Dortmund. Der Ex-Nationalspieler Marcell Jansen spricht im Interview über seinen Herzensklub Borussia Mönchengladbach. Er hat auch einen Rat für Leroy Sané.

Da steht er nun, der neue Marcell Jansen. Die Haare zurückgegelt, enge Jeans, Jackett, bunte Turnschuhe. Der 30-Jährige erinnert ein Dreivierteljahr nach seinem überraschenden Karriereende kaum noch an den kämpfenden Linksverteidiger beim Hamburger SV, sondern passt eher in ein hippes Werbe-Büro. Aus dem Bundesliga-Spieler ist der Unternehmer Jansen geworden. Und der vermarktet bei seinem Vortrag vor dem Marketing Club Dortmund vor allem sich selbst. Vorhang auf für den ersten deutschen Fußballprofi, der seine Karriere freiwillig mit 29 Jahren beendet hat.

Herr Jansen, das Dortmunder Stadion liegt nicht weit entfernt. Bereuen Sie, dort nicht mehr aufzulaufen?

Marcell Jansen: Nein. Überhaupt nicht. Es fehlen mir natürlich Dinge, und es ist eine gewisse Traurigkeit dabei. Aber ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Damit geht es mir sehr gut.

Ich bin 29 Jahre alt, mein Berufsleben beginnt gerade. Sie haben ihre Karriere schon hinter sich. Wie macht man da weiter?

Marcell Jansen: Genau weil ich mir diese Frage gestellt habe, habe ich aufgehört. Ich habe bei drei geilen Vereinen gespielt, habe eine tolle Karriere gehabt, für die ich sehr dankbar bin. Aber da ich sehr ehrgeizig bin, brauche ich neue Herausforderungen. Und die habe ich nicht, wenn ich immer nur der bin, der mal gemacht hat.

Was würden Sie jemandem wie Lukas Podolski sagen, der genau den anderen Weg geht und jetzt im Alter von 30 versucht, seine Karriere bei Galatasary Istanbul in der Türkei am Laufen zu halten?

Marcell Jansen: Ich würde nicht sagen, dass es ein anderer Weg ist. Es ist ein guter und legitimer Weg. Poldi ist mit Leib und Seele Fußballer. Er passt nach Istanbul, und er ist ein Mensch, der den Fußball lebt und sich im Moment noch nichts anderes vorstellen kann. Bei mir war es eine ganz andere Ausgangsposition. Ich habe schon mit 23 angefangen, mich für andere Sachen neben dem Fußball zu interessieren.

Und was entgegnen Sie Leuten, die sagen: Fußballer verdienen zu viel, wenn sie mit 29 aufhören können?

Marcell Jansen: Auch der Fußball ist nun mal ein Markt, der von Nachfrage und Angebot bestimmt wird. Ja, ich habe sehr gut verdient, hatte aber auch einen guten Finanzberater, der mich für später vorbereitet hat. Für mich hat Geld noch nie so eine große Rolle gespielt. Ich habe immer das Gefühl gehabt, Reich zu sein. Auch, als ich mit meiner Familie noch in einer Wohnung mit 60 Quadratmetern gelebt habe und meine Eltern morgens um vier, fünf Uhr das Haus verlassen haben. Ich hatte trotzdem das Geld in der Tasche, um mir am Kiosk Fußballkarten zu kaufen. Ich habe nicht aufgehört, um mich auf die Couch zu legen, weil ich so viel verdient habe. Ich habe aufgehört, weil ich noch was bewegen möchte.

Verdienen Spieler denn zu viel?

Marcell Jansen (rechts) mit unserem Redakteur Marian Laske
Marcell Jansen (rechts) mit unserem Redakteur Marian Laske © Funke

Marcell Jansen: Das Geld im Fußball ist deswegen ein Problem, weil es zu viele Leute gibt, die mit verdienen wollen.

Zum Beispiel?

Marcell Jansen: Das sind vor allem die Spielerberater. Sie versuchen an die jungen Spieler heranzukommen und nutzen die Naivität aus, die man als 19- oder 20-Jähriger eben noch hat. Das liegt nicht daran, dass Fußballer dumm sind, sondern dass sie schon sehr jung aus ihren Umfeld heraus müssen und über jede Hilfe dankbar sind. Fußballprofis leben dann in einer Seifenblase.

Was meinen Sie damit?

Marcell Jansen: Die Leuten sagen dir immer, konzentriere dich nur auf den Fußball, den Rest erledigen wir. Wenn du dann mit 35 aufhörst, musst du zum ersten Mal einen Brief alleine öffnen. Der Berater ist jetzt weg. Ein Fußballer muss sich nach dem Karriereende auf einmal mit den einfachen Dingen des Lebens befassen. Das ist wie ein Kulturschock.

Sie haben schon im jungen Alter von 23 Jahren den Schritt zum FC Bayern gewagt. Würden Sie einem talentierten Spieler wie Leroy Sané raten, schon früh zu einem Topklub wechseln?

Marcell Jansen: Das muss jeder selber einschätzen. Die Frage ist: Ob er es schon einschätzen kann. Und dann muss er gute Leute haben, die ihn beraten. Das muss man individuell bewerten: Würde es dem Jungen gut tun? Und am Ende muss er dann auch die Verantwortung übernehmen, eine Entscheidung selbst zu treffen. Denn die Erfahrungen, die man da macht, die sind gut. Auch wenn sie einen dann mal umhauen.

Sie sind von 2007 bis 2008 nur ein Jahr bei den Bayern geblieben, waren Stammspieler, wurden Meister und Pokalsieger. Wie war das Jahr beim Rekordmeister?

Marcell Jansen: Komischerweise habe ich in diesem Jahr zum ersten Mal gemerkt, dass es noch mehr geben muss neben dem Fußball. Ich saß zuhause auf der Couch. Dachte, ich habe jetzt noch vier Jahre Vertrag, bin beim größten deutschen Verein, aber ich bin trotzdem nicht glücklich. In München habe ich angefangen, auch selbst etwas auf die Beine zu stellen.

Was haben sie gemacht?

Marcell Jansen: Ich fand die Fan-Kleidung damals langweilig und wollte etwas kreativeres machen. Also habe ich ein T-Shirt für die kommende Europameisterschaft 2008 entworfen. Ein Kunststudent hat mir dafür eine Art Karikatur gezeichnet. Den Entwurf habe ich dann zu einer großen Warenhauskette geschickt, die die Idee super fand. Nur war ich viel zu spät dran. Ich wusste in meinem jungen Alter natürlich nicht, dass große Ketten ihre Sachen schon anderthalb Jahre vor so einem Großereignis produzieren. Doch ich kannte einen Hotelbetreiber in Österreich, der das T-Shirt seinen Gästen als Marketingaktion geschenkt hat. Das Geld, das ich damit verdient habe, hat mir viel bedeutet. Ich hatte etwas neben dem Fußball geschaffen. Von da an habe ich auch in meiner Zeit in Hamburg immer wieder versucht, Projekte umzusetzen.

Sieben Jahre haben Sie beim HSV gespielt. Auf ihrem Facebook-Profil sieht man, dass Sie noch immer mit der Mannschaft mitfiebern. Was sagen Sie zu der bisherigen Saison?

Marcell Jansen: Klar fiebere ich mit. Da spielen noch viele Spieler, zu denen ich eine enge Bindung habe, gerade wegen der letzten emotionalen Jahre im Abstiegskampf. Mehr Emotion geht eigentlich nicht. Ich lebe in der Stadt, liebe die Stadt, der Verein hat geile Fans. Diese Saison ist jetzt endlich ein Schritt nach vorne, weil sie für die nächste Spielzeit planen können. Das konnten sie in den letzten Jahren nicht, weil sie immer mit dem Abstieg rechnen mussten.

Auch ihr erster Verein, Borussia Mönchengladbach, gehört wieder zu den besten Adressen der Bundesliga. Als sie im Jahr 2007 gegangen sind, ist die Borussia abgestiegen. Haben Sie dem Verein damals zugetraut, so zurückzukommen?

Marcell Jansen: Gladbach habe ich es zugetraut, weil sie mit Rolf Königs jemanden an der Spitze haben, der Visionär ist. Er hat Strukturen geschaffen, die unglaublich sind. Ich hoffe, dass der Herr Königs noch ganz, ganz lange im Verein bleibt. Borussia Mönchengladbach ist ein Vorbild an guter Klubführung. Und ich wusste, irgendwann ist dann auch mal der richtige Sportdirektor und der richtige Trainer dabei.

Wie schwer ist Ihnen der Abschied damals gefallen?

Marcell Jansen: Sehr schwer, aber ich musste mal weg. Ein Linksverteidiger, der Angebote von Barcelona und dem FC Bayern hat, der kann nicht ein Jahr in der zweiten Liga spielen. Da ist das Business so hart, wenn es dann nicht läuft, dann interessiert sich keiner mehr für Marcell Jansen. Das wusste ich. Und ich habe dem Verein 12 Millionen gebracht, die sie investiert haben und aufgestiegen sind. Bei der Aufstiegsfeier stand ich dann 2008 im Aufstiegsshirt mit der Mannschaft auf der Bühne. Als Fan. Das war das Happy End, deswegen habe ich mit Gladbach eine tiefe Verbindung. In mir schlagen zwei Herzen: eins für Gladbach und eins für den HSV.

Wie geht es nun weiter?

Marcell Jansen: Ich werde alles dafür tun, Spaß an der Arbeit zu haben. Mir eine neue Herausforderung zu suchen, ersetzt den Fußball.

Und sehen wir Sie irgendwann im Fußball wieder?

Marcell Jansen: Stand jetzt: nein. Ich war nicht elf Jahre im Geschäft, um dann wieder so zu leben.