Dortmund. Die Fallhöhe des Duells hat Jürgen Klopp definiert. Der Fußball-Bundesliga-Gipfel Borussia Dortmund gegen den FC Bayern München sei der Zweikampf „’Mia-san-mia’ gegen ‘Wir sind Fußball’“, formulierte der BVB-Coach voller Freude wie Hinterlist. Die Partie am Mittwoch (20 Uhr, Sky) ist zwar nur eines von 306 Bundesligaspielen in dieser Saison, aber es wird – und das nicht zu Unrecht – hochgejazzt zur möglichen Entscheidung im Titelkampf 2012.

Der BVB befindet sich dabei in einer doppelt kommoden Lage. Zum einen kann sich lediglich Dortmund den Titel de facto sichern; ein Sieg gegen die Bayern und dann sechs Zähler Vorsprung vier Spieltage vor dem Ende bedeuten für jeden nüchternen Rechner die Entscheidung. Zum anderen darf der BVB, obschon Meister, Tabellenführer und seit 23 Liga-Spielen ungeschlagen ein letztes Mal weitgehend unwidersprochen eine Art Außenseiter-Rolle in Anspruch nehmen. Wir, die kleinen Borussen, gegen die großen, übermächtigen Bayern. Und natürlich: Der sympathische Dortmunder David gegen den alles humorlos niedermalmenden Goliath aus München. Dabei sind die Kräfteverhältnisse in der Realität längst verrutscht.

Mannschaft: Niemand wird in Abrede stellen, dass der FC Bayern individuell stärker ist, „einen Tick vorn“, wie Jürgen Klinsmann es wohl ausgedrückt hätte. Der öffentlich gern vorgenommene Eins-gegen-eins-Vergleich würde am Ende eine Münchner Überlegenheit dokumentieren; denn jeder hoch gelobte Borusse (Lewandowski, Kagawa, Blaszczykowski, Großkreutz, Gündogan) findet beim FC Bayern einen zumindest ebenbürtigen Widerpart (Gomez, Müller, Robben, Ribéry, Schweinsteiger/Kroos). Doch aufgepasst: Fußball ist, wie Recherchen nicht nur unserer Zeitung bestätigen, ein Mannschaftssport. Und als Team, im Kollektiv funktioniert der BVB erheblich besser. Als Mannschaft hat Dortmund die Münchner zuletzt drei Mal in Serie besiegt. Drei Mal verdient. Denn wenn die individuelle Klasse der Bayern, ihr offensives Feuerwerk, verpufft, wird die Anfälligkeit des Rekordmeisters in der Defensive, insbesondere im schnellen Umschalten von Angriff auf Abwehr, offenkundig.

Trainer: Beide Klubs sind sich einig: Die jeweiligen Trainer sind wie geschnitzt für die besonderen Gegebenheiten der Vereine. Während es Bayern-Präsident Uli Hoeneß noch heute öffentlich reut, seinen Freund Jupp Heynckes einst, im Oktober 1991, entlassen zu haben und sich nun ständig feiert, den nicht mehr halb so verbissenen „Glücksgriff“ Heynckes getan zu haben, gilt Jürgen Klopp den gläubigsten BVB-Anhängern als Gottesgeschenk. Während Heynckes unaufgeregt wie zurückhaltend die Rolle des Moderators im bayerischen Ego-Paradies ausfüllt, versteht sich Klopp als Einheizer und positiver Brandstifter, der das Feuer entfacht, sein Team emotional entzündet. Und das Wesen der Trainer findet seine Entsprechung auf dem Rasen.

Umfeld/Perspektive: In München gibt es einen einzigen allgemeingültigen Maßstab – Titel. Füllt sich die Vitrine an der Säbener Straße, ist das Leben bei den Bayern ein Traum. Doch sobald der Meister-Motor stottert, wird in der Klubführung weniger an Reparatur denn an sofortigen Neukauf gedacht – nirgendwo sonst steht der Trainer derart unter Druck. Selbst über eine vorzeitige Ablösung des Hoeneß-Spezl Heynckes wurde in der Schwächeperiode debattiert.

Beim BVB dagegen hat sich aufgrund der Beinahe-Insolvenz 2005 eine Demut breit gemacht, die nachwirkt. Ein zweiter Platz, errungen mit attraktivem Fußball und harter Arbeit, wird gefeiert. Doch diese Zurückhaltung, so sind die Mechanismen des Erfolgs, wird sich legen. Ein derart schmähliches Aus in der Champions League etwa würde schon kommende Saison kaum mehr ohne Murren akzeptiert. Die Ansprüche wachsen – und angesichts der gewachsenen finanziellen Möglichkeiten, unter Beweis gestellt durch teure Vertragsverlängerungen ebenso wie den Millionen-Transfer von Marco Reus, hat dieses Denken seine Berechtigung. Diese Anforderungen zu moderieren, ist der nächste, ungleich schwerere Schritt für den BVB.

Und wie geht es nun heute aus?

Mit einer Ahnung im Trefferbereich des Wett-Paten Ante Sapina könnte eine Menge Geld verdient werden. So ist es aber zum Glück nicht. Die Partie ist völlig offen, ein Favorit nicht auszumachen. Es gilt der Herberger-Spruch: „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nie wissen, wie es ausgeht.“