Paderborn. Aufsteiger und Schlusslicht SC Paderborn empfängt am Samstag Meister Bayern München. Wir haben uns mit SC-Trainer Steffen Baumgart getroffen.
Eine halbe Stunde länger als geplant lässt Steffen Baumgart (47) seine Mannschaft trainieren. Der Schwerpunkt beim Tabellenletzten SC Paderborn liegt auf der Defensivarbeit. Aus gutem Grund. Schon 14 Gegentore hat der freche Aufsteiger kassiert – und am Samstag (15.30 Uhr, Sky) ist Rekordmeister Bayern München bei den Ostwestfalen zu Gast. Ein Duell der größtmöglichen Gegensätze in der Fußball-Bundesliga. Im Interview betont Paderborns Trainer, dass er sich von Zahlen und dem schwachen Start nicht beeindrucken lässt.
Herr Baumgart, vor dem Bundesliga-Auftakt haben Sie sich wörtlich „den Arsch wund“ gefreut. Ist die Euphorie nach fünf Spielen mit nur einem Punkt immer noch so groß?
Steffen Baumgart: Ja. Natürlich wollen wir andere Ergebnisse erzielen. Das war auch durchaus drin. Mit unserem Weg sind wir dennoch zufrieden. Die Freude auf die Bundesliga bleibt unabhängig von den Ergebnissen bestehen. Das Gefühl, das Berliner Olympiastadion als Aktive erleben zu dürfen, nimmt uns keiner mehr weg, auch wenn wir 1:2 verloren haben.
Kann Ihre Mannschaft in der Bundesliga bestehen?
Baumgart: Am Ende hat uns in den ersten Spielen trotz ordentlicher Leistungen einiges gefehlt. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Wir haben Fehler gemacht, die man auf diesem Niveau nicht machen darf. Natürlich wird das in der Bundesliga brutal bestraft. Wir haben uns einen Platz in dieser Liga erarbeitet und wollen beweisen, dass wir es auch können. Das gelingt uns in vielen Situationen, in einigen aber nicht. Wir haben gute Spiele gemacht, waren oft auf Augenhöhe. Allerdings haben wir zu viel zugelassen. Es gibt klare Gründe, warum wir noch nicht gewonnen haben.
Sie ziehen Ihre offensive Spielweise auch in der Bundesliga durch. Ist das auf diesem Niveau zu risikoreich?
Baumgart: Unserem System bleiben wir treu. Wir haben einen klaren Plan, wie wir spielen wollen. Der ist nicht bloß darauf aus, nur nach vorne zu laufen. So wild ist es nicht. Schalke war das einzige Spiel, in dem wir enorm viele Chancen zugelassen haben. Alle anderen waren ausgeglichen. Leider konnten wir unsere Möglichkeiten bislang zu selten nutzen.
Das ist eine Qualitätsfrage, oder?
Baumgart: Natürlich ist das auch eine Qualitätsfrage. In allen Bereichen. Einen van Dijk habe ich nicht, aber dafür einen Luca Kilian oder einen Ben Zolinski. Wir müssen diese Jungs besser machen. Das ist unser Ansatz. Wir wollen uns die notwendige Qualität erarbeiten. Über etwas jammern, das wir nicht haben, werden wir nicht.
Bleiben wir beim Thema Qualität. Jetzt kommen die Bayern. Wie bereiten Sie Ihre Mannschaft auf den Meister vor?
Baumgart: An der Vorbereitung ändert sich nichts. Wir wissen, was für eine Wucht auf uns zukommt. Die ist bei RB Leipzig und Dortmund aber nicht kleiner. Ich mache mir keine Gedanken darüber, ob wir möglicherweise vier oder fünf Gegentore bekommen. Wir freuen uns auf diese Partie und machen uns nicht verrückt. Wir sind sowieso immer die Kleinsten, immer der Außenseiter, immer der Underdog. Es geht um drei Punkte, die wollen wir auch gegen die Bayern holen.
Für Rifet Kapic hat der SC Paderborn 100 000 Euro Ablöse bezahlt, Ihr teuerster Transfer in diesem Sommer. Die Bayern haben alleine 80 Millionen für einen Abwehrspieler überwiesen. Was geht Ihnen bei diesem Vergleich durch den Kopf?
Baumgart: Gar nichts. Ich freue mich, dass die Bayern solche Spieler haben, weil es die Bundesliga bereichert. Die Summen halte ich für Irrsinn. 80 oder 100 Millionen für einen Menschen sind Wahnsinn. Im ersten Spiel gegen Leverkusen war es Kai Havertz, der einen Marktwert von 90 Millionen hat. Was ist überhaupt ein Marktwert? Das ist für uns so unrealistisch, weshalb ich mir keine Gedanken darüber mache. Wir haben Johannes Dörfler vom KFC Uerdingen geholt, das ist unsere Zielgruppe. Am Samstag spielt vermutlich Christopher Antwi-Adjei gegen Benjamin Pavard. Der eine kommt von Sprockhövel aus der Regionalliga, der andere ist Weltmeister. Während der 90 Minuten auf dem Platz sind diese Vergleiche aber irrelevant.
Das ist Paderborns Trainer Steffen Baumgart
Steffen Baumgart (47) absolvierte als Aktiver für Hansa Rostock, Energie Cottbus und den VfL Wolfsburg insgesamt 366 Erst- und Zweitliga-Einsätze.
Seine Trainerkarriere begann er 2008 beim Brandenburger Landesligisten Germania Schöneiche. Über den 1. FC Magdeburg, Rostock, den SSV Köpenick und den Berliner AK landete er 2017 beim SC Paderborn. Mit den Ostwestfalen schaffte er den Durchmarsch von der 3. Liga bis in Deutschlands höchste Spielklasse.
