Duisburg. Werner Lotz ist ein Profi der ersten Stunde. Mit dem Meidericher SV zog er 1963 in die neue Eliteklasse ein – und wurde auf Anhieb Vizemeister. Anfangs arbeitete er noch bei den Eisenwerken. „Man wurde vor die Alternative gestellt: Arbeit oder Fußball“, erinnert sich Lotz.

„Komm’se rein“, sagt Werner Lotz an der Eingangstür zu seiner Wohnung in Meiderich, einen Steinwurf von dem früheren Hüttenwerk entfernt. Die Erinnerung an das alte Ruhrgebiet weht hier noch zwischen den nüchternen Straßen und den schmucklosen Mietshäusern der 1950er-Jahre hindurch. Mühsam humpelt Lotz mit seiner Krücke in die Küche und setzt sich an den Tisch. Im Hintergrund brodelt die Kaffeemaschine.

Herr Lotz, darf ich fragen, was mit Ihrem Bein passiert ist?

Werner Lotz: Die Venen waren zu dünn, und ich bekam fürchterliche Schmerzen. Die Ärzte haben alles versucht, am Ende blieb nur die Alternative: Entweder ich halte die Schmerzen aus oder amputieren. Aber es ging nicht mehr. Dann habe ich gesagt, macht es so, dass ich nächstes Jahr nicht wieder hier bin. Also haben sie mir oberhalb des Knies das rechte Bein abgenommen. Das ist ein bisschen hart gewesen. Das Eigenartige sind nur diese Phantomschmerzen, und wenn ich Fußball gucke, bin ich unterm Tisch auch nur am Treten. Mit rechts. Dabei ist da gar nichts mehr.

Sie sind ein Pionier der Bundesliga. Können Sie sich noch an den Startschuss erinnern?

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Lotz: Eia Krämer hat im Klubhaus das offizielle Telegramm des DFB in Empfang genommen. Ich wohnte in Meiderich auf der Sommerstraße, unser Mannschaftskapitän Günter Preuß wohnte über mir. Er kriegte den Anruf, ich hatte noch kein Telefon, er kam runter und sagte: „Werner, wir sind in der Bundesliga!“ Ach du heiliges Kanonenrohr! Wir haben uns angezogen und sind in unser Verkehrslokal, da war schon die Hölle los.

Was veränderte sich für Sie?

Lotz: Man wurde vor die Alternative gestellt: Arbeit oder Fußball. Ich habe, wie mein Vater, Former bei den Eisenwerken Mülheim-Meiderich gelernt. Während der Zeit der Oberliga West war ich voll beschäftigt. Mit Beginn der Bundesliga sollte zweimal täglich trainiert werden, das war mit dem Job nicht mehr zu vereinbaren. Dafür bekam man den Lizenzspielervertrag über 1200 Mark. Aber sollte man es riskieren? Was passiert, wenn Meiderich nach einem Jahr absteigt, was viele vermuteten? Oder wenn der Verein sich finanziell übernommen hat? Eine gewisse Unsicherheit war da.

Und Ihre Entscheidung?

Lotz: Für die Bundesliga natürlich! Aber der Vorstand hat uns geholfen. Man arrangierte sich mit dem Arbeitgeber, so dass wir angestellt blieben. Wir arbeiteten nur noch stundenweise. Morgens um sechs Uhr zum Werk hin, für die Jungens in der Kantine Kaffee geholt, leichte Arbeit, dann um zehn Uhr zum ersten Training. Wir hatten also den Job laufen und den Arbeitsvertrag beim Fußballverein. Nach der Vizemeisterschaft und nachdem klar war, dass das mit der Bundesliga weiter ging, haben wir die Arbeitsstelle aufgegeben.

Lotz erlebte „ungeheure Euphorie“ beim MSV Duisburg 

Am ersten Spieltag gab es einen 4:1-Auswärtssieg in Karlsruhe.

Lotz: Von Anfang gab es bei uns eine ungeheure Euphorie. Wir waren fast alle Jungens aus Meiderich, hatten schon seit der C-Jugend zusammen gespielt: Eia Krämer, Hartmut Heidemann, Heini Versteeg und ich. Wenn mich Leute fragten: „Habt ihr eigentlich Ausländer?“, antwortete ich immer: „Ja, der Hännes Sabath.“ – „Wieso?“ – „Na, der kommt doch von Hamborn 07.“

Uwe Seeler soll gefragt haben: „Wo liegt eigentlich dieses Meiderich?“

Lotz: Die Geschichte, wie das zustande gekommen ist, hat mir Seeler selbst erzählt. Vor dem Spiel bei uns war der HSV im Trainingslager im Schloss Hugenpoet in Essen. Dann hat sie ein Bus abgeholt, aber der Busfahrer kannte die Strecke nicht genau. Uwe saß im Bus immer vorne. Also hielten sie irgendwo in Duisburg an einer Bushaltestelle, der Busfahrer machte die Tür auf, und Seeler fragte den Passanten: „Können Sie uns mal sagen, wo Meiderich liegt?“ Da hatte er gerade den Richtigen getroffen. „Da können Sie mich gleich mitnehmen“, sagte der nur. Das war ein Reporter, und nachdem die Hamburger bei uns eine 4:0-Klatsche gekriegt hatten, hat der das herzlich ausgeschlachtet.

Hat man sich in der Bundesliga als Star gefühlt?

Szene aus dem Jahr 1968: MSV-Spieler Werner Lotz (l.) im Duell mit Walter Schmidt von Eintracht Braunschweig.
Szene aus dem Jahr 1968: MSV-Spieler Werner Lotz (l.) im Duell mit Walter Schmidt von Eintracht Braunschweig. © imago

Lotz: Wenn die Jungens mit den Sammelbildern kamen und wollten Autogramme haben, fühlte man sich natürlich geschmeichelt. Aber es war nicht so eine Hetze wie heute. Wir konnten trotzdem ruhig in der Kneipe stehen.

Einen schlagzeilenträchtigen Transfer gab es vor Saisonbeginn: Helmut Rahn kam nach Meiderich.

Lotz: Überall ging es durch die Presse: „Der Boss in Meiderich!“ Und wir waren auch ein bisschen aufgeregt. 1954 habe ich zusammen mit dem Heini Versteeg das Endspiel gegen Ungarn in der Wirtschaft Hoffmann hier in Meiderich gesehen. Wenn mir da einer prophezeit hätte, du spielst mal mit Helmut Rahn in einer Mannschaft, hätte ich nur gesagt: „Bist du bekloppt?“ Dann kam er zum ersten Training – vor 6000 Zuschauern. Aber Helmut war ohne Allüren, als wenn er schon jahrelang mit uns gespielt hätte. Klar, er hatte an Gewicht zugelegt, aber wenn er antrat, konnte ihn keiner bremsen. Und wenn er aus 30 Metern abzog, meine Güte, ein Strahl! Als Mensch war er einfach zu nehmen. Wenn der einen Groschen in der Tasche hatte, waren fünf Pfennig für den Helmut und fünf Pfennig für den Kumpel. Diese Gutmütigkeit haben viele ausgenutzt.

Was kam nach Ihrer Zeit in der Bundesliga?

Lotz: Ich habe weiter gearbeitet. Das bisschen Ersparte, das ich hatte, habe ich in eine Kneipe in Hamborn investiert. Die hatte ich 16 Jahre lang, bis es sich nicht mehr lohnte. Danach habe ich noch bis zur Rente bei der Firma Buchen gearbeitet, die machte Entsorgungs- und Reinigungsarbeiten. Millionen wie heute konnten wir damals als die ersten Bundesligaprofis nicht verdienen.