Hamburg. Nach der Pleite beim Tabellenletzten Eintracht Braunschweig und der Trennung von Trainer Bert van Marwijk geht beim Hamburger SV weiter die Angst um: Kann überhaupt noch jemand den Absturz des dienstältesten Fußball-Bundesligisten stoppen? Der ehemalige Schalke-Coach Mirko Slomka ist im Gespräch

Mirko Slomka soll es jetzt versuchen. Noch verhandelt der Krisenclub an der Alster die Vertragsdetails mit dem früheren Coach von Hannover 96 und Schalke 04 aus. Der Neue auf der Bank beim Tabellenvorletzten ist zu bedauern: Er findet eine völlig verängstigte Mannschaft vor, die das Fußballspielen verlernt hat und keinerlei Ordnung auf dem Platz erkennen lässt.

Auch Nationalspieler haben ihre Klasse verloren und können keinen Weg aus der Krise weisen. Der HSV, der in 51 Jahren Bundesliga immer erstklassig war, rast im Höllentempo auf den Absturz in Liga zwei zu.

Am Tag nach der bitteren 2:4-Pleite bei Eintracht Braunschweig herrschte auf dem Vereinsgelände des HSV unwirkliche Ruhe, geradezu Tristesse. Das obligatorische Auslaufen der Profis war abgesagt worden. Lediglich die angeschlagenen Spieler kamen zur Pflege und wollten nichts sagen. Einige maulende Fans wetterten gegen Vorstand und Aufsichtsrat, sammelten Unterschriften gegen die Gremien und einigten sich auf die Formel: "Wir hätten besser Thorsten Fink behalten sollen."

So schwer die Schmach auch an ihm nagt, dem HSV weder Spielkultur noch Erfolgsbesessenheit beigebracht zu haben, so erleichtert war van Marwijk nach dem Ende des Leidens in Hamburg. Er hatte spätestens in Braunschweig erkannt, dass er mit seinem Latein am Ende ist. Von selbst aufgeben wollte der 61 Jahre alte Niederländer aber nicht. Jetzt kommt er in den Genuss einer satten Abfindung. Nicht einmal fünf Monate seines bis Sommer 2015 datierten Vertrages hat er erfüllt.

Noch am späten Abend nach dem Spiel brauste er vom Parkplatz des HSV-Stadions in seine niederländische Heimat. Zuletzt hatte er sich ohnehin beschwert, dass er seine Enkel nicht mehr regelmäßig sehen konnte. "Er hat sehr nüchtern und verständnisvoll reagiert", berichtete Vorstandsvorsitzender Carl Jarchow. "Wir wissen alle, dass wir uns gegenseitig schätzen."

"Glaube auch weiterhin an euch"

Für die Öffentlichkeit gab der scheidende Trainer kein Statement mehr ab. Seinen Spielern soll er laut "Hamburger Morgenpost" gesagt haben: "Ich glaube auch weiterhin an euch, wie ich es die ganze Zeit gemacht habe. Ich gönne es euch und wünsche euch viel Glück."

Das Kapitel van Marwijk ist nach 144 Tagen mit einer niederschmetternden Bilanz beendet: 15 Bundesliga-Spiele, neun Niederlagen, drei Siege, drei Unentscheiden sowie eine Serie von sieben Niederlagen nacheinander. 0,8 Punkte pro Spiel, das ist die zweitschlechteste Bilanz eines HSV-Cheftrainers nach Michael Oenning (0,64).

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In der historischen Spielzeit mit immer neuen Pleiterekorden gibt es ein weiteres Novum: Noch nie in der Geschichte des HSV sind zwei Trainer binnen einer Saison beurlaubt worden. Van Marwijks Vorgänger Thorsten Fink musste am 16. September des Vorjahres den Stuhl räumen. Für die neunmonatige Restlaufzeit seines Kontraktes soll er ein Schmerzensgeld von rund 800 000 Euro kassiert haben.

Schon Sportchef Frank Arnesen, von dem sich der HSV im Sommer 2013 getrennt hatte, durfte 1,4 Millionen Euro an Abfindung einsacken. Der ohnehin klamme Verein, der jährlich Defizite schreibt und sich als vermeintliche Verstärkungen gerade mal Nachwuchsspieler auf Leihbasis für sechs Monate leisten kann, hat arg zu knabbern an seiner rasanten Personalpolitik.

Die demoralisierende 2:4-Schlappe in Braunschweig hat die kühnsten Hoffnungen auf Besserung in Hamburg explosionsartig zerstört. Wer gegen den Tabellenletzten, der in 20 Spielen zuvor mit lediglich elf Törchen den schwächsten Angriff der Liga stellt, gleich vier Gegentreffer kassiert, dem ist kaum noch zu helfen. Exemplarisch für den Niedergang des HSV ist Nationaltorhüter René Adler. Er präsentierte sich fahrig und verschuldete zwei Gegentore. "Das passt zu unserer Gesamtsituation, dass dann René patzt", seufzte Kreuzer. Jetzt versucht er, Slomka den derzeit wohl unbeliebtesten Job in der Elite-Liga schmackhaft zu machen.