Mönchengladbach.. In den 70er-Jahren war es ein Spiel auf Augenhöhe. Heute taumelt Borussia Mönchengladbach vor dem Klassiker gegen Bayern München dem Abstieg entgegen. Unter den Fans tobt ein erbitterter Streit um die Zukunft des Traditionsvereins. Ein Stimmungsbild.
Lucien Favre haben die paar Tage Heimaturlaub, die er sich über das bundesligafreie Länderspielwochenende gegönnt hat, sichtlich gut getan. Hatte der Gladbach-Trainer nach der desaströsen Heimpleite seiner Elf gegen Kaiserslautern noch hilflos um Worte gerungen und resigniert die Leistung seiner Mannschaft kommentiert, steht er nun erholt und voller Energie auf dem Trainingsplatz und gibt Kommandos: „Weiter“, „schneller“, „zweiter Ball“ schreit der Schweizer seinen Schützligen immer wieder zu und dirigiert wild gestikulierend das Trainingsspiel.
Lucien Favre wirkt zumindest auf dem Trainingsplatz nicht so, als ob er sich schon abgefunden hat mit dem dritten Abstieg in Borussias Vereinsgeschichte.
Rein rechnerisch kann sich auch der FC Köln noch fürs internationale Geschäft qualifizieren
Es ist die Woche zwei nach jenem 0:1 gegen den Mitabstiegskandidaten Kaiserslautern, das selbst den kühnsten Optimisten unter den Gladbacher Fans die letzte Hoffnung auf den Klassenerhalt geraubt hat. Sicher: Rein rechnerisch ist der Ligaverbleib bei sieben ausstehenden Spielen noch immer drin. Aber rein rechnerisch kann sich auch der FC Köln noch fürs internationale Geschäft qualifizieren. Nur hat die mathematische Möglichkeit in beiden Fällen wenig mit der Realität zu tun.
Man kann nicht sagen, dass die Gladbacher eine schlechte Rückrunde spielen: 13 Punkte aus zehn Spielen, Platz neun in der Rückrunden-Tabelle – das ist nicht berauschend, aber ganz ordentlich für eine Mannschaft, die in der ersten Halbserie ganze zehn Zähler eingefahren hat. Nur reicht nach einer so schlechten Hinrunde eben keine ganz ordentliche Rückrunde. Es braucht eine Siegesserie.
Die Stimmung ist am Tiefpunkt angekommen
Aber immer dann, wenn sich die abgeschlagenen Gladbacher wieder mühsam an den Relegationsplatz herangekämpft haben und ihnen mit einem Sieg gegen einen direkten Konkurrenten ein Befreiungsschlag gelingen könnte – immer dann bricht die Mannschaft ein und bringt sich durch eigene Fehler und Undiszipliniertheiten um den Lohn. So war es gegen Sankt Pauli. So war es gegen Stuttgart. So war es gegen Lautern.
Und so ist es kein Wunder, dass die Stimmung um den Borussia-Park mittlerweile am Tiefpunkt angekommen ist. Als die Gladbacher Spieler nach der Pleite gegen Kaiserslautern in die Nordkurve gingen, um sich von den Fans zu verabschieden, hagelte es ein Pfeifkonzert. Selbst bei den treuesten Anhängern sitzt der Frust tief.
Denn seit Gladbach 1995 den DFB-Pokal – und damit den letzten Titel der ruhmreichen Vereinsgeschichte – holte, ist es sportlich nur noch bergab gegangen. Seither haben 16 Trainer, fünf Manager und unzählige teure Neuverpflichtungen versucht, dem darniederliegenden Mythos neues Leben einzuhauchen. Auf Dauer ist es keinem gelungen. Im Gegenteil: 1999 stieg Gladbach zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte ab. 2007 folgte der zweite Gang ins Unterhaus.
Dabei steht der Verein wirtschaftlich und infrastrukturell im Bundesligavergleich gut da. Hinzu kommen die lange Tradition und das große Fanpotenzial. Nur schafft es scheinbar niemand, diese günstige Konstellation in sportlichen Erfolg umzumünzen.
