Gelsenkirchen. Vor zehn Jahren feierte Deutschland das Sommermärchen. Gerald Asamoah war der einzige Schalke-Spieler in der deutschen Nationalelf. Ein Interview.

Die Entscheidung fällt beim Mittagessen. „Asa, ab heute bist du der DJ“, sagt Trainer Jürgen Klinsmann zu Gerald Asamoah. Die deutsche Nationalelf bereitet sich da gerade in Genf auf die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land vor. Die Erwartungshaltung ist hoch. Die Kritik laut. Asamoah überlegt lange, welches Lied passt. Seine Wahl wird zu dem Sommermärchen-Song schlechthin. Deutschland hat einen Ohrwurm.

Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.

10 Jahre später spricht die Schalke-Legende über die WM im eigenen Land. 

Herr Asamoah, beschreibt dieses Lied die Stimmung in der Mannschaft?

Gerald Asamoah (links) im Gespräch mit Marian Laske.
Gerald Asamoah (links) im Gespräch mit Marian Laske. © Funke | Unbekannt

Gerald Asamoah: Definitiv. Es war die WM im eigenen Land. Wir wollten Weltmeister werden, das war vom ersten Moment an an die Vision von Klinsmann. Aber Weltmeister zu werden, ist eben nicht einfach.

Ich habe es noch nie probiert.

Gerald Asamoah: (lacht) Glauben Sie mir, es ist definitiv nicht einfach. Aber irgendwann waren wir alle der Überzeugung: Wir schaffen das, auch wenn der Weg kein einfacher wird.

Aber es ist schon ein ungewöhnliches Lied. Der Song regt zum Nachdenken an.

Gerald Asamoah: Ich hätte auch ein anderes Lied auswählen können, einen Motivationssong. Aber das wäre langweilig gewesen. Das Lied von Xavier hat einfach gewirkt. Vor dem Spiel war in der Kabine klar: Asa macht das Lied an.

Haben Sie mal mit Xavier Naidoo darüber gesprochen?

Gerald Asamoah: Ja, wir haben noch Kontakt und schreiben uns manchmal. Er weiß schon, dass er durch das Lied Einfluss auf unsere Mannschaft hatte. Er hat sich damals auch bei der EinsLive Krone bedankt.

Sie selbst haben während des Turniers kaum gespielt. Viele sagen, Sie waren der Spaßvogel?

Gerald Asamoah: Wer mich kennt, weiß, dass ich immer für einen Spaß zu haben bin. Als Fußballer willst du spielen, aber man muss ehrlich sagen, es gab viele gute Spieler. Trotzdem war das Team-Klima sehr, sehr gut.

Mit Leroy Sané und Benedikt Höwedes sind zwei Schalker bei der EM 2016. Vor allem Sané wird um seine Einsatzzeiten kämpfen müssen. Wie viel bringt so ein Turnier, auch wenn man nicht spielt?

Gerald Asamoah: Alleine das Training bringt dich weiter. Du bist im Kader mit den besten Spielern Deutschlands. Und Leroy Sané hat ein großes Talent. Ich bin mir sicher, dass er seine Einsätze bekommt.

Welchen Stellenwert hat das Sommermärchen in Ihrer Karriere?

Gerald Asamoah: Eine Weltmeisterschaft ist immer etwas Besonderes. Ich war ja auch 2002 dabei. Aber eine WM im eigenen Land hat einen noch höheren Stellenwert. Die Leute sprechen mich heute noch darauf an. Außerdem war das Sommermärchen sehr wichtig für Deutschland. Das Turnier hat enorm viel bewegt.

Jens Lehmann hat es mir so beschrieben: Deutschland hat seinen positiven Patriotismus wiedergefunden.

Gerald Asamoah: Da ist was dran. Aber auch das Ausland hat uns anders gesehen. Ich bin nach dem Turnier nach Ghana geflogen. Die Leute dort haben mich alle auf Deutschland angesprochen. Plötzlich waren sie von dem Land begeistert.

Gerald Asamoah über Rassismus im Fußball

War es für Sie als farbiger Spieler etwas Besonderes, ganz selbstverständlich ein Teil dieser Mannschaft zu sein?

Gerald Asamoah: Ich gehörte schon lange dazu. Schon seit dem Jahr 2001 war ich Nationalspieler. Gewisse Leute wollten das nicht wahrhaben. Diese Leute wird es immer geben. Aber es ist wichtig, dass die jungen Leute kapieren, dass auch Spieler mit einer anderen Hautfarbe zu Deutschland gehören.

