Essen. Das Revier trauert um Hans Tilkowski. Der ehemalige Torhüter ist gestorben. Er hat für Herne und den BVB gespielt. Ein Nachruf.
Häufig wartete Hans Tilkowski das Ende der Frage gar nicht ab, wenn er auf der Straße angesprochen wurde. „Der war nicht drin“, sagte er stattdessen, in seiner direkten Art, die ihn auszeichnete wie seine Fähigkeiten auf der Torlinie.
Tausende Male wurde er nach jenem Gegentreffer gefragt, den umstrittensten der Fußball-Geschichte, der ihn einen Großteil des Lebens begleitete. Der Tilkowski zu einer Legende machte. Der eine große Freundschaft entstehen ließ. Dieser eine Treffer von Geoff Hurst entschied das WM-Finale von 1966, Deutschland verlor gegen England mit 2:4 nach Verlängerung. Seitdem gieren die Fans nach einer Antwort, ob der Ball nun auf oder hinter der Linie auf den Rasen klatschte, nachdem er zuvor an Tilkowski vorbei gerauscht war.
Am Sonntag ist Hans Tilkowski im Alter von 84 Jahren nach längerer Krankheit gestorben.
Erst Stürmer, dann auf der Linie
Aber natürlich war Hans Tilkowski noch viel mehr als der Torhüter, der das Wembley-Tor kassierte. Der gebürtige Dortmunder hechtete in der Oberliga West für Westfalia Herne durch die Lüfte. 1965 wurde ihm als erstem Torhüter der Titel „Fußballer des Jahres“ verliehen, 1966 gewann er mit Borussia Dortmund den Europapokal der Pokalsieger. Später, als die Torwarthandschuhe und die Schiebermütze längst im Schrank verstaut waren, sammelte er Spenden für Bedürftige. Er war freundschaftlicher Begleiter der Hans-Tilkowski-Schule in Herne. Ihm wurde 2008 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen. Dabei propagierte die Ruhrgebiets-Legende immer eine Botschaft: Das Revier müsse enger zusammenrücken, um gemeinsam für seine Stärke stehen.
Hans Tilkowskis Reise begann mitten im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. 1935 wurde er in Dortmund geboren, wuchs dort als Sohn eines Bergmanns im Vorort Husen auf. Während sich das vom Krieg zerbombte Ruhrgebiet nach und nach berappelte, widmete Tilkowski seine Zeit am liebsten den damals noch dunkelbraunen Lederbällen. Ab 1946 spielte er für den SV Husen. Erst als Stürmer, doch als die eigentliche Nummer eins fehlte, stellte Tilkowski sich ins Tor. Und blieb dort. Über den SuS Kaiserau landete er bei Westfalia Herne, kämpfte mit dem heute längst abgerutschten Traditionsklub um die Deutsche Meisterschaft. Ab 1963 wechselte der gelernte Stahlbauschlosser zum BVB. Nun folgten die Titel. Tilkowski hielt nicht mehr nur Bälle, sondern 1965 auch den DFB-Pokal und 1966 den Europapokal der Pokalsieger in seinen Händen. Er galt in dieser Zeit als moderner Torhüter, besonnen, umsichtig.
Nach 198 Partien in der Oberliga West, 121 in der Bundesliga und 39 Länderspielen beendete Hans Tilkowski 1970 seine Karriere bei Eintracht Frankfurt, um sein Glück bis 1981 unter anderem beim SV Werder Bremen auf der Trainerbank zu suchen – vergeblich.
Welche großen Spuren Hans Tilkowski hinterließ, zeigte sich am Montag, als sich die traurige Nachricht von seinem Tod verbreitete. Seine ehemaligen Vereine trauern. „Hans Tilkowski war ein äußerst erfolgreicher Sportsmann, der bekannt war für sein soziales Engagement“, erklärte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. „Für mich gehört er zu den größten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs“, meinte DFB-Präsident Fritz Keller.
Der Mensch Tilkowski wird aber wohl am besten durch die Nachricht von Geoff Hurst charakterisiert. Dem englischen Nationalspieler, der 1966 Tilkowski überwand, an dem das Wembley-Tor seitdem genauso klebt. „Ich habe die Zeit, die wir über die Jahre zusammen verbracht haben, sehr genossen“, schrieb Hurst in den sozialen Medien. Durch diesen Treffer entwickelte sich eine enge Verbindung zwischen zwei Menschen. „Er konnte ja nichts dafür, dass dieses Tor gegeben wurde“, hat Tilkowski einmal im Interview mit dieser Zeitung über Hurst gesagt. „Mit den Engländern sind tolle Freundschaften entstanden. Sicher auch durch unser tadelloses Auftreten nach der Niederlage.“
Heute beantwortet die Torlinientechnik auf den Millimeter genau, wo der Ball aufklatscht. Tilkowski war ein Gegner dieser Neuerung, weil der Fußball dadurch seine Diskussionskultur verloren würde, auch wenn er mit dieser Technik 1966 vielleicht den WM-Pokal gewonnen hätte.
Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit
So hat ihn der umstrittenste Treffer der Fußballgeschichte fast das gesamte Leben begleitet. „Er gehört zu meiner Biografie, aber als Mensch wäre ich kein anderer, wenn wir damals Weltmeister geworden wären“, hat Tilkowski gesagt. Denn: „Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Respekt – das sind immer meine Eckpfeiler geblieben.“
Und dies zählt vor allem.