Serravalle/Mailand. Serge Gnabry feierte beim 8:0-Kantersieg des DFB-Teams in San Marino ein tolles Debüt. Vor fünf Monaten war er beim FC Arsenal auf dem Abstellgleis.
Vielleicht hat Serge Gnabry davon erzählt, wie er sich einmal entscheiden musste: Fußball oder Leichtathletik? Früher, als Kind, war er noch Sprinter und verlor nie ein Rennen. Er wurde dennoch Fußballer. Das darf heute als gute Entscheidung gelten, und ohne gute Entscheidungen hätte Gnabry nun gar nicht erst sprechen dürfen – vor dieser prominenten Zuhörerschaft.
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Bei der deutschen Nationalelf ist es Sitte, dass einer in der Nacht nach seinem Debüt als Einstandsritual eine Rede halten muss. Er kann auch singen, aber die allermeisten Neulinge finden das peinlicher. Was Gnabry wirklich sagte, wollten sie beim DFB am Sonnabend partout nicht verraten. Aber Bundestrainer Joachim Löw hatte schon Freitagnacht geahnt, dass „besondere Anforderungen“ auf Gnabry zukommen würden. Denn es war ja kein gewöhnliches Debüt, das der 21 Jahre alte Flügelspieler von Werder Bremen beim 8:0 gegen das zugegeben wenig wehrhafte San Marino im WM-Qualifikationsspiel abgeliefert hatte. Drei Tore bei der Premierenpartie für den DFB gelangen vor ihm nur fünf anderen Spielern (siehe Infokasten). Zuletzt schaffte das Dieter Müller im EM-Halbfinale 1976, der mit seiner ersten Ballberührung nach der Einwechslung gegen Jugoslawien das 2:2 schoss und in der Verlängerung das 3:2 und 4:2 besorgte.
Gnabry galt beim FC Arsenal als "German Wunderkind"
„Beim Debüt drei Tore zu schießen, das hätte ich mich heute Morgen nicht zu träumen getraut. Das war ein super Einstand“, sagte Gnabry. Aber Eigenlob wurde dieser neuen Profi-Generation nahezu aberzogen, sodass er ergänzte: „Das war mein erstes Spiel gegen einen Gegner, der nicht Italien ist. Daher denke ich, dass man jetzt nicht zu viel daraus machen sollte.“ Das Lob übernahmen andere: „Es war ein Klassedebüt. Wir sind schon froh im deutschen Fußball, was wir noch alles in der Hinterhand haben“, sagte Thomas Müller. Und Mats Hummels fand: „Mit seiner enormen Spielfreude hat er uns gut getan.“
Vielleicht hat Serge Gnabry in seiner Rede vor der Mannschaft aber auch davon gesprochen, welch seltsame Bahnen der Fußball manchmal zieht. Wie seine Karriere im Sommer noch zu versanden drohte, er dann jedoch eine weitere gute Entscheidung traf: Saisonvorbereitung beim FC Arsenal? Dorthin war er mit 16 gewechselt. Dort galt er früh als „German Wunderkind“, machte bis 2015 aber nur zehn Spiele in der Premier League und wurde nach einer Leihe zu West Bromwich wieder nur im U21-Team eingesetzt. Arsenal also, oder Olympia mit der deutschen U23-Auswahl? Es wurde Olympia. „Das war für mich ausschlaggebend, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Davor war es schwer. Ich hatte keine Spielzeit. Jetzt ist das anders“, sagte Gnabry.
Im August in Rio wurde der in Stuttgart geborene Sohn eines Ivorers und einer Schwäbin mit sechs Treffern Torschützenkönig und Silber-Medaillen-Gewinner. Die halbe Bundesliga wollte ihn verpflichten. Er ging zu Werder, weil sein Berater, Hannes Winzer, der im Übrigen Trauzeuge vom früheren Bremer und damaligen Mitspieler Gnabrys bei Arsenal, Per Mertesacker war, dort Spielzeit witterte. Der FC Bayern soll sich zwar eine Kaufoption gesichert haben, aber Werder ist vorerst eine gute Entscheidung: In einem Werder-Team der Durchschnittlichen ragt Gnabry heraus, bereitete zwei Treffer vor und erzielte vier eigene. Einen davon auf ähnliche Weise wie das 4:0 gegen San Marino: Hereingabe, Direktabnahme ohne Geeier, drin. Gnabrys Treffer gegen Gladbach wurde das Tor des Monats. Gnabrys ähnlicher gegen San Marino dürfte in Löw die Ahnung reifen lassen, dass dieser Gnabry dem Bundestrainer helfen könnte, zwei seiner wenigen Probleme bei der Nationalelf zu lösen: das bisweilen große Geeier vor dem Tor und der Mangel an Eins-gegen-Eins-Spielern.
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„Für die Entwicklung und das Selbstbewusstsein von Gnabry war es klasse“, sagte Löw über dessen Debüt. Für seine Mannschaft mit der Perspektive WM 2018 in Russland, für die sie nach vier Siegen und 16:0 Toren schon so gut wie qualifiziert ist, macht sich das ebenfalls klasse. Es zeigt, dass da etwas nachkommt. „Der Fußball entwickelt sich, die Spieler entwickeln sich, wenn man so viele junge Spieler mit dieser Qualität sieht, ist das schön für Deutschland“, sagte Mario Götze.
Gnabry arbeitet nun mit einem Athletiktrainer
Der Fußball ist auch kitschig. Er schreibt Aufstiegs- und Abstiegsgeschichten in kurzer Abfolge – das weiß keiner besser als Götze. Neben Gnabry hatte ja auch der 19 Jahre alte Rechtsverteidiger Benjamin Henrichs von Bayer Leverkusen sein Debüt gegen San Marino gegeben und später mit aberzogenem Eigenlob in einem kalten Gang des Stadions in Serravalle versprochen nicht abzuheben: „Es geht im Moment steil bergauf, aber ich versuche, ruhig zu bleiben“, sagte Henrichs.
Zu jeder guten Aufstiegsgeschichte gehört allerdings auch mindestens ein Wendepunkt: Bei Gnabry waren es die Olympischen Spiele und eine dritte gute Entscheidung: Sein Berater Winzer hat ihm zuvor einen Athletiktrainer zur Seite gestellt. Schnell war er ja schon als Kind, wie wir eingangs feststellen konnten. Aber später war er auch oft verletzt. Nun habe er seine Einstellung zum Beruf überdacht und verzichte öfter mal auf Naschereien. Hat man ihn bei Arsenal verkannt, wurde Gnabry gefragt? Er antwortete mit „nein“, sagte aber eindeutig ja: „Ich weiß, was ich kann, wenn mein Körper mitmacht und ich meine Spielzeiten bekomme. Das ist jetzt das Ergebnis.“ Für Löw ein gutes.