Essen. Die Bundesstaatsanwaltschaft der Schweiz führt ein Strafverfahren gegen Beckenbauer, Niersbach, Zwanziger und Schmidt. Hintergrund ist die WM 2006.
Gegen Franz Beckenbauer und drei andere ehemalige Größen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) laufen strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit ominösen Millionenzahlungen im Vorfeld der WM 2006. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hat jetzt bekannt gegeben, dass sie im November 2015, drei Wochen nach den Enthüllungen des Nachrichtenmagazins Spiegel, ein Strafverfahren einleitete. Am Donnerstag wurden in der Schweiz und Österreich, offenbar auch am Wohnort von Beckenbauer in Salzburg, Hausdurchsuchungen und Vernehmungen durchgeführt. Die Maßnahmen erfolgten gemäß Mitteilung der Bundesanwaltschaft „in enger Koordination und Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden Österreichs sowie Deutschlands und unterstützt vom Bundesamt für Polizei“.
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Dass ein Strafverfahren geführt wird, überrascht nicht und war nach den Enthüllungen zwangsläufig. Die Schweizer Behörden mussten von Amts wegen ermitteln. Es erstaunt allerdings, dass Befragungen und Hausdurchsuchungen erst zehn Monate nach Verfahrenseröffnung durchgeführt wurden. Ermittelt wird gegen Franz Beckenbauer, Horst R. Schmidt, Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger wegen des Verdachts des Betruges, der ungetreuen Geschäftsbesorgung, der Geldwäsche und Veruntreuung. Die vier Präsidiumsmitglieder des Organisationskomitees der WM 2006 waren unterschiedlich in den dubiosen Zahlungsfluss von 6,7 Millionen Euro verwickelt – von aktiver Täterschaft und Legendenbildung bis zur Mitwisserschaft.
Das Geld wurde vom damaligen, inzwischen verstorbenen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus als sogenanntes Darlehen bereitgestellt, wurde im WM-OK bewusst falsch verbucht als angeblicher Beitrag für die abgesagte WM-Gala der Fifa – und versickerte letztlich auf dem Firmenkonto des wegen Korruption lebenslang gesperrten ehemaligen Fifa-Exekutivmitglieds Mohamed Bin Hammam aus Katar.
Schadenssumme etwa eine Viertelmilliarde Dollar
Eine Kernfrage lautet seit Herbst 2015, ob Bin Hammam damit Stimmen für die deutsche WM-Bewerbung organisiert hatte. Das schwer korrupte Fifa-Exekutivkomitee sprach Deutschland die WM 2006 im Juli 2000 mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika zu.
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Bin Hammam spielte bei der von Korruptionsvorwürfen überschatteten Vergabe der WM 2022 an das Emirat Katar ebenfalls die entscheidende Rolle. Die Bundesanwaltschaft der Schweiz ermittelt auch in diesem spektakulären Kriminalfall des Weltverbandes Fifa sowie zur Vergabe der WM 2018 an Russland. Zugleich kooperieren die Schweizer eng mit dem amerikanischen Justizministerium, das bereits mehr als 40 Fußballfunktionäre und Firmen aus dem Fifa-Reich wegen großflächiger Korruption, Geldwäsche, bandenmäßiger Verschwörung, Erpressung, Steuerbetrugs und anderer schwerer Delikte angeklagt hat.
Mehr als die Hälfte der Angeklagten ist geständig. Die Schadenssumme beläuft sich bisher auf mindestens eine Viertelmilliarde Dollar. Nahezu jedem Angeklagten drohen Gefängnisstrafen.
Die Bundesanwaltschaft weist darauf hin, dass für die vier DFB-Größen die Unschuldsvermutung gelte. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, drohen den Verantwortlichen Haftstrafen von drei bis maximal fünf Jahren.
Auch DFB drohen Konsequenzen
Im Fokus der Ermittler steht vor allem Beckenbauer. In Deutschland laufen gleichzeitig Ermittlungen der Steuerfahndung, die bereits am 3. November 2015 Hausdurchsuchungen durchgeführt hatte. Wegen Steuerbetruges drohen dem einstigen DFB-Präsidenten Niersbach mehrere Jahre Haft – und dem DFB rückwirkend die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, was horrende Steuernachzahlungen bedeuten würde.
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Niersbachs Amtsvorgänger Theo Zwanziger hatte die Vorgänge rund um die WM 2006 im Herbst 2015 scharf kritisiert, von einer „schwarzen Kasse“ und vom Stimmenkauf gesprochen und seine Vorwürfe teilweise belegen können. Niersbach musste nach einem Urteil der Fifa-Ethikkommission inzwischen seine fürstlich dotierten Posten als Exekutivmitglied der Fifa und der Uefa abgeben. Er wurde für ein Jahr für alle Fußballfunktionen gesperrt, spielte aber in der Bewerbung des DFB für die Europameisterschaft 2024 bis dahin eine wichtige Rolle, obwohl er das DFB-Präsidium in Sachen WM 2006 getäuscht hatte.
Bei der Präsentation des DFB-internen Untersuchungsberichts der Anwaltskanzlei Freshfields war im März 2016 die Unvollständigkeit der Unterlagen betont worden. Akten lagen nur teilweise vor. Aus den Unterlagen, die von der Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung und der Schweizer Bundesanwaltschaft sichergestellt wurden, können sich weitere Anhaltspunkte für mögliche Straftaten ergeben.