Sie wurden in ihrem Leben häufig rassistisch beleidigt. War es für Sie deswegen schwierig, für Deutschland zu spielen?

Gerald Asamoah: Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht. Ich wurde in Ghana geboren, aber ich lebe in einem Land, in dem ich mich sehr, sehr wohlfühle und in dem ich mich zuhause fühle. Ich wollte Deutschland als Nationalspieler etwas zurückgeben. Wenn es dann Leute gibt, die nicht einsehen wollen, dass du dazugehörst, dann tut das weh.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den AfD-Politiker Alexander Gauland, der Jerome Boateng beleidigt hat und anschließend auch die Reise von Mesut Özil nach Mekka kritisierte.

Gerald Asamoah: Diese Äußerung war einfach daneben. Das war schon sehr enttäuschend. Aber ich gehe davon aus, dass die Menschen weiterdenken.

Wie hat sich die Stimmung im Land seit der WM 2006 entwickelt?

Gerald Asamoah: Ich hatte gehofft, wir wären schon weiter. Jetzt sprechen wir wieder über Rassismus. Ich engagiere mich auch mit Schalke gegen Rassismus, besuche Schulen. Aber wenn dann wieder die gleichen Themen aufkommen, dann ist das sehr hart. Das Positive ist aber, dass jetzt wieder viele Leute die Stimme erheben und sich gegen Rassismus aussprechen.

Können Sie mit Ihrem Engagement etwas bewegen?

Gerald Asamoah: Was manche ältere Leute denken, ist das eine, denn die kann ich meist nicht mehr umstimmen. Aber die jüngeren sollen wissen: Der Flüchtling, der aus Syrien kommt, der kann zum Beispiel vielleicht morgen auch für Deutschland spielen und das entscheidende Tor schießen. Alle Menschen müssen diese Chance bekommen.

2006 war nicht nur die Stimmung besonders, auch die Spielweise der Mannschaft war etwas Neues. Deutschland hat plötzlich offensiv gespielt. Wie hat Trainer Jürgen Klinsmann das geschafft?

Gerald Asamoah: Klinsmann hat vom ersten Tag an gesagt: Jungs, wir wollen nicht abwarten, wir wollen angreifen. Er war ein Motivator. Er hat Ideen gehabt, und er hat sehr viele Sachen verändert. Es war auch die richtige Entscheidung, sich noch einen Taktiker wie Joachim Löw dazuzuholen.

Am Ende wurden Sie Dritter. Ein Erfolg?

Gerald Asamoah: Als wir im Halbfinale gegen Italien ausgeschieden sind, war es schon bitter. Das habe ich in der Kabine gemerkt. Aber dann wollten wir unbedingt Dritter werden. Das haben wir geschafft.

Und wann haben Sie gemerkt, dass sie die Menschen in Deutschland sehr berührt haben?

Gerald Asamoah: Wir haben das erst gar nicht so wahrgenommen. Als wir aber nach dem Turnier in Berlin empfangen wurden, haben wir gemerkt, was wir geschafft haben. Das waren so viele Menschen, obwohl wir nur Dritter geworden sind. Da hatte ich eine Gänsehaut.

Gerald Asamoah über den FC Schalke

Waren Sie stolz, als einziger Spieler den FC Schalke zu repräsentieren?

Gerald Asamoah: Klar, das macht mich immer stolz.

Wie haben Sie sich als Schalker mit den BVB-Spielern verstanden?

Gerald Asamoah: Fußball verbindet, da kommt man sogar mit einem Borussen klar (lacht).

Was bedeutet Ihnen Schalke?

Gerald Asamoah: Ich habe mich vom ersten Tag an in diesen Verein verliebt. Meine Heimat ist Gelsenkirchen. Schalke ist meine Familie. Ich kenne alle hier. Wenn du fragst, wer ist Asamoah, dann lautet die Antwort: Das ist der Schalke-Spieler oder der Schwarze, der für Deutschland gespielt hat.

Wie geht es für Sie in Zukunft auf Schalke weiter?

Gerald Asamoah: Ich orientiere mich noch. Ich habe als Co-Trainer bei der U15 auf Schalke gearbeitet, bin Vereins-Botschafter beim S04 und absolviere gerade ein Sportstudium.

Wie schneidet die Nationalmannschaft bei der EM ab?

Gerald Asamoah: Alle denken, wir werden Europameister. Das wird nicht leicht. Aber wenn wir unsere Leistung bringen, dann sieht es gut aus, dass wir den Titel holen.

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