Dortmund. . Ingo Anderbrügge spielte für Dortmund und Schalke 04. Beim Interview im Deutschen Fußballmuseum erinnert er sich an aufregende Derby-Momente.

  • Ingo Anderbrügge spielte für Dortmund und Schalke 04.
  • Beim Interview im Deutschen Fußballmuseum erinnert er sich an aufregende Derby-Momente.
  • Er verwandelte einen Elfmeter für Schalke vor der Südtribüne.

Dortmund. Es ist nicht so, als würden junge Hobby-Kicker Ingo Anderbrügge bewundernde Blicke zuwerfen. Es sind die älteren. Ein Autogramm auf der Eintrittskarte, ein heimliches Foto. Dazu das Geständnis: „Dabei bin ich doch Dortmunder.“ Bei Anderbrügge spielt das keine Rolle. Der 52-Jährige wurde bei Borussia Dortmund ausgebildet, spielte vier Jahre dort als Profi und wechselte 1988 zum großen Rivalen FC Schalke. Mit Königsblau stieg er in die Bundesliga auf und gewann 1997 den Uefa-Pokal. Von allen Grenzgängern ist keiner bei beiden Klubs noch so beliebt wie er. Vor dem Revierderby am Samstag (18.30 Uhr /live in unserem Ticker) nahm sich der Recklinghäuser Zeit für ein Gespräch im Deutschen Fußballmuseum.

Herr Anderbrügge, eine Nacht allein im Museum: Wo würden Sie sich hinschleichen?

Ingo Anderbrügge: Ich würde die Erinnerungen aus meiner Kindheit – als Gladbach-Fan in den 1970er-Jahren – suchen. Da gab es diese weißen Trikots mit den schwarzgrünen Streifen. Die haben mir immer imponiert. Da muss ich an Günther Netzer und Jupp Heynckes, mein damaliges Vorbild, denken. Meine Frau hat die mal im Internet gesucht, aber die gibt es so nicht. Nur in Gladbach hängen sie im Stadion. Also wenn da dann mal dunkel wäre, würde ich wohl eines von der Wand nehmen… (lacht)

Sie haben dem Museum selbst ein Trikot und einen Schuh zur Verfügung gestellt. Was wäre etwas, was Sie nie abgeben würden?

Anderbrügge: Die Uefa-Cup-Medaille natürlich. Auch wenn ich gerade gar nicht weiß, wo sie ist. Ich bin danach 17 Mal umgezogen. Aber die könnte ich nie abgeben. Ich hoffe, sie ist nicht verloren gegangen…

Ohnehin müsste man hier doch eine zweigeteilte Anderbrügge-Vitrine aufstellen: Um den Dortmunder und den Schalker in Ihnen zu würdigen.

Anderbrügge: Ja, vielleicht ist das für das Museum interessant. Es gibt ja nicht nur mich. Spieler wie ich können den Leuten als Botschaft vermitteln: Rivalität ja, aber lasst die Gewalt. Wer ist da der bessere Botschafter als der ehemalige Spieler aus beiden Lagern? Gewalt brauchen wir nicht.

Zumal es auch anders geht.

Anderbrügge: Ja, wenn die Leute so ein bisschen flachsen. Ich habe da zum Beispiel einen Freund, der fährt einen Umweg, wenn er nach Süddeutschland muss, weil er nicht durch Dortmund fährt. Der hat neulich seinen Taxischein gemacht und sollte einen Fahrgast zum Westfalenstadion bringen. Da hat er erst überlegt, ob er dem sagt, er soll ein anderes nehmen. Hinterher meinte er aber: „Ach, der war in Ordnung.“ (lacht) Das sind Geschichten, die sollen auch bleiben. Es gibt nichts Schöneres hier im Ruhrgebiet als diese beiden Vereine. Klaut euch halt mal eine Fahne, aber lasst die Gewalt.

Hat sich das Problem aus Ihrer Sicht verschärft?

Anderbrügge: Ja. Ich finde auch, die Politik müsste mehr durchgreifen. Polizei und Gesetze müssten einfach schärfer sein. Da macht man es sich manchmal auch zu leicht, das den Vereinen zu überlassen. Was nützt es, wenn einer Probleme bereitet und für eine Nacht im Knast sitzt? Der muss bis Mittwoch bleiben, damit der Chef merkt: Oh, wo ist er denn? Diesen Druck brauchen die vielleicht. Die Hemmschwelle ist einfach geringer geworden.

Herr Anderbrügge, warum wurden Sie als Dortmunder auf Schalke nie ausgepfiffen? 

Auf der anderen Seite: Atmosphärisch gibt es doch nichts Besseres als ein Derby, oder?

