Bremen. Zum Abschied nach 35 Jahren von Werder Bremen gab es auch für Willi Lemke noch einmal ein Novum. “Sechs Stunden bei einer Jahreshauptversammlung habe ich auch noch nie erlebt“, sagte der 70-Jährige nach der Marathon-Sitzung, die das Ende bei seinem Herzensverein endgültig besiegelte.
"Ich gehe schon wehmütig von Bord. Die sportliche Situation ist grottenschlecht. Das tut sehr weh. Jetzt kann ich mich nicht mehr einbringen", sagte Lemke.
"Historisch" war eine Beschreibung für die Mitgliederversammlung des Stammvereins des Drittletzten der Fußball-Bundesliga, die von den Verantwortlichen oft bemüht wurde. Historisch, weil der wohl berühmteste Funktionär, den Werder je hatte, nach mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr in verantwortlicher Position gewünscht ist. Und historisch, weil die Kritikkultur bei Werder Einzug gehalten hat - was die Versammlung in die Länge zog.
"Jetzt habe ich aber Durst wie ein Pferd", verkündete Club-Präsident Hubertus Hess-Grunewald tief in der Nacht. Die Sitzung war anstrengend für viele. Es rumort an der Basis - das war am Montagabend deutlich zu spüren und daran konnte auch der erste Gewinn (2,8 Millionen Euro) seit 2011 nichts ändern. "Wir haben ein schlechtes Gefühl in der Magengrube", bezeichnete dies Hess-Grunewald nach vier Bundesligapleiten in Serie.
Doch die Unzufriedenheit liegt nicht nur an der wieder einmal sportlich schwierigen Situation vor dem brisanten Nord-Derby am Samstag beim Tabellenletzten Hamburger SV. Auch die Aufsichtsratswahl und damit indirekt Lemkes Abschied sorgte für kritische Stimmen bei einer Veranstaltung, bei der Misstöne jahrelang unterdrückt worden waren, bis es sie schließlich gar nicht mehr gab.
Dies war am Montag anders. "Sind wir denn nur noch das Stimm-Vieh?", fragte das besonders kritische Mitglied Detlev Reichelt. Bei einigen Werderanern entstand der Verdacht, dass ein Umbruch des Aufsichtsrats mit Gewalt durchgesetzt werden sollte. Die von einer Kommission vorgeschlagenen Kurt Zech, Andreas Hoetzel und Thomas Krohne wurden erst am Montag vorgestellt und standen nur gemeinsam zur Wahl. Eine Einzel-Abstimmung gab es ebensowenig wie über Lemke.
Neben dem langjährigen Manager und früheren Chef des Kontrollgremiums waren auch Ex-Profi Hans Schulz und Werner Brinker nicht mehr zur Wahl vorgeschlagen worden. Lemke machte ziemlich deutlich, dass ihn das schmerzte: "Wenn man mich gebeten hätte, hätte ich ja weiter gemacht. Aber das wollte man nicht. Das habe ich zu akzeptieren."
Hess-Grunewald deutete bei seiner Verabschiedung an, warum der stets unbequeme Lemke künftig kein Amt mehr haben soll: "Du warst streitbar, bist streitbar und wirst immer streitbar bleiben."
Lemke verlässt den Club in schwierigen Zeiten. Bemerkenswert offen gestand Sportchef Frank Baumann nach nur wenigen Monaten im Amt eigene Fehler ein, etwa das Festhalten an Trainer Viktor Skripnik nach dem mühevoll geschafften Klassenverbleib im Sommer. "Wir sind in der ersten Runde im Pokal ausgeschieden, haben uns früh in der Saison von Viktor trennen müssen und nach elf Spielen schon 29 Gegentore. Ich übernehme die Verantwortung dafür als Geschäftsführer Sport", sagte Baumann erstaunlich demütig und bekam dafür Applaus.
Solche Offenheit hätte sich Lemke offenbar auch vom Aufsichtsratschef Marco Bode gewünscht. Erstaunlich lapidar antwortete der frühere Nationalspieler auf Kritik an ihm und dem Umbau des Gremiums. "Da war einiges Unwahres dabei", sagte Bode, ohne die angeblichen Unwahrheiten zu benennen. "Da sollte der Aufsichtsrat schon auch sagen: Welche Fehler haben wir eigentlich gemacht?", rügte Lemke dies später, kurz bevor er um 0.57 Uhr ein letztes Mal lautstark das traditionelle "Hipp, Hipp, Hurra" zum Ende der Werder-Versammlung krakeelte und danach fluchtartig die Bühne verließ.