Diese Gemengelage ist der Nährboden, auf dem der Widerstand gegen die Vereinspolitik wächst. Zwei Gruppierungen – die „Mitgliederoffensive Borussia“ und die „Initiative Borussia“ – liefern sich derzeit einen erbitterten Wahlkampf um die Gunst der Gladbacher Mitglieder. Beide wollen mit Satzungsänderungen auf der Jahreshauptversammlung der Borussia am 29. Mai die Strukturen des Vereins verändern. Zwei Drittel der Mitglieder müssten einer Satzungsänderung zustimmen. Ansonsten bliebe alles beim Alten – so wie es die Vereinsführung will.
"Wir müssen die Borussia den Mitgliedern zurück geben"
Die „Mitgliederoffensive Borussia“ steht für eine recht moderate Reform. Drei Änderungsanträge für die Satzung will die Gruppe, die sich aus Mitgliedern des Fanclubs „Preußen ‚93“ rekrutiert“, auf der Jahreshauptversammlung einbringen. „Unsere Satzung ist sehr mitgliederunfreundlich“, sagt Michael Weigand, Sprecher der „Mitgliederoffensive“ und Gladbacher CDU-Politiker. Weigand attestiert dem Verein „quasi autokratische Strukturen“, die es aufzubrechen gelte: „Wir müssen die Borussia den Mitgliedern zurück geben und so wieder einen höheren Identifikationsgrad schaffen, der die Basis für den sportlichen Erfolg ist“, fordert er.
Konkret will die „Mitgliederoffensive“ durchsetzen, dass der Vorsitzende des Fanprojekts, das 4500 aktive Anhänger vertritt, im Ehrenrat sitzt, der die Mitglieder für den Aufsichtsrat vorschlägt. Im Präsidium soll der fürs Sportliche zuständige Vizepräsident nicht mehr, wie bisher vom Aufsichtsrat, sondern direkt von den Mitgliedern gewählt werden. Und schließlich will die „Mitgliederoffensive“ einen neuen Passus in der Satzung installieren, der etwaige Verkäufe von Vereinanteilen an die Zustimmung von zwei Drittel aller Mitglieder bindet. So soll verhindert werden, dass fremde Investoren den Verein übernehmen.
Was Personalien angeht, hält sich Weigand zurück. Präsident Rolf Königs? "Ist für mich nicht unbedingt der geeignete Mann für einen Neuanfang." Sportdirektor Max Eberl? "Die sportlich Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."
Im Vergleich zu den Vorschlägen der "Mitgliederoffensive" wirken die Forderungen der "Initiative" geradezu revolutionär an. Die „Initiative“, ein Zusammenschluss von vor allem mittelständischen Unternehmern aus der Region, geht auf auf totalen Konfrontationskurs zur Vereinsführung. Sie lässt keine Möglichkeit verstreichen, lautstark die Abdankung von Königs und Eberl zu fordern und bedient sich dabei gerne des Boulevards.
Auf der Mitgliederversammlung will die "Initiative" gleich zehn Satzungsänderungen einbringen. Im Kern zielen sie darauf ab, das Präsidium um den ehrenamtlichen Präsidenten Rolf Königs und seine Vizepräsidenten Siegfried Söllner und Rainer Bonhoff zu entmachten. Bei vorgezogenen Neuwahlen soll das Präsidium im Aufsichtsrat aufgehen, der das neue starke Vereinsgremium würde.
"Wir brauchen eine professionelle Vereinsstruktur"
„Wir brauchen eine professionelle Vereinsstruktur, wenn wir wieder sportlichen Erfolg haben wollen“, sagt Martin Schmuck. Der ehemalige Journalist ist neben Norbert Kox, der lange Vorstandsvorsitzender eines großen Versicherungskonzerns war, und dem Unternehmensberater Dr. Friedhelm Ploogmann, einer der drei führenden Köpfe der „Initiative“.
Vor allem Kox, der im vergangenen August als Präsident des NRW-Ligisten SV Bergisch Gladbach 09 zurücktrat, haftet bei vielen Fans der Ruf an, es nur auf die Macht abgesehen zu haben und sich durch die Satzungsänderung zum starken Mann bei der Borussia aufschwingen zu wollen.