Anderbrügge: Genau. Das waren ja auch immer besondere Spiele. Klar, es gibt nur drei Punkte, aber du kommst rein und schon beim Warmmachen und Einlaufen sind die Menschen lauter, weil endlich das halbe Jahr wieder rum ist, und endlich wieder Derby ist. Das überträgt sich bei den Spielern, das nimmst du wahr. Nichts ist motivierender als dieser Einfluss von außen. Das trägt dich – und das ist im Derby eben besonders.

Und wenn dann auch noch das Spiel mitreißt…

Anderbrügge: Da flippen die Leute auch aus und machen mit. Und im Ruhrgebiet ist es ja auch so, da denkt ja schon jeder wieder an den Montag. Wie man von den Arbeitskollegen bei einer Niederlage gefoppt wird. Das ist der Druck, den man am Samstag im Spiel hat.

Aber das gehört dazu.

Anderbrügge: Ja, das ist die Leidenschaft, die die Zuschauer hier mitbringen. Das ist nicht erklärbar, das ist pure Begeisterung. Das ist Ausnahmezustand.

Und dann gibt es da Leute, die wechseln einfach von dem einen zu dem anderen Verein…

Anderbrügge: Ja, da werde ich oft angesprochen. Aber ich war da nicht Fan. Ich wollte so hoch wie möglich Fußball spielen. In Dortmund wurde ich ausgebildet, war noch vier Jahre Profi, diese Zeit vergesse ich nicht einfach. Man sollte nur um die Gefühle der Fans wissen, und damit nie spielen.

Nach Ihrem Wechsel wurden Sie als Dortmunder auf Schalke nie ausgepfiffen.

Anderbrügge: Vielleicht, weil ich immer offen damit umgegangen bin. Wenn ich einen Fußball-Papa habe, dann ist das Reinhard Rauball. Er hat mir in Dortmund meinen ersten Vertrag. Vielleicht bin ich nach zwölf Jahren mehr Schalker, auch durch den Aufstieg, ich habe da einfach mehr Emotionen gelassen. Ich würde auch nur für die Schalker Traditionsmannschaft auflaufen – denn da möchte ich nicht mit den Gefühlen der Fans spielen.

Warum wurden Sie so akzeptiert?

Anderbrügge: Vielleicht waren es die Umstände. Schalke ist 1988 abgestiegen, in den drei Jahren in der zweiten Liga haben wir nur einmal gegen Dortmund gespielt. Da hatte Schalke andere Sorgen, als darüber nachzudenken, dass da auch noch einer aus Dortmund gekommen ist.

Herr Anderbrügge, ist das Derby ein Sehnsuchtsort für Fußballromantik? 

Welchen Derby-Moment werden Sie nie vergessen?

Anderbrügge: 1997 mein entscheidendes Tor zum 1:0 im Parkstadion. Oder 1985: Da haben wir mit Dortmund in Gelsenkirchen 1:6 im Parkstadion verloren, und ich habe das Dortmunder Tor geschossen. Im Westfalenstadion war ich 1997 mit auf dem Platz, als Jens Lehmann dieses Tor zum 2:2 köpfte, da stand ich irgendwo am 16-Meter-Raum. Das war auch spannend. Und ich habe einen Elfmeter auf die Südtribüne geschossen.

Da schlägt das Herz aber auch ein wenig schneller, oder?

Anderbrügge: Puh, das war eine Situation. Da guckst du auf diese ganze Wand, und von da gucken alle auf dich, den Schützen, und du weißt, da musst du jetzt bestehen. Ich habe getroffen, aber das Spiel haben wir verloren. Das war auf jeden Fall extreme Anspannung. Das sind so geile Situationen, da musste durch. Ich war auch nie jemand, der dann gekniffen hat, es bleibt dann auch Sport. Wenn du mit Schalke nach Dortmund mit 80 000 Zuschauern kommst, da musst du erstmal bestehen. Zwischendurch guckst du dann mal nach oben in die Ecke: Ach, da sind unsere! Dann holst du dir ein bisschen Unterstützung, damit man sich nicht so alleine fühlt.

Bei aller Internationalisierung: Ist das Derby der letzte Sehnsuchtsort der Fußballromantik?

Anderbrügge: Ja, das stimmt. Deswegen finde ich es schade, dass so Vereine wie Alemannia Aachen oder Rot-Weiss Essen es nicht mehr richtig hinkriegen. Die findest du hier im Museum auch alle wieder – Ente Lippens und wie sie alle heißen.

Jetzt fehlt nur noch eins: Was tippen Sie für Samstag?

Anderbrügge: Wenn man nicht auffallen will, nimmt man unentschieden. (lacht) Vielleicht ist Schalke gerade zu einem guten Zeitpunkt in Dortmund. Die haben eine gute Chance, was für die Fans zu tun, den Start wieder gut zumachen. Ich sag‘ 1:0 für Schalke.