Heute vor 70 Jahren wurde das letzte Mal eine jüdische Fußballmeisterschaft ausgetragen – der Sieger kam aus dem Ruhrgebiet und hieß Schild Bochum. Das Schicksal der Meisterelf um Kapitän Erich Gottschalk ist heute weitgehend vergessen und damit symptomatisch für die Geschichte des jüdischen Fußballs im Westen überhaupt.
Sie spielten in blau-weißen Trikots, ihre Heimat war an der Castroper Straße und sie wurden Deutscher Fußballmeister – die Geschichte der Mannschaft von Hakoah Bochum ist heutzutage nicht nur in Bochum nahezu vergessen. Dabei spiegelt sich am Schicksal dieser Elf der Lebensweg so vieler deutscher Juden nach 1933 wider.
Der jüdische Sportverein Bochums gründete sich im Januar 1925 als TuS Hakoah Bochum. Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits mehrere weitere rein jüdische Sportvereine im Revier, als größter unter ihnen Hakoah Essen. Insgesamt schienen die Juden im Ruhrgebiet zu diesem Zeitpunkt gut ins gesellschaftliche Leben integriert. Sie arbeiteten in den gleichen Firmen, gingen in die gleichen Schulen und trieben in den gleichen Vereinen Sport wie ihre christlichen Nachbarn.
Doch trotz ihrer äußerich guten Integration spürten viele Juden Mitte der 20er, wie der Nationalsozialismus auch an der Ruhr immer mehr Auftrieb bekam. Daher fühlten sich einige Juden in Bochum und anderen Städten dazu berufen, ihre körperliche Stärke fortan in eigenen Vereinen zu demonstrieren. Das von den Nazis bediente Klischee stempelte sie schließlich gerade als unsportliche Wesen ab, die zu keiner „anständigen Arbeit“ fähig wären. Bei Hakoah wollten sie nun das Gegenteil beweisen.
Nichts lag den Hakoah-Gründern dabei ferner, als sich durch den Sport einseitig von ihren christlichen Freunden abzugrenzen. Ganz im Gegenteil stellten die jüdischen Klubs 1925 einen Antrag auf Aufnahme in den Westdeutschen Spielverband (WSV), um sich im normalen Ligabetrieb mit anderen Klubs zu messen. Constans Jersch jedoch, damals Präsident des TuS Bochum, Vorsitzender des WSV und noch bis in die 50er-Jahre hinein hochrangiger Funktionär des VfL Bochum, lehnte das Gesuch der jüdischen Kicker wegen „Überfüllung der Spielklassen“ab.
Hakoah Bochum und die anderen Vereine waren von dieser Zurückweisung schwer getroffen. Notgedrungen beschlossen die Hakoahs, Makkabis und Bar Kochbas nun, ihren eigenen Fußballverband aufzubauen. In der so genannten Vintus-Liga spielten fortan 14 jüdische Mannschaften aus dem ganzen Westen im Zwei-Wochen-Rhythmus um Tore und Punkte. Dominierende Mannschaft war dabei von Beginn an Hakoah Bochum um den Mannschaftskapitän Erich Gottschalk.
Während wir uns die Vintus-Liga jedoch zunächst aus heutiger Sicht wohl eher als gehobene Freizeitliga vorstellen müssen, brachte zynischerweise ausgerechnet das Jahr 1933 organisatorisch einen Schritt nach vorn. Schon kurz nach der Nazi-Machtergreifung passten sich die Vereine des DFB den neuen Zeiten an und drängten ihre jüdischen Mitglieder aus den eigenen Reihen aus. Diese Aktiven – die überwiegende Zahl der sportlich aktiven Juden – mussten nun den bestehenden rein jüdischen Klubs beitreten, wollten sie weiterhin Sport treiben.
Die Nazis erlaubten den Juden nämlich zunächst die Fortsetzung ihres Sports, allerdings unter strikter Trennung. Begegnungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Klubs hatten zu unterbleiben, gemischte Mannschaften waren von vornherein ausgeschlossen. Unter diesen äußeren Zwängen strömten 1933 die aus den bürgerlichen Teams ausgestoßenen Kicker in die bestehenden Klubs oder gründeten neue.
Alleine im Schild-Sportbund – einer von zwei großen jüdischen Sportverbänden neben dem zionistischen Makkabi - stieg in den zwei Jahren die Zahl der Vereine von 70 auf 216, über 20.000 Aktive engagierten sich. Zu den erfolgreichsten Fußballmannschaften gehörte auch weiterhin Schild Bochum, wie sich der Verein nun nannte.
Von 1933 bis 1938 zog er in vier von fünf westdeutsche Finalspiele ein und erreichte dreimal den Titel. Die Lebensbedingungen der deutschen Juden verschlechterten sich derweil immer mehr: Nach den Rassegesetzen von 1935 galten die Juden auch offiziell nur noch als Bürger zweiter Klasse. Wer es sich leisten konnte, wanderte aus. Auch die jüdischen Vereine bekamen die Repressalien immer stärker zu spüren: Die Sportgruppe Bochum stand seit 1936 ohne eigenen Platz da, da kein Bochumer Sportverein mehr Juden auf seinem Platz zulassen wollte.
Fortan musste die Mannschaft zu jedem Heimspiel nach Gelsenkirchen-Ückendorf ausweichen, wo der dortige jüdische Verein einen eigenen Platz besaß. Trotz dieser Einschränkungen lief Schild Bochum in der sich bereits abzeichnenden Katastrophe zu seiner größten Form auf.
In der Saison 1937/38 sicherte sich Bochum erneut die Westmeisterschaft und zog in die Finalrunde ein. Diesmal wurden Schild Frankfurt (6:2) und Hamburg (1:0) geschlagen, so dass Bochum als erste westdeutsche Mannschaft überhaupt in ein Finale um die Deutsche Meisterschaft einzog. Gegner waren am 26. Juni 1938 – heute vor 70 Jahren - in Köln die hoch favorisierten Stuttgarter, die als Titelverteidiger ins Rennen gingen.
Am Ende ging Schild Bochum als überlegener 4:1-Gewinner vom Platz. Torschützen waren neben einem Stuttgarter Eigentor Hans Cohen, der seine Karriere später bei den Young Boys Bern und in New York fortsetzte, sowie Leo Alexander, der wenige Jahre später im Ghetto erschossen wurde. Viele der damals noch feiernden Spieler und Anhänger werden dieses Schicksal auch Mitte 1938 noch nicht für möglich gehalten haben.
Doch nur wenige Wochen nach Bochums größtem fußballerischen Erfolg beendeten die Pogrome des 9. November die Geschichte des Vereins mit einem Schlag. Die noch verbliebenen Spieler wurden nun der offenen Verfolgung ausgesetzt und in alle Himmelsrichtungen verstreut. Nur wenige konnten dabei noch rechtzeitig flüchten: Mannschaftskapitän Erich Gottschalk wurde mit seiner Familie nach Auschwitz verschleppt, wo er selbst nur durch einen Zufall überlebte. Sein Vater, seine Mutter, seine Ehefrau, sein Bruder sowie seine dreijährige Tochter kamenin den Gaskammern ums Leben.
Nach dem Krieg ließ sich Gottschalk psychisch und physisch gebrochen in Holland nieder, wo er ein zweites Mal heiratete. Seinen neuen Verwandten erzählte er, dass er früher einmal Deutscher Meister im Fußball gewesen sei. Niemand wollte mehr dem alten Mann die Geschichte recht glauben.