Gelsenkirchen.. Im Kampf um den Platz im Tor des FC Schalke 04 liegt momentan Lars Unnerstall in Führung. Doch Timo Hildebrand bedrängt ihn bereits, und auch der verletzte Ralf Fährmann hat angekündigt, kämpfen zu wollen.
Du spielst vor 80 000. Beton beginnt zu beben, die gigantische gelbe Kulisse brüllt dir ihre Abneigung entgegen, die Phonstärke erreicht Rekordwerte: Das ist die Atmosphäre, die robuste Torhüter mögen. Sie stehen im Blickpunkt, sie können sich auszeichnen. Den erst 21-jährigen Schalker Lars Unnerstall hat es im Revierderby am vergangenen Samstag nicht gestört, dass die Stimmbänder der Dortmunder Fans zu reißen drohten. Er hat seinen Gehörgang abgeriegelt und eine starke Leistung geboten.
Du spielst vor 6000, das Stadion hat die besseren Tage lange hinter sich, die Liga entspricht nicht deinen Vorstellungen, und die nicht zu unterschätzende rote Kulisse ergötzt sich daran, dich zu verhöhnen: Das ist die Atmosphäre, in der auch routinierte Torhüter ein Nervenkostüm aus dem Tiefkühlregal brauchen. Der 32-jährige Timo Hildebrand, ehemaliger Nationaltorwart, hat am vergangenen Samstag im Spiel der Schalker Regionalliga-Mannschaft bei Rot-Weiß Essen die Schmähgesänge („Vierte Liga, Timo ist dabei“) nur schwer ignorieren können, auch wenn er versichert, dass sie ihm egal seien. Nicht egal ist ihm nämlich, dass er sich hinten anstellen muss: „Fest steht, dass mich diese Situation langsam nervt“, sagt er. „Mein Ziel ist natürlich nicht der Regionalliga-Fußball.“ Hildebrands Ehrlichkeit ist aber nicht als offener Protest zu deuten. Er weiß, dass er nichts fordern kann, nachdem Schalke ihn aus der Arbeitslosigkeit holte.
Viermal hat er im U-23-Team der Blau-Weißen Spielpraxis gesammelt, das Trainerteam hielt dies für sinnvoller, als ihn in der Bundesliga den Härtegrad der Bankplätze prüfen zu lassen. Hildebrand benötigt Geduld. Die Schalker brauchten ihn als Rückversicherung, als sich Ralf Fährmann schwer verletzte. Der unerfahrene Lars Unnerstall aber erlaubt sich seitdem keine groben Fehler. Also gibt es auch vor dem Bundesligaspiel am Sonntag gegen den Aufsteiger FC Augsburg keinen Grund, um die Hierarchie zu verschieben.
Aber Timo Hildebrand steht grundsätzlich bereit. Er verbessert sich kontinuierlich, das hat ihm Trainer Huub Stevens bestätigt. Am Donnerstagabend beim 2:1-Sieg gegen Steaua Bukarest gehörte der frühere Stuttgarter erstmals zum Schalker Profi-Aufgebot, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er in Kürze in der Europa League auch spielen.
Rene Adler wäre eine Option
Denn Stevens hat nach der vorzeitigen Qualifikation für die Zwischenrunde angekündigt, im letzten Gruppenspiel am 14. Dezember bei Maccabi Haifa einige Stammkräfte schonen zu wollen. Eine Gelegenheit, um Hildebrand zu prüfen und zu belohnen.
Dem Trainer gefällt es, wie seine Torhüter mit der Konkurrenzsituation umgehen: „Lars Unnerstall hat seine Sache gut gemacht, aber er hat auch die Unterstützung von Timo Hildebrand und Mathias Schober“, erklärt Stevens, dem es wichtig ist, dass Hildebrand nicht missverstanden wird: „Wenn er Verständnis zeigt, heißt das nicht, dass er sich mit seiner Situation zufrieden gibt. Timo gibt Gas.“
Hildebrand ist von Schalke nur bis zum Saisonende verpflichtet worden. Auch der Vertrag von Schober läuft aus, der 35-Jährige stellt bedauernd fest: „Vor zwölf Jahren wurde auf den älteren Torwart gesetzt, heute werden die jungen Torhüter bevorzugt. Ich lebe in der falschen Zeit.“ Fährmann, der 23-Jährige, hat angekündigt, dass er energisch um seine Rückkehr ins Team kämpfen wird, wenn er den Kreuzbandanriss auskuriert hat. Unnerstall hat gesagt, er freue sich schon auf den Zweikampf mit Fährmann. Schalkes Jugend-Torwarttrainer Lothar Matuschak, der beide ausbildete und von beiden viel hält, erwartet ein tolles Duell: „Zum Glück habe ich da keine Entscheidungsgewalt.“
Momentan aber türmen sich noch jede Menge Fragen auf. Wird Unnerstall konstant bleiben? Kann Hildebrand vorbeiziehen? Wie schnell wird Fährmann in Form kommen? Und: In welcher Verfassung wird eigentlich der degradierte René Adler sein, wenn er in Leverkusen nach seiner Verletzung wieder die Arbeit aufnimmt? Denn auch der zum Saisonende ablösefreie 26-Jährige, vor eineinhalb Jahren noch Deutschlands Nummer eins, könnte für die Königsblauen eine Option sein, falls sich bis zur nächsten Spielzeit keiner der Konkurrenten klar behaupten sollte. In diesem hochspannenden Rennen gibt es keinen Usain Bolt.