Sie haben von der Regionalliga bis zur Bundesliga in allen Klassen gearbeitet. Sind die hohen Ablösesummen ein gefährlicher Trend für den Fußball, vor allem für die Basis?
Baumgart: Die Entwicklung des Fußballs betrachte ich durchaus kritisch. Meiner Meinung nach sollten wir bei der Basis bleiben. Ich höre immer, dass mehr Geld benötigt wird, um erfolgreich zu sein. Nein, wir müssen besser ausbilden, damit wir Erfolg haben. Hertha BSC ist für mich der einzige Verein, der regelmäßig mehrere Profis über die U21 in den Profikader integriert. Andere Vereine haben ein Nachwuchsleistungszentrum und holen Spieler von außerhalb für die U23. Wir sollten auch den Schlüssel besser verteilen. Die Basis erstreckt sich bis zur Oberliga. Demnach sollten alle Vereine von generierten Geldern profitieren. Stattdessen werden die oberen vier Bundesliga-Teams bevorzugt, weil man die Champions League gewinnen will.
Nichtsdestotrotz hat die Champions League einen hohen Stellenwert. Ihr Trainerkollege Niko Kovac wird am Erfolg in diesem Wettbewerb gemessen.
Baumgart: Paris und Manchester City haben in den vergangenen Jahren jeweils über eine Milliarde ausgegeben und haben die Champions League nicht gewonnen. Ist das denn auch wirklich so wichtig? Bei welchen Spielen kommt denn in den Stadien die richtige Atmosphäre auf? Mich persönlich interessiert Gladbach gegen Köln mehr als Roter Stern Belgrad gegen Bayern München. Mich interessiert auch die Nations League nicht. Aber das ist meine persönliche Meinung.
Man hat dennoch nicht den Eindruck, dass Kovac in München den Rückhalt genießt, den ein Double-Gewinner verdient hätte. Sehen Sie das auch so?
Baumgart: Ich denke, er wird von den Medien antastbar gemacht. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Verein den Trainer wechseln wollte. Von den Bayern habe ich noch nicht gehört, dass Kovac nicht der Richtige ist. Ich hatte in Paderborn zwei Jahre Erfolg. Wenn es aber nicht mehr läuft, bin ich in drei Wochen vielleicht nicht mehr der richtige Trainer. Es gehört zum Job dazu, damit umgehen zu können. Rummenigge muss doch nicht in jedem zweiten Interview den Trainer stützen. Muss sich jetzt der BVB hinstellen und Favre stützen, weil er 2:2 gespielt hat? Es entsteht zu schnell eine Diskussion. Dafür sorgen nicht die Vereine.
Seinem Ärger über die Medien hat zuletzt auch BVB-Kapitän Marco Reus Luft gemacht. Können Sie seine Reaktion verstehen?
Baumgart: Ja. Dortmund hat das 2:2 durch einen Fehler kassiert. Mentalität bedeutet auch Einstellung. Dies deshalb zu hinterfragen, halte ich für schwierig. Man kann den Spielern Fehler vorwerfen. Das habe ich mit meinen Spielern nach dem 1:5 gegen Schalke auch gemacht. Aber fehlende Mentalität sicher nicht. Auch beim BVB gab es sicher keinen Spieler, der nicht gewinnen wollte. Man sollte den Charakter von Spielern nicht hinterfragen, weil Spiele verloren gehen.
Das Trainerkarussell dreht sich heute definitiv schneller als zu Ihrer aktiven Zeit. Wo sehen Sie sich denn in einigen Jahren? Gibt es etwas, das Sie reizen würde?
Baumgart: Ich möchte erfolgreich als Trainer arbeiten. Das ist unabhängig von der Liga. Gewisse Sachen sind endlich. Ich bin aktuell bei einem der Topvereine in Deutschland. Wer weiß aber, ob ich nach Paderborn noch einmal in der Bundesliga trainiere? Fußball ist in der Tat zu schnelllebig, um etwas zu planen.
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Der SC Paderborn ist ein Vorbild für viele Vereine aus der dritten oder vierten Liga, die von der Bundesliga träumen. Ehrt Sie das?
Baumgart: Wir sind einen Weg gegangen, den einige Vereine schon seit 20 Jahren gehen wollen. Unser Verein stand vor zwei Jahren vor dem Nichts. Heute spielen wir in der Bundesliga gegen die Bayern. Es interessiert sicher viele Leute, wie viel wir mit einem geringen Etat geschafft haben. Unsere Trainingsbedingungen sind hervorragend, das Finanzielle ist im Vergleich zu anderen aber eher gering. Dafür haben wir viel erreicht. Wir haben keine Spieler geholt, die in höheren Ligen heiß begehrt oder in aller Munde waren. Viele von ihnen kamen aus der Regionalliga oder hatten einen Karriereknick. Dass wir daraus etwas entwickelt haben, darauf sind wir stolz.
Trotz des Aufstiegs haben Sie wichtige Spieler wie Philipp Klement verloren. Ist das die Kehrseite der Medaille?
Baumgart: Damit müssen wir immer rechnen. Als die Jungs zu uns kamen, haben wir ihnen gesagt, dass sie bei uns den nächsten Schritt gehen können. Wir haben hier viele Spieler, die für andere Vereine interessant sind. Auch wenn sie uns fehlen, freuen wir uns, wenn sie den Weg gehen. Dann müssen wir eben neue Spieler finden und entwickeln. Wir argumentieren mit unserem Fußball. Damit werben wir.