es weh, was da auf den DFB einprasselt. Auf der anderen Seite ist es auch nicht ganz neu. Ex-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder wurde ausgepfiffen, Theo Zwanziger wurde kritisiert und auch ich erlebe schon auch mal die eine oder andere Beschimpfung. Das darf man einfach nicht persönlich nehmen, und Emotionen gehören ja zum Fußball dazu.
Haben Sie im Vorfeld des Confed-Cups versucht, Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufzunehmen?
Bierhoff: Nein. Für uns ist es wichtig, auf unserer Ebene, also über den Sport, Brücken zu bauen. Die Politik ist eine weitere Ebene, auf diesem Parkett müssen sich auch Politiker bewegen. Das darf man nicht von eine Fußballmannschaft verlangen. Man darf nicht erwarten, dass wir die Probleme lösen, die auch Politik nicht bewältigt. Was wir können, ist, Freude am Spiel zu vermitteln und auf die Menschen zuzugehen. Wir können Begegnungen schaffen. Und für Werte einstehen: für Offenheit, Vielfalt, Toleranz. Und wir können uns positionieren gegen Gewalt und jede Form von Diskriminierung. Das tun wir.
Gibt es in Russland einen Verhaltenskodex für die Nationalspieler? Dürfen Sie sich zum Beispiel zu aktuellen politischen Themen äußern?
Bierhoff: Wir haben die Themen aufgelistet und werden dies entspannt mit der Mannschaft besprechen. Grundsätzlich darf jeder das sagen, was er möchte. Es gibt keinen Maulkorb.
DFB-Präsident Grindel hat sich gegen eine WM 2022 in Katar ausgesprochen, wenn die Vorwürfe stimmen sollten, dass der Wüstenstaat den Terror finanziert. Stimmen Sie mit Ihm überein?
Bierhoff: Die Vergabe von Großereignissen muss in Zukunft anders beleuchtet werden als in der Vergangenheit. Man wünscht sich, dass Turniere in Ländern veranstaltet werden, in denen moralische Werte gelebt und akzeptiert werden. Aber man muss dabei berücksichtigen, dass unsere Werte nicht auf alle anderen Länder übertragen werden können. Insofern muss man abwägen, was genau in Katar dahintersteckt. Ich empfinde die Schwarz-Weiß- Diskussion manchmal als ein wenig heuchlerisch. Man kann diese Länder nicht verurteilen und gleichzeitig nach Dubai in den Urlaub fliegen. So macht man es sich zu einfach.
In Russland wird Julian Draxler die Mannschaft als Kapitän auf das Feld führen. Wie hat er sich entwickelt?
Bierhoff: Sehr gut. Es zeigt auch wieder, dass ein Wechsel ins Ausland einem Spieler gut tun kann. Wäre Julian weiter In Deutschland geblieben, wären der Druck und die Erwartungshaltung riesengroß gewesen. Durch seinen Wechsel ist er ein bisschen aus dem Fokus geraten. Und so konnte er sich in Paris freischwimmen. Ich kenne es ja aus eigener Erfahrung: Als Spieler hat man im Ausland mehr Zeit und Ruhe um in der Persönlichkeit zu reifen.
Der Confed-Cup galt lange als Schimpfwort. Er sei überflüssig und gehöre abgeschafft. Wenn man den deutschen Spielern glauben kann, ist von einer Lustlosigkeit nichts zu spüren. Sie brennen sogar darauf. Wie sehen Sie das Turnier?
Bierhoff: Die Aussagen der Spieler haben mich sehr gefreut. Ich bin davon überzeugt, dass in diesem Turnier einige Spieler einen großen Schritt nach vorne machen werden und uns bei der WM 2018 weiterhelfen können.
Joachim Löw ist bereits seit 13 Jahren beim DFB. Haben Sie keine Befürchtung, dass er irgendwann keine Lust mehr auf diesen Job verspürt?
Bierhoff: Er hat bis 2020 unterschrieben. Er macht das nicht leichtsinnig. Ihm macht die Arbeit Freude. Das ist ein Job, der gut auf ihn zugeschnitten ist. Und er hat Spaß daran, die Mannschaft weiter entwickeln.
Könnte er sich abnutzen?
Bierhoff: Nein. In der Nationalmannschaft gibt es einen kontinuierlichen Neuerungsprozess.
Toni Kroos ist hat gerade zum dritten Mal die Champions-League gewonnen. Hätten Sie ihm das zugetraut?
Bierhoff: Er hatte schon immer die Qualität. Aber jetzt hat er dazu noch Konstanz, Präsenz, Ruhe und Souveränität. Es ist kein Zufall, dass er sich bei Real Madrid durchgesetzt hat. Für mich ist er derzeit der weltbeste Spieler auf seiner Position.
Kroos ist 27 Jahre alt. Mit 30 könnte er aufhören. Woran liegt es, dass immer mehr Spieler immer früher Ihre Karriere beenden?
Bierhoff: Generell ist die Gefahr groß, dass Spieler sich heute bereits mit 29, 30 Jahren im Kopf leer fühlen. Das hat Gründe: Von klein auf hetzen sie von Training zu Training. Dazu kommt das immer höher werdende Tempo im Spiel. Die gesamte Intensität geht an die Substanz.
Man müsste den Fußball entschleunigen…
Bierhoff: Wie unser gesamtes Leben, da haben Sie Recht. Aber wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Wissen Sie etwa noch, wer vor vier Jahren die Champions-League gewonnen hat? Früher gab es die Beckenbauer oder Maradona-Ära, die zehn Jahre lang andauerte. Das ist heute für die Superstars kaum noch möglich.