Dortmund. Mehr Robustheit, Identifikation, Tempo und Torgefahr. Der künftige Sportdirektor Sebastian Kehl hat große Pläne – doch die Mittel sind begrenzt.
Gute Ratschläge bekommt Sebastian Kehl aktuell mehr als genug, nach der 1:4-Pleite von Borussia Dortmund gegen RB Leipzig ist die Anzahl noch einmal in die Höhe geschnellt. In Zeitungen, Fanforen und höchstwahrscheinlich auch in der einen oder anderen Direktnachricht kann der zukünftige BVB-Sportdirektor nachlesen, dass seine Mannschaft im Sommer dringend einen Umbruch braucht. So mancher Ratgeber liefert auch gleich eine Wunschliste für neue Spieler mit – oder eine Streichliste, wer doch bitte gehen soll.
Natürlich weiß der derzeitige Lizenzspieler-Chef Kehl längst selbst, dass er einiges ändern müssen wird, wenn er zum 1. Juli als Nachfolger von Michael Zorc offiziell sein Amt antritt. Im Gegensatz zu den vielen Ratgebern weiß der 42-Jährige aber auch, dass das in der Praxis nicht so einfach wird.
BVB: Es braucht Klarheit bei Haaland und Akanji
Denn die Kassen sind nach zwei Corona-Spielzeiten leer. Man sei zwar handlungsfähig am Transfermarkt, heißt es im Klub – für größere Spielräume aber müssten erst einmal Spieler abgegeben werden. So wie Erling Haaland, der wohl seine Ausstiegsklausel über 75 bis 90 Millionen Euro ziehen wird. Solange er dies dem Klub aber nicht offiziell mitteilt, kann Kehl das Geld auch nicht verplanen – und er darf ohnehin nicht die gesamte Summe ausgeben, weil Berater, Ex-Klubs und das Finanzamt ihren Anteil wollen.
Ähnlich ist es bei Manuel Akanji. Der Innenverteidiger hat seinen 2023 auslaufenden Vertrag bislang nicht verlängert – man müsste ihn also in diesem Sommer verkaufen, damit er nicht ablösefrei wird. Auch hier fehlt die Klarheit, wie es weitergeht – beim BVB geht man davon aus, dass man diese Klarheit in den kommenden Wochen erhält.
Schulz soll gehen, Brandt, Hazard und Can dürfen gehen
Geld wäre auch verfügbar, wenn es gelänge, einige gut verdienende Spieler, die nicht zum unbedingten Stamm zählen, von der Gehaltsliste zu bekommen. Bei Axel Witsel (Vertrag läuft aus) und Roman Bürki (Wechsel zu St. Louis City SC) ist das gelungen. Linksverteidiger Nico Schulz würde man auch sehr gerne abgeben, bei Spielern wie Julian Brandt, Thorgan Hazard und Emre Can wäre man gesprächsbereit.
Wen aber will die Borussia stattdessen holen? Und damit verbunden die Frage: Wofür will der BVB in Zukunft stehen, welche Geschichte haben die Dortmunder zu erzählen? Sie sind nicht mehr „Europas heißester Klub“, wie die internationale Presse einst jubilierte, als man unter Jürgen Klopp ins Champions-League-Finale stürmte. Man ist auch nicht mehr der Underdog, der sich mutig anlegt mit der übermächtigen europäischen Elite. Aber was dann? In den vergangenen Jahren hat die Borussia einen exzellenten Ruf als Entwicklungsstation für europäische Toptalente erworben. Aber will sie auf Dauer ein Durchlauferhitzer für die Stars von morgen sein?
Marco Roses Position bleibt unangetastet
Der einstige BVB-Kapitän Kehl wird einige Akzente verschieben, einige Stellschrauben drehen wollen, das zeichnet sich mehr und mehr ab. Die größte allerdings bleibt unangetastet: Marco Rose ist auch Kehls Trainer, er hat die Verpflichtung mitgetragen.
Änderungen sind bei der Transferpolitik geplant. Das Scouting europäischer Toptalente, das in den vergangenen Jahren so überragend funktioniert hat, bleibt ein wichtiger Baustein. Die Durchmischung aber wird wichtiger. Nicht nur hochbegabte Edeltechniker sind gefragt, sondern gerade auf zentralen defensiven Positionen auch mental starke Führungspersönlichkeiten. Die findet man eher bei Mittzwanzigern als bei Teenagern, in diesem Alterssegment muss die Trefferquote also besser werden – siehe Brandt, Schulz, Hazard, früher André Schürrle und noch einige mehr.
Der BVB hofft auf eine stärkere Identifikation
Stärker als bislang sollen die Scouts auf Persönlichkeitsstruktur und Charakter achten, auch die Identifikation mit dem Klub und seiner Region soll gestärkt werden. „Ich will hier lauter Jungs haben, die so richtig Bock auf diesen Verein haben, sich zerreißen“, sagte Kehl der Süddeutschen Zeitung.
Außerdem erwünscht: körperliche Robustheit, die sich in Zweikampfhärte und geringer Verletzungsanfälligkeit ausdrücken soll. Künftig wird der BVB ähnlich wie die Bayern auf einen engen Stamm von 15, 16 Spielern auf hohem Niveau und dazu günstigen, hungrigen Ergänzungsspielern setzen, gerne aus der eigenen Jugend – da sollte das Stammpersonal in der Lage sein, möglichst viele Saisonspiele im Dreitagesrhythmus ohne Verletzung zu spielen.
Auf der Wunschliste: Karim Adeyemi und Nico Schlotterbeck
Für die aktuelle Transferperiode sind Tempo und Torgefahr zentrale Anforderungen. Spieler, die all das mitbringen und dazu Führungsspieler sind, kann der BVB aber kaum bezahlen. Man muss kreativ bleiben und auf überraschende Coups hoffen – wie Niklas Süle, der ablösefrei vom FC Bayern kommt, weil er in Dortmund Anführer sein kann.
Zudem auf der Wunschliste: der torgefährliche Tempodribbler Karim Adeyemi, der spielstarke Innenverteidiger Nico Schlotterbeck für den Fall eines Akanji-Abgangs, ein echter Mittelstürmer, falls Haaland geht – zudem ein Sechser und ein Außenverteidiger. Es dürfte mehrere Transferperioden dauern, bis die Umbauarbeiten abgeschlossen sind. Belastbare Ratschläge, wie es schneller gehen kann, würde Kehl sicher zu gerne entgegennehmen.