Dortmund. Das Europapokalfieber in Dortmund steigt langsamer als sonst. Das überharte und unsportliche Auftreten des letzten BVB-Gegners wird auch am Montag vor dem Spiel in Malaga noch heiß diskutiert. In Stuttgart gibt's noch richtigen Männersport…
Borussia Dortmund bietet sich in wenigen Tagen die Chance, zum ersten Mal seit 15 Jahren ins Halbfinale der Königsklasse einzuziehen. Zur Stunde lassen daher viele Schwarzgelbe den österlichen Winter hinter sich und fliegