Leipzig. Ralf Rangnick ist Trainer und Sportdirektor bei RB Leipzig. Der starke Mann fordert Hochgeschwindigkeitsfußball ein. Der Bundesliga-Check.

Es ist noch nicht lange her, da stand Ralf Rangnick inmitten einer Kulisse wie gemalt. Sie zeigte den 60 Jahre alten Fußballlehrer vor den Tiroler Bergen, der helle Gipfeldolomit leuchtete in der Sonne, tiefblau war der Himmel. Mit ausgestrecktem Arm malte er den Satz in die Landschaft: „Sehen sie selbst, die Bedingungen sind erstklassig!“

Nur sieben Tage später war das alles nicht mehr wahr. Soeben hatten der Trainer von RB Leipzig und eine personalgeschwächte Elf am Ende ihres Sommercamps in Seefeld Huddersfield Town getestet und 0:3 verloren. Von erstklassigen Bedingungen war jetzt keine Rede mehr. Die schienen plötzlich eher desolat – zumindest was die Aussichten für die neue Spielzeit anbetraf, in der die Sachsen Partien in der Meisterschaft, im Pokal und bei einem Playoff-Gesamtsieg über Sorja Luhansk zusätzlich in der Europa League vor sich haben. Rangnicks „drei Hochzeiten“ also, auf denen zu tanzen, so der Leipziger Trainer, „unter diesen Bedingungen“ schwer bis unmöglich werde.

Rangnick überbrückt das Jahr bis zur Ankunft von Nagelsmann

Was er darunter verstand waren drei unfitte WM-Spieler, drei verletzte Stammkader, zwei noch ausstehende Transfers, die nicht zustande kommen wollen, und zwei Spiele binnen 24 Stunden. Nur einen Tag zuvor hatte RB in Göteborg gegen BK Häcken um den Einzug in die dritte Qualifikationsrunde zur Europa League gespielt.

Der Bundesliga-Check

Deutschland ist ein Land mit 82 Millionen Bundestrainern. Einige von ihnen sitzen in der Sportredaktion Ihrer Zeitung und tippen den Ausgang der neuen Bundesligasaison. Wer Meister wird, wer absteigt, wissen wir natürlich nicht. Aber bis zum ersten Spiel am 24. August zwischen den Bayern und Hoffenheim beleuchten wir täglich einen Klub und vervollständigen die Tabelle. Ob wir Experten sind? Das wissen wir erst am 18. Mai 2019.

Von einem normalen Trainingslager konnte also keine Rede sein, und doch hatte es sein Gutes. Denn so wurden Rangnick und sein Personal in dieser einen Woche mit allen Themen konfrontiert, die den Aufsteiger von vor zwei Sommern in seine dritte Saison begleiten werden: Den tadellosen Umständen, die der Klub nicht nur in Österreich vorfand, sondern sich mit seiner Akadamie in Leipzig selbst geschaffen hat, bis hin zu den Unwägbarkeiten eines Daseins als Emporkömmling, dessen Wohlergehen von den Ideen des Trainers abhängt, der Qualität des Kaders – und im Leipziger Fall vor allem seiner Größe.

Das Mannschaftsvolumen ist aktuell nämlich der heikelste Punkt. Zwei Topleute fehlen RB noch, weil Rangnick, der das eine Jahr bis zur Ankunft von Julian Nagelsmann überbrückt, nicht abrückt von seinen Vorstellungen eines Hochgeschwindigkeitsfußballs mit „Tempo, Tiefgang und Spielwitz“, bei dem es im Konterfall darum ginge, „in den siebten Gang zu schalten“.

Um diesen Stil eine Saison lang durchzuhalten, dafür braucht es freilich ausreichend Personal. In den Vorstellung des Trainers und eigentlichen Sportdirektors sollen es 20 gleichwertige Feldprofis sein. „Im besten Fall spielt eine Elf am Donnerstag und eine am Sonntag“, hat Rangnick zuletzt mehrfach erklärt, der zurzeit aber nur 18 Profis zur Hand hat. Darunter sind die drei Sommereinkäufe Nordi Mukiele (Viererkette innen), Marcelo Saracchi (Linksverteidiger) sowie Matheus Cunha (Sturm).

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Was aber, wenn ein paar von denen verletzungsbedingt ausfallen wie in Seefeld Konrad Laimer, Dayot Upamecano oder Mukiele? Oder wenn Spieler ihren Job nur halb ernst nehmen, die zwei Franzosen etwa, deren Blessuren Rangnick darauf zurückführte, dass sie die Trainingspläne für den Urlaub in den Müll getan hatten? Und was, wenn Schlüsselspieler allzu sehr mit ihren Karriereplänen beschäftigt sind, was vergangene Saison für den schwedischen Spielmacher Emil Forsberg zugetroffen haben mag, vielleicht auch für den deutschen Nationalstürmer Timo Werner oder für den Österreicher Marcel Sabitzer auf dem rechten Flügel.

Noch ist RB Leipzig ein Sprungbrett - kein Karriereziel

Es ist eben eine Sache, kraftaufwändigen Spektakelfußball zu spielen, und eine andere ist es, RB Leipzig zu sein, das heißt noch kein Karriereziel, sondern ein Sprungbrett. Aus diesem Umstand die adäquate Transferpolitik abzuleiten, ist die mittelfristige Herausforderung. Das schließt die zwei offenen Transfers ein, für die Rangnick aber „keine neue Rekordsumme“ zahlen wolle, sprich mehr als 24 Millionen Euro (Naby Keita), was eine Verpflichtung des wechselwilligen Nationalkaders Sebastian Rudy vom FC Bayern vermutlich ausschließt.

Kurzfristig aber wird es darum gehen, sämtliche Spieler auf Niveau und Linie zu bekommen. Die unernsten durch Verführung und Autorität, die abwanderungsoffenen durch eine Rückkehr in die Champions League. Die kommende Spielzeit ist für RB Leipzig also vor allem ein großes Experiment. Kann die Mannschaft anders als in der vergangenen Spielzeit ihre Powertänze auf drei Festivitäten durchziehen? Und wo stellt der Interimscoach am Ende diesen Kader ab? Nicht, dass im kommenden Sommer das Thema Bedingungen wieder vor den Seefelder Alpen steht.

Unser Tipp: Platz 5