Wolfsburg. . Dieter Hecking spricht nach der Vize-Meisterschaft mit dem VfL Wolfsburg über sein Erfolgsgeheimnis und wie er über BVB-Trainer Jürgen Klopp denkt.

Dieter Hecking ist einfach kein Typ, der seine Emotionen gerne preis gibt. „Ich bin ja hier um die Ecke groß geworden, und als Westfale freut man sich eher innerlich“, sagte der aus Soest stammende Trainer des VfL Wolfsburg zum Beispiel, nachdem seine Mannschaft in Paderborn die Qualifikation für die Gruppenphase der Champions League perfekt gemacht hatte. Dafür ist Dieter Hecking ein Typ, der klare Aussagen trifft - über seinen Karriereweg, über Wolfsburg und natürlich über das DFB-Pokalfinale an diesem Samstag gegen Borussia Dortmund.

Herr Hecking, wir würden gern ein Detail Ihrer Karriere als Fußball-Profi interpretieren.

Dieter Hecking: Nur zu.

Nach der Wende spülte es die großen Talente aus den neuen Bundesländern in die alten. Sie gingen den anderen Weg: aus Mannheim nach Leipzig. Sind Sie jemand, der seine Karriere anders plant als andere?

Hecking: In diesem Fall lag kein Kalkül zugrunde. Viele haben gesagt, ich sei ein potenzieller Erstligaspieler. Aber irgendwann bin ich in der zweiten und dritten Liga verschwunden. Bei Waldhof Mannheim wurde damals mein Vertrag nicht verlängert, ich wartete auf Angebote, aber es kamen keine. Ich stand vor der Arbeitslosigkeit, als sich Leipzig meldete. Ich dachte: Warum soll ich nicht mal so einen Schritt machen? Leipzig war damals noch nicht so entwickelt wie heute. Das war für uns privat noch einmal eine richtig gute Schule.

Wie meinen Sie das?

Hecking: Was bei uns im Westen Gang und Gäbe war, gab es im Osten nicht zwingend. Auch die Wohnungssuche verlief alles andere als reibungslos. Wir wollten nicht in den Plattenbau einziehen und suchten nach einem Einfamilienhaus, aber Wohngebiete gab es damals noch nicht. Wir fanden einen Altbau, aber Gas- oder Ölheizung gab es noch nicht. Da musste ich morgens runter in den Heizungsraum und den Ofen mit Kohle selber anfeuern.

Haben Sie diesen Schritt in ihrer Karriere je bereut?

Hecking: Nein. Es war eine gute Zeit. Ich habe nach dem Aufstieg sogar noch 30 Bundesligaspiele machen dürfen.

Prägen solche Erfahrungen?

Hecking: Sie haben meine Familie und mich geprägt, ja. Ich empfand es als sehr hilfreich, gewisse Dinge zu lernen. Daher wünsche ich mir auch heute noch, dass man den Spielern nicht alles abnimmt. Wenn ich Selbstständigkeit auf dem Platz verlange, dann sollten die Spieler außerhalb des Platzes ihre privaten Angelegenheiten grundsätzlich auch selbständig regeln können.

Sie haben den größten Teil Ihrer Spieler-Karriere in der zweiten Liga verbracht. Muss man ein guter Spieler gewesen sein, um ein guter Trainer zu werden?

Hecking: Um ein guter Trainer zu sein, muss man vor allem Fachkompetenz haben. Die Spieler merken schnell, ob der Trainer Ahnung hat. Ich war vielleicht nicht der erfolgreichste Spieler, aber ich habe immer gern Verantwortung getragen und immer schon alles hinterfragt. Irgendetwas zu machen, das man mir vorgibt, hat mich nie zufrieden gestellt. Diesen Ehrgeiz, aus gut sehr gut zu machen, den hatte ich schon immer.

Es ist Ihnen häufig gelungen. Mit dem Zweitligisten Lübeck standen Sie im DFB-Pokal-Halbfinale, mit Aachen schafften Sie den Bundesliga-Aufstieg, Hannover führten Sie vom letzten Platz Richtung Europa, Nürnberg anschließend ins gesicherte Mittefeld der Tabelle.

Hecking: Nürnberg hatte nach der Hinrunde zwölf Punkte, glaube ich. Da hat man mich gefragt, warum ich dahin gehe. Aber wenn die Aufgabe schwer ist, ist sie eben schwer. Dann muss man sie lösen.

Dann machten Sie von Ihrer Ausstiegsklausel Gebrauch und gingen in der Winterpause 2012/13 nach Wolfsburg...

Hecking: Das ergab für viele Außenstehende zunächst auch keinen Sinn, weil Wolfsburg 15. war und Nürnberg 12. Auch da haben mich alle gefragt: Warum machst du das? Nach zweieinhalb Jahren kann der eine oder andere die Entscheidung jetzt vielleicht nachvollziehen.

Haben Sie das Gefühl, in der öffentlichen Wahrnehmung stets die angemessene Anerkennung für Ihre Arbeit erhalten zu haben?

Hecking: Ich bin keiner, der nach dem Licht strebt. Deshalb kann ich mich nicht beschweren, wenn ein sportlicher Erfolg meiner Mannschaft vielleicht nicht so dargestellt wird, wie er es verdient hätte. Ich weiß, dass ich nicht derjenige bin, der gleich von jedem wahrgenommen wird. Aber ich weiß, dass ich in der Branche einen guten Ruf habe. Und das ist mir wichtiger, als ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen.

Stört Sie das an anderen?

Hecking: Jeder muss seinen Weg finden und mein Weg ist der, zu sagen: Die Mannschaft ist das Wichtigste.

Sie haben Polizist gelernt und haben fünf Kinder. Welche Rolle ist wichtiger für Ihre Arbeit als Trainer?

Hecking: Die innerhalb der Familie. Meine Kinder sind zwischen 28 und 13 Jahren. Kinder in diesem Alter zu haben, ist ein großer Vorteil, weil ich alles mitbekomme, was die Spieler auch beschäftigt. Die aktuellste Musik, die Videospiele, welche Clubs in sind, welche Städte in sind, welche Mode in ist. Twitter und Facebook wären ohne meine Kinder vermutlich verborgene Welten für mich.

Welche neuen Herausforderungen haben sich Ihnen gestellt, als Sie nach Wolfsburg kamen?

Hecking: Hier arbeite ich mit Spielern, die schon einen gewissen Star-Faktor haben. Das war für mich im ersten Moment auch etwas ungewohnt. Aber ich habe relativ schnell gemerkt, dass auch diese Spieler froh sind, wenn man ihnen einen klaren Weg vorgibt.

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Wie gelingt das mit einem wie Kevin De Bruyne, der als schwierig gilt?

Hecking: Kevin ist nicht schwierig, er ist vielleicht nur manchmal etwas unbequem, weil er immer gewinnen will. Es ärgert ihn maßlos, wenn Mitspieler nicht konzentriert sind, wenn Mitspieler aus seiner Sicht nicht alles für den Erfolg tun. Nur: Wenn er diesen Anspruch an seine Mitspieler hat, muss er sich selbst auch immer wieder überprüfen. Zum Beispiel bei der Körpersprache. Das ist der Lernprozess, den er gerade durchläuft, da hat er einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Er hat eine Mentalität, wie sie nur wenige haben.

"Die Stimmung beim Pokalfinale hat mich jedes Mal fasziniert" 

Kennen sich, schätzen sich: BVB-Trainer Jürgen Klopp und Wölfe-Coach Dieter Hecking.
Kennen sich, schätzen sich: BVB-Trainer Jürgen Klopp und Wölfe-Coach Dieter Hecking. © Imago

Was bedeutet Ihnen das bevorstehende Finale im DFB-Pokal?

Hecking: Für mich persönlich ist es die große Chance, einen Titel zu gewinnen. Ob es klappt, werden wir sehen. Bislang war mir das mit meinen Vereinen kaum möglich. Als Zuschauer war ich schon drei-, viermal beim Endspiel dabei und die Stimmung hat mich jedes Mal fasziniert. Und jetzt bin ich einer der Hauptbeteiligten, das ist pure Vorfreude.

Es ist auch ein Duell der Trainer: Sie und Jürgen Klopp wirken extrem unterschiedlich. Ist das auch so?

Hecking: Ich kenne Jürgen jetzt schon sehr lange, wir haben früher schon in der Oberliga Hessen gegeneinander und in der Hessenauswahl miteinander gespielt. Ich muss sagen, dass ich diesen Typen einfach mag. Jürgen schafft es durch seine positive Ausstrahlung, die Menschen von der ersten Sekunde an für sich zu vereinnahmen. Das ist etwas, das ihn auszeichnet. Ich bin so nicht. Ich explodiere manchmal auch am Spielfeldrand, aber bei mir wird das vielleicht nicht so wahrgenommen.

Haben Sie gedacht, dass Sie es einmal bis Berlin schaffen würden?

Hecking: Die Hoffnung hatte ich immer. So musst du als Trainer auch denken: nicht verwalten, sondern Träume entwickeln und die Träume weitergeben an die Spieler.

Wie lernt man, Träume weiterzugeben?

Hecking: Natürlich wird es für die Zukunft in dem Moment leichter, in dem ein Traum in Erfüllung geht. Dann kann jeder nachvollziehen, was nötig war, um ihn zu erreichen. Es ist eine ganz wichtige Erfahrung, wenn man etwas vermitteln will.

In welcher Beziehung steht der Spieler Dieter Hecking zum Trainer Dieter Hecking?

Hecking: Ich habe oft meine aktive Zeit Revue passieren lassen und mich gefragt: Was hat mir eigentlich gefehlt? Ich habe es nicht verstanden, die Ellenbogen einzusetzen. Ich war immer der, der sagte: Dann warte ich, bis meine Chance kommt. Aber die kommt nicht von alleine. Wenn du darauf wartest, kommst du nicht ans Ziel, dann wirst du immer ausgebremst. Das war vielleicht der größte Fehler, den ich damals, als ich aus der Jugend kam und nach Gladbach ging, gemacht habe. Ich kam als Stürmer Nummer 6 und habe mich hinten angestellt. Aber das ist der falsche Weg. Du musst den Arrivierten anfangen zu zeigen: Ja, ich respektiere eure Rolle, aber ich will deinen Platz. Ich habe zu spät verstanden, dass es so läuft.