Hannover. Am Sonntag vor zehn Jahren nahm sich Torwart Robert Enke das Leben. Seine Witwe Teresa setzt sich für Aufklärung zum Thema Depression ein.

Teresa Enke muss lachen, als sie den Anruf beendet. „Ach, meine Mutter“, sagt sie und schüttelt den Kopf. „Sie meinte am Telefon, ich solle das Wort Depressionen künftig doch bitte nicht so fränkisch aussprechen, sondern etwas hochdeutscher betonen.“ Kein anderes Wort nimmt sie seit Jahren tagtäglich so häufig in den Mund wie die Krankheit, die ihren Mann Robert Enke am 10. November 2009 in den Suizid trieb. Seit dem Tod der damaligen Nummer eins im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der sich an diesem Sonntag zum zehnten Mal jährt, hat sich die 43-Jährige dem Kampf gegen die Volkskrankheit verschrieben und eine Stiftung gegründet. „Robert konnten wir leider nicht retten, aber andere Menschen können wir retten.“

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Trikots, Handschuhe und Fotos an den grün-weißen Wänden der Büros im Obergeschoss des niedersächsischen Fußballverbandes in Barsinghausen erinnern an den sympathischen Fußballer, dessen Schicksal Deutschland so berührte – und auch nachhaltig wachrüttelte, wie Forscher von der KU Eichstätt-Ingolstadt vor kurzem festhielten. Seit Enkes Tod werden Depressionen in der Gesellschaft offener thematisiert und nicht mehr als Befindlichkeiten abgestempelt. Männer suchen nachweislich schneller Hilfsangebote auf. Laut der deutschen Depressionshilfe ist etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann im Laufe des Lebens von einer Depression betroffen, die Dunkelziffer ist aber enorm.

Viele Auftritte zum Jahrestag

Tagtäglich stellt sich Teresa Enke den schmerzhaften Erinnerungen – auch denen an Tochter Lara, die 2006 im Alter von zwei Jahren an den Folgen eines angeborenen Herzfehlers starb. Sie ist die starke Frau geblieben, die das Land mit ihrer bewegenden Pressekonferenz („Wir dachten, mit Liebe geht das“) am Tag nach dem Tod ihres Mannes so beeindruckte. „Die zehn Jahre Stiftungsarbeit waren enorm wichtig für mich, vor allem für die Trauerbewältigung, aber auch, um der Tragödie einen Sinn zu geben“, sagt sie.

Mutter Enke stößt sich auch deshalb an der Aussprache, weil ihr aufgefallen ist, dass die öffentlichen Auftritte ihrer Tochter deutlich zugenommen haben. Talk bei Barbara Schöneberger, Projektpräsentation bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Podiumsdiskussion mit Uli Hoeneß nach der Premiere der NDR-Doku „Auch Helden haben Depressionen“. Während der Bayern-Boss monierte, ein Umdenken habe nicht lange angehalten, der Umgang in der Gesellschaft wie im Sport sei nach wie vor ziemlich respektlos, betont Teresa Enke im Gespräch beharrlich: „Nicht der Fußball hat Robert krank gemacht!“

Stiftung ermöglicht schnelle Hilfe

Im Profisport werde immer das Leistungsprinzip zählen, das sei auch völlig in Ordnung, sagt die Enke-Witwe. Aber dass sich ihr damals 32 Jahre alter Mann bei einem Bahnübergang im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge-Eilvese vor einen Zug warf, sei kein Resultat des Drucks in der Bundesliga, sondern die Folge einer Krankheit samt chemischer Prozesse im Gehirn, die man genauso ernst nehmen sollte wie Lungenentzündungen, Bandscheibenvorfälle oder Krebs.

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„Meiner Meinung nach hat sich extrem viel geändert im Fußball“, sagt die gebürtige Jenaerin. Einerseits hat die vom DFB geförderte Robert-Enke-Stiftung ein Netzwerk an Ärzten aufgebaut, das nicht nur Sportlern Hilfsangebote ermöglicht. „Andererseits wird in Mannschaften inzwischen über solche Themen gesprochen, die Trainer sind sensibilisiert, auch in den Medien gibt es eine seriösere Berichterstattung ohne Hypes.“ Sie verweist auf zuletzt bekannt gewordene Fälle wie Gianluigi Buffon, der seine mentale Erkrankungszustände öffentlich machte, oder Nationalspieler Danny Rose, der seine Depressionen behandeln ließ und es nach seiner Auszeit in den englischen WM-Kader schaffte.

Gerade weil Robert Enke seine Erkrankung verstecken wollte, nahm sie am Ende solch eine suizidale Wucht an. „Für mich ist es wichtig, dass offen mit dem Thema umgegangen wird, damit der Betroffene sich schneller Hilfe holt und keine Berührungsängste mehr hat – so wie es früher einmal war“, erklärt Teresa Enke. „Mit meinem jetzigen Wissen hätte ich damals stärker darauf geachtet, dass Robert sich mehr um seine mentale Hygiene kümmert.“

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Sein Kopf sei wie in einem schwarzen, erdrückenden Tunnel gefangen, versuchte er seiner Frau seine Gefühle zu schildern. „Es war für ihn schwierig, mir zu vermitteln, was in ihm los war. Ich habe mir damals gewünscht, nur einmal in Roberts Kopf gucken zu können.“ Heute kann sie das – dank einer von der Stiftung entworfenen Virtual-Reality-Brille, die eine Kabinensituation aus Sicht des DFB-Torhüters, aber auch eine Alltagssituation im Leben eines Depressiven multimedial nachstellt.

Mit Tochter Leila zurück in Hannover

Als sich Teresa Enke zum ersten Mal die zehn Kilogramm schwere Bleiweste anzog und die Simulation einschaltete, konnte sie sich endlich im Ansatz hineinversetzen, wie sehr ihr Partner damals gelitten haben muss. „Mir kamen die Tränen. Ich war völlig erschlagen und total erleichtert, als die Brille ausgezogen war. Das waren nur zehn Minuten. Robert hat sich phasenweise permanent so gefühlt, um ein Vielfaches schlimmer.“

Die Depressionen des früheren Spielers von Carl Zeiss Jena, Borussia Mönchengladbach, FC Barcelona, Fenerbahce Istanbul und Hannover 96 waren lange Krankheitsphasen, kein Dauerzustand. Vor allem an die Zeit in Lissabon (bei Benfica) und in Teneriffa erinnert sich Teresa Enke gerne. Generell versucht sie mit ihrer Tochter Leila nach der Rückkehr nach Hannover glückliche Momente mit ihrem Mann im Kopf zu behalten, nicht die trüben – auch am zehnten Todestag. „Der 10. November wird ein schwerer Tag. Ich werde mit Freunden und meiner Familie zusammensein, wir werden uns Anekdoten über Robbie erzählen. So bleibt er weiterhin ein großer Bestandteil unseres Lebens.“

Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222.

Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de. Ebenso informiert die Robert-Enke-Stiftung auf ihrer Homepage über Hilfsangebote rund um das Thema Depressionen: www.robert-enke-stiftung.de.