Essen. Fußballfunktionär Andreas Rettig will eine Ausnahmeregelung, möchte schnell wieder spielen lassen. Das ist keine gute Idee. Ein Kommentar.
Auf den ersten Blick wirkt die Idee nachvollziehbar, beinahe charmant. Lasst die Fußballspieler wieder ihrer Arbeit nachgehen, damit sie mit ihrer Kunst – und sei es bei Geisterspielen – den Menschen eine kleine Freude bereiten können. Das zumindest fordert Andreas Rettig, langjähriger Fußballfunktionär und einst Geschäftsführer der DFL.
Bei genauerem Hinschauen hinterlässt die Idee, wenn man die Forderung mal so nennen mag, einen unangenehmen Beigeschmack, eigentlich gleich mehrere, in verschiedenen Geschmacksrichtungen.
Rettig sagt es ganz unverblümt. Er will eine Vorzugsbehandlung. Gleich wie er das begründet: Allein mit der Wortwahl kündigt er in schwierigen Zeiten den Solidaritätsgedanken auf, redet dem Egoismus das Wort. Das aber ist schon jenseits inhaltlicher Rechtfertigung das falsche Signal.
Angesichts der lautstarken Klagen der Fußballklubs über die wirtschaftlichen Folgen der weitgehenden Kontaktsperre, drängt sich zudem das unangenehme Gefühl auf, Rettig treibe unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit vor allem Eigeninteressen voran. Zwar ist er derzeit nicht für einen konkreten Klub zuständig, aber das Wohlergehen des Fußballs ist ihm über die Jahre in Fleisch und Blut übergegangen. Weshalb, so könnte man also fragen, ausgerechnet der Fußball? Warum nicht Kinderspielplätze oder Theater?
Zweifelhafte Vorbildwirkung
Und schließlich haben die Menschen erst seit einigen Tagen verstanden, dass es zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wichtig ist, den Kontakt zu anderen Menschen zu meiden. Welches Signal sendet ein Fußballspiel? Selbst wenn die Politik nur Geisterspiele ohne Zuschauer gestatten sollte: Was sollen die Menschen denken, die Abstand halten, Verwandte und Freunde selbst in kritischen Situationen meiden, wenn auf einmal in den Stadien junge Sportler wieder in engsten Körperkontakt gehen. Rettig wird ja wohl kaum die Regeln dahingehend ändern wollen, dass bei Zweikämpfen mindestens 1,50 Meter Abstand einzuhalten sind. Wer will gerade jungen Menschen vermitteln, dass dieser Abstand wichtig ist, wenn im Fernsehen etwas anderes vorgelebt wird?
So bitter es sein mag: Es darf keine Ausnahme für den Fußball geben. Deshalb muss sich Andreas Rettig, deshalb müssen sich die Bundesligaklubs genau wie der Rest der Gesellschaft in Geduld üben.