Dortmund.. Was für eine Saison! Rekorde über Rekorde, allesamt Bestmarken, die – wenn überhaupt jemandem – dem großen FC Bayern München zuzutrauen gewesen wären. Doch die achte Meisterschaft von Borussia Dortmund war wahrhaftig eine Spielzeit für die Geschichtsbücher.
Als Sebastian Kehl am Samstagnachmittag die Ehre zuteil wurde, die achte Meisterschale der Vereinsgeschichte in Empfang nehmen zu dürfen, wanderte nicht nur die 11 Kilogramm schwere Trophäe in den Besitz des BVB, sondern auch ein Jahrzehnte lang für unantastbar gehaltener Rekord.
In den beiden Spielzeiten zwischen 1971 und 1973 gelang es dem ehemaligen Seriensieger aus München, jeweils stolze 79 Punkte in einer Saison zu erkämpfen (umgerechnet auf die heutige Drei-Punkte-Regelung). Borussia Dortmund kommt in seiner Saisonabrechnung dank des 4:0-Sieges über Freiburg am Samstag nun auf sensationelle 81 Punkte. Um diesen großartigen Rekord auch nur ansatzweise richtig einordnen zu können, reicht eventuell ein Blick auf den damaligen Kader der Bayern, in dem Lichtgestalten des Weltfußballs von Franz Beckenbauer über Uli Hoeneß und Paul Breitner bis Gerd Müller vor das runde Leder kickten. Dass dieser Rekord nun ausgerechnet von einer Truppe hoch talentierter Borussen pulverisiert wurde, zeigt einmal mehr, von welch gigantischer Spielzeit wir Zeuge sein durften.
Um den Reiz der Vorstellung von Kevin Großkreutz mit Gerd-Müller-Gedächtnisfrisur frühzeitig zu unterdrücken, sparen wir uns hier die direkten Vergleiche mit der vielleicht besten bayrischen Fußballmannschaft aller Zeiten.
Mannschaft übertrifft sich selbst
Schließlich hat der BVB in den Jahren von 2010 bis heute so oder so seine ganz eigene DNA entwickelt. Die Spielweise und Erfolgs-Gier der Dortmunder Borussia lässt sich schon lange nicht mehr mit einem Lüftchen umschreiben, dass saisonal bedingt durch die füllige Krone des FC Bayern weht, sondern vielmehr mit einem Tornado, der gehörig an der Wurzel des bayrischen Selbstverständnisses – „forever Number One“ – zu rütteln beginnt. Hier wächst eine Mannschaft zusammen, die sich scheinbar mühelos Tag für Tag aufs Neue selbst übertrifft.
Seit sagenhaften 28 Spielen und damit weit mehr als „nur“ das gesamte Kalenderjahr 2012 ist das Team von Jürgen Klopp inzwischen ungeschlagen (Bundesliga-Rekord), beendete zudem fünfzehn Partien ohne Gegentreffer (Vereinsrekord) und zog ganz nebenbei in siebzehn Heimspielen über 1,3 Millionen Zuschauer ins Westfalenstadion (Europa-Rekord). Mit einem letzten Saisonsieg am kommenden Samstag im DFB-Pokalfinale in Berlin kann sich diese Mannschaft wohl endgültig unsterblich machen. Das erste Double in der Dortmunder Vereinsgeschichte wäre ein weiterer Glanzpunkt in einer andauernden Erfolgsepoche, deren Ausmaße wir alle wohl erst in ein paar Jahren richtig begreifen werden.
Platzsturm vermieste die Meisterfeier
Und doch lastest ein kleiner schwarzer Fleck auf dieser wunderbaren Ära, ihrer Meisterschaft und ihrer Feier im Stadion am vergangenen Samstag. Es ist und bleibt mir auch 48 Stunden nach der Übergabe der Schale durch Ligaboss Rauball an Sebastian Kehl ein großes Rätsel, welch Geistes Kind manch Fan auf Europas größter Stehplatztribüne ist. Dass das Spielfeld erneut frühzeitig gestürmt wurde und damit einem Großteil der Zuschauer die Chance geraubt wurde, einen Blick auf die Schale werfen zu können, ist allen anderen Borussen gegenüber an Frechheit und Arroganz nur schwer zu überbieten. Eine Ehrenrunde und ein „Meisterfoto“ hätten darüber hinaus mit Sicherheit nicht nur die allermeisten Tribünengäste, sondern auch die Mannschaft selbst erfreut. Dass manch einem die persönliche Selbstdarstellung näher am Herzen liegen mag, als der Verein, ist seit Samstag leider nicht mehr zu leugnen.
Sollte unser Verein in den kommenden Jahren erneut mit dem Glück gesegnet sein, eine Trophäe im Westfalenstadion in Empfang nehmen zu dürfen, muss der Verein sein Sicherheitskonzept gehörig überdenken. Vielleicht wäre es ratsam den Zuschauern einen Platzsturm nach Übergabe und Feier auf dem Rasen in Aussicht zu stellen. Ein „kontrollierter Platzsturm“ würde eventuell den Reiz an der Sache etwas eindämmen und die zum Teil chaotischen Szenen von Samstag verhindern können.
Holt den Pokal nach Dortmund
Auf der anderen Seite bedarf es eines großen Dankeschöns an alle diejenigen, die es sich auf dem Rasen unseres Stadions nicht nehmen ließen, vor der Gästetribüne mit dem Anhang der Freiburger die Meisterschaft des BVB und den Klassenerhalt der Breisgauer gemeinsam zu feiern. Die Bilder dieser freundschaftlichen Verbundenheit haben sämtliche Grundwerte der richtigen Fußballkultur aufgezeigt und die Geschichte dieser Saison um eine weitere Anekdote reicher gemacht. Nach einer Ehrenrunde wäre diese Zusammenkunft nur deutlich besser getimt gewesen. Das letzte Kapitel schreibt nun der Pokal. Beenden wir diese Geschichte also am Besten, wie sie begann. Mit einer Trophäe in den Händen von Sebastian Kehl. Auf geht’s Jungs. Holt den Pokal nach Dortmund.
(07.05.12 – Christoff Strukamp – die-kirsche.com)