Kox selbst hat diese Spekulationen befeuert, als er im Februar in einem Interview ankündigte, dass er gar nicht Präsident werden wolle, sich aber „für einen Posten im Aufsichtsrat zur Verfügung“ stelle. Was beschwichtigen sollte, ging nach hinten los. Denn in der neuen Struktur wäre ja gerade der Aufsichtsrat das entscheidende Gremium.
Bayern als Vorbild? Für viele Gladbach-Fans war es ein Stich ins Herz
Mittlerweile rudert die „Initiative“ zurück. Kox sei eben leidenschaftlicher Gladbach-Fan und habe nur seine Bereitschaft ausdrücken wollen, sich für den Verein zu engagieren, sagt Schmuck. Weder Kox noch Ploogmann oder er selber würden für den Aufsichtsrat kandidieren wollen. „Anfang Mai stellen wir unsere Kandidaten vor“, sagt Schmuck und lässt durchklingen, dass große Namen darunter sein werden.
Gleichwohl: Kox’ Interview hallt in den Gladbach-Foren noch immer nach und könnte der „Initiative“ die entscheidenden Stimmen kosten.
Ebenfalls ein Eigentor war Kox’ Aussage, die Borussia müsse sich an den Strukturen von Bayern München orientieren. Nüchtern betrachtet ist das verständlich, denn die Bayern sind eben der bestgeführte Verein in Deutschland. Aber emotional – und Fußball ist nun mal Emotion und nicht immer rational – war es für viele Gladbach-Fans ein Stich ins Herz, dass gerade der Erzfeind der 70er-Jahre nun das große Vorbild für die Borussia sein soll.
Nicht wenige Gladbach-Anhänger befürchten, dass die „Initiative“ den Traditionsverein wie ein Wirtschaftsunternehmen führen will. Schmuck betont deshalb, „dass wir auf keinen Fall Anteile der Borussia verkaufen wollen.“ Es gehe lediglich darum, „Vermarktungsmöglichkeiten zum Beispiel beim Stadionnamen zu nutzen, was nicht heißt, dass der Name ‚Borussia’ verschwinden muss.“
Die „Initiative“ bemüht sich sichtlich, die Sorgen der Fans zu zerstreuen. Früher forderte sie einen eigenen Aufsichtsrat für die ausgegliederte Lizenzspieler-Abteilung. Das hätte bedeutet, dass die Mitglieder gar nicht mehr über den Profifußball, sondern nur noch über Tischtennis, Handball oder Jugendfußball hätten mitentscheiden können. Denn der Aufsichtsrat einer Lizenzspielerabteilung darf nach den DFL-Statuten nur dann von den Mitgliedern gewählt werden, wenn er gleichzeitig der Aufsichtsrat des Gesamtvereins ist. Dieser Plan ist zwar mittlerweile in der Schublade verschwunden, in den Köpfen vieler Gladbacher Anhänger aber noch immer präsent. „Wir wollen alle Positionen im Verein von den Mitgliedern wählen lassen“, formuliert Schmuck die aktuelle Position.
Die Verantwortlichen haben die Hoffnung auf den Klassenerhalt noch nicht aufgegeben
Ein Besuch beim Gladbacher Fanprojekt. Mit 4500 Mitgliedern ist das Fanprojekt der Dachverband der aktiven Fans. Hunderte sind gleichzeitig Borussia-Mitglieder – und mithin stimmberechtigt bei der Jahreshauptversammlung. In der Politik würde man das Fanprojekt deswegen wohl als die Basis bezeichnen. Und wie ist die Stimmung an der Basis? „Viele unserer Mitglieder haben sich noch nicht intensiv mit der komplexen Materie befasst“, sagt Matthias Neumann, der Geschäftsleiter der Fanbetreuung.
Deshalb sollen die Vorschläge von „Initiative“ und „Mitgliederoffensive“ Ende April detailliert vorgestellt werden. Gibt es eine Tendenz? „Dazu kann ich im Moment noch nichts sagen.“ Nur soviel: „Wer sich mit der aktiven Fanszene beschäftigt, hat es leichter seinen Ideen Gehör zu verschaffen.“ Wie die Mitglieder auf der entscheidenden Borussia-Jahreshauptversammlung abstimmen, werde „auch von der weiteren sportlichen Entwicklung abhängig sein“, sagt Neumann.
Im Gegensatz zu den meisten Fans haben die Verantwortlichen die Hoffnung auf den Klassenerhalt noch nicht aufgegeben. Am Dienstagabend, beim Länderspiel gegen Australien, hat Vizepräsident und Geburtstagskind Rainer Bonhof im Stadionheft seinen Geburtstagswunsch kundgetan: „Ich hoffe sehr, dass wir den Abstieg in die 2. Bundesliga vermeiden können.“
Und auch Sportdirektor Max Eberl glaubt, dass die Außenseiterrolle womöglich gar nicht so schlecht ist. „Vielleicht ist das unsere Chance.“ Nach der Niederlage gegen Lautern habe die Mannschaft jetzt „die volle Konzentration auf München gelegt, dort werden wir versuchen, das Unmögliche möglich zu machen.“ Die Losung lautet: Bangemachen gilt nicht, gerade angesichts eines Restprogramms, das nur erfolgreich zu bewältigen wäre, wenn dem Team urplötzlich eine Leistungsexplosion widerführe. Nur: Wo soll die herkommen?
Nach optimistischen Hochrechnungen werden mindestens 35 Punkte gebraucht, um die Relegation spielen zu dürfen. Das heißt: Bei den Auswärtsspielen in München, Mainz, Hannover und Hamburg sowie den Heimpartien gegen Köln, Dortmund und Freiburg müssen mindesten vier Siege her. Nach normalem Ermessen dürfte das nicht zu schaffen sein.
Dante ist bei Bayern im Gespräch
Kein Wunder also, dass bereits mächtig am Fell des Bären geschnibbelt wird. Auch ein wahrscheinlicher Absteiger hat immer noch Spieler, die Begehrlichkeiten wecken. Nach Spekulationen bayerischer Medien haben die Münchner, ausgerechnet der nächste Gegner also, bereits ein Auge auf Gladbachs berühmtesten Wuschelkopf geworfen. „Bayern denkt über Dante nach“, lautet die entsprechende Schlagzeile von „tz-online“. Scouts des Rekordmeisters hätten den Verteidiger schon mehrfach unter die Lupe genommen.
Ob auch Marco Reus, Gladbachs hochveranlagter Dribbler, noch gescoutet werden muss? Trotz seines Tiefs, in dem der junge Mann gerade steckt, dürften die Bewerber Schlange stehen, wenn die Borussia tatsächlich abstürzt. Der Blondschopf fühlt sich zwar superwohl in Gladbach, er hat hier seine Clique, mit der er unterwegs ist, er hat obendrein mehrfach versichert, sich 1000-prozentig für den Klub einzusetzen. Trotzdem ist es kaum vorstellbar, dass ein Profi seiner Qualität in der zweiten Liga spielt.
Fest steht, dass Thorben Marx erklärt hat, auf jeden Fall bleiben zu wollen. Klar dürfte außerdem sein, dass der bis zum Sommer ausgeliehene Michael Fink gehen müsste. Und sonst? Da werden Prognosen schon schwieriger. Ist es wirklich vorstellbar, dass die ausgeliehenen Raul Bobadilla und Michael Bradley zurück kommen? Werden Martin Stranzl und Karim Matmour im Fall der Fälle bleiben? Fragen über Fragen.
Bei einem Abstieg werden die Gladbacher ihren Etat für die Profiabteilung, derzeit knapp 30 Millionen Euro, wohl um die Hälfte kürzen müssen. Trainer Lucien Favre, der bei den Fans einen sehr guten Ruf hat, wird auf jeden Fall mit in die zweite Liga gehen. Und Bonhof lässt keinen Zweifel daran, wer gemeinsam mit Favre eine neue Mannschaft aufbauen soll. „Auch wenn wir absteigen bleibt Max Eberl unser Mann“, wiederholte der Vizepräsident erst diese Woche.
Eines kann man der Vereinsführung also nicht vorwerfen: Dass sie keine klare Linie verfolgt. Ob es die richtige ist? Darüber entscheiden die nächsten sieben Spiele. Und das Votum der Mitglieder.