Essen. Tim Meyer ist der Leiter der DFL-Taskforce. Er soll das medizinische Szenario für den Wiederbeginn der Saison entwickeln. Eine heikle Aufgabe.
Tim Meyer ahnte schon früh, was da kommen könnte. „Sicherlich ist dies eine Überlegung, die infrage kommt“, antwortete der momentan wohl wichtigste Mann im deutschen Fußball am 27. Februar auf die Frage nach möglichen Geisterspielen. Schon damals umriss der Nationalmannschaftsarzt die Aufgabe, die er nun selbst als Chef der Taskforce Sportmedizin/Sonderspielbetrieb bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) bewältigen muss: „Es ist sinnvoll, dass der Fußball nicht isoliert entscheidet, sondern in Absprache mit den Gesundheitsbehörden.“
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Eine isolierte Entscheidung kann sich der Profifußball im Hinblick auf einen möglichen Wiederbeginn der Saison trotz der Corona-Pandemie in keinem Fall erlauben. Die Verantwortung, die auf den Schultern des Professors für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes ruht, ist enorm. Nur wenn der Vorsitzende der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gemeinsam mit seinen drei Kollegen der Taskforce eine Strategie präsentiert, die von der Medizin, der Politik und der Gesellschaft akzeptiert wird, dürfen die Klubs auf die Fortsetzung der Saison hoffen.
Klubschefs erwarten bei der nächsten Konferenz Lösungsvorschläge
Meyer arbeitet deshalb unter Hochdruck in seinem Homeoffice. Dreimal pro Woche tauscht er sich mit den anderen Taskforce-Mitgliedern per Videokonferenz aus, dazu kommen die ständigen virtuellen Treffen beim DFB. Dass die Uni in Saarbrücken derzeit geschlossen ist, hat das Pensum Meyers nicht verringert. „Für mich haben die aktuell im Fußball anstehenden Herausforderungen komplett die frei werdende Zeit aufgefressen“, sagte der 52-Jährige der Frankfurter Rundschau.
Dass Meyer keine Freizeit hat, ist nicht verwunderlich. Schließlich muss ein Konzept her, das die von der DFL gewünschte „medizinisch vertretbare Fortführung des Spiel- und Trainingsbetriebes“ ermöglicht. Dabei drängt die Zeit. Bei ihrer nächsten Videokonferenz am Freitag kommender Woche würden die Klubchefs gerne den Ausweg aus der Krise aufgezeigt bekommen. Ab Mai soll der Ball wieder rollen, damit die Spielzeit vor dem 30. Juni endet. Schließlich steht für einen Teil der Vereine die Existenz auf dem Spiel.
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Meyer und seine Kollegen müssen also ein Papier vorlegen, das die Gesundheit der Spieler mit den wirtschaftlichen Interessen der Klubs und den Restriktionen des öffentlichen Lebens in Einklang bringt. Das erscheint wie die Quadratur des Kreises. Deshalb gibt es laut der DFL dazu derzeit auch „weder Beschlüsse noch Vorfestlegungen“, sondern „unterschiedliche Denkansätze“.
Abwägen zwischen wirtschaftlichen Interessen und öffentlichen Einschränkungen
Über diese Denkansätze wird eifrig spekuliert. So nannte die Bild-Zeitung die Zahl von 239 Personen, die für den Ablauf einer Partie unter Ausschluss der Öffentlichkeit zugelassen werden sollen. Auch eine andere Zahl steht im Raum: Rund 20.000 eng getaktete Tests von Spielern und Betreuern sollen für die anvisierten Partien im Mai und Juni nötig sein. Um dafür die gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und mögliche Vorwürfe einer Sonderrolle zu entkräften, könnte der Profifußball in Eigenregie für mehr Laborkapazitäten sorgen, die einen Teil ihrer Produktion der Allgemeinheit zur Verfügung stellt.
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All diese Planspiele muss Meyer erwägen - und dabei immer die Dynamik der Entwicklung im Auge behalten. Denn auch Meyer selbst, der seit 2001 dem medizinischen Stab der Nationalmannschaft angehört, bei fünf Weltmeisterschaften dabei war und die berühmte Eistonne als Mittel zur Regeneration eingeführt hat, musste einige seiner Einschätzungen mittlerweile korrigieren.
Noch am 2. März bezeichnete der Mediziner mögliche Absagen der EM-Endrunde und der Olympischen Spiele als „Worst-Case-Szenarien“, die mit „hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten werden“. Dass diese Einschätzung ein Irrtum war, ist Meyer angesichts der folgenden Entwicklungen im Eiltempo kaum vorzuwerfen. Und so wird auch erst die Zukunft zeigen, ob Meyers Konzept in spe der Realität standhalten kann. (sid)