München. .

Als Fußballer ist Thiago Alcantara weniger der Sohn seines Vaters, als ein Sohn Barcas. Der Vater Mazinho, Weltmeister 1994 mit Brasilien, war ein Balleroberer im Mittelfeld, wuchtig, physisch, „ich war einer für die Schlacht“, charakterisiert sich Mazinho selbst. Der Sohn Thiago, in der berühmten Jugendschule des FC Barcelona groß geworden, ist ein Offensivspieler mit blühender Fantasie, ein Nachwuchsmeister in der Kunst des Passens und Dribbelns, wie es Barca propagiert.

Der Vater, der Weltmeister, verkaufte 2005 seine private Fußballschule und zog mit der ganzen Familie nach Barcelona, damit der damals 14-jährige Thiago und auch der kleine Sohn Rafinha bei Barca lernen konnten. Tag für Tag saß Mazinho auf der Tribüne und löste Kreuzworträtsel, um sich die Zeit zu vertreiben, während die Söhne trainierten. Wenn die Sprache in Barcas Trainingszentrum auf Mazinho und Thiago kam, ging ein Lächeln in den Gesichtern auf, ein Lächeln über den Weltmeister, der nun als Kindermädchen seiner Söhne arbeitete, und ein Lächeln über den Sohn, der, ganz sicher, einmal Barcas nächster Star werden würde.

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Nun aber wechselt Thiago Alcantara mit 22 Jahren zu Bayern München. Irgendetwas ist hier falsch gelaufen: Barca gibt für rund 20 Millionen Euro einen Spieler ab, der die Zukunft der Elf garantieren sollte, und der FC Bayern München kauft einen Fußballer, dessen Positionen auf dem Rasen schon reichlich und erstklassig besetzt sind. Vor drei Wochen trat Bayerns neuer Trainer Pep Guardiola mit der Idee an, die funktionierende bayerische Elf nur in Details weiterzuentwickeln. Mit der Verpflichtung von Thiago auf ausdrücklichen Wunsch Guardiolas zeigt sich aber, was für Kleinigkeiten der Trainer verändern will: Sie stellen die ganze Elf auf den Kopf.

„Wenn nichts kaputt ist, musst du es reparieren“

Mit Javi Martinez und Bastian Schweinsteiger im zentralen Mittelfeld fand der FC Bayern vergangene Saison sein inneres Gleichgewicht. Die ersten Testspiele und Thiagos Kommen legen nahe, dass Guardiola das Mittelfeld trotzdem verformen wird. Er wird das auf dem Kopf stehende Barca-Dreieck einführen, mit nur einem defensiven Mittelfeldspieler als unterem Punkt des Dreiecks und zwei Passmeistern auf den Halbpositionen davor. Daraus ergeben sich unzählige Variationen, etwa mit Martinez in der Abwehr oder auch ein Mittelfelddreieck mit Martinez sowie Schweinsteiger und Thiago auf den Halbpositionen. Aber jede neue Variation wirft noch mehr Fragen auf: Glaubt Guardiola wirklich, dass Schweinsteiger als alleiniger Schutzpatron vor der Abwehr die richtige Wahl ist? Wie will er für Schweinsteiger, Thiago, Müller, Robben, Ribery, Götze, Kroos, Mandzukic, Pizarro, Shaqiri auf fünf Offensivposition Platz finden? Alle Fragen münden in einer: Wozu solch einschneidende Veränderungen bei einer Elf, die sich gerade erst als erfolgreichste Europas bewährte?

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„Wenn nichts kaputt ist, musst du es reparieren“, beschreibt Guardiolas enger Freund, der Wirtschaftsforscher Xavier Sala i Martin, dessen Ansatz: Nur durch ständige Entwicklung behaupte sich eine Elf in der Weltspitze. „Am liebsten würde ich dich im Mittelfeld auf der Halbposition spielen lassen“, sagte Guardiola beim Trainingsbeginn zu Außenverteidiger Philipp Lahm. Diese Idee zumindest hat er angesichts des Überangebots an Kreativspielern zurückgestellt, aber sie verdeutlicht, wie Guardiola denkt: Er sieht nicht nur, was ein Spieler oder eine Elf kann, sondern, was er aus ihnen machen könnte. Dass Reparaturen an funktionierenden Teams bisweilen Schaden anrichten können, weiß der Trainer aber natürlich auch. Bei Barca nennen sie das: für seine Überzeugungen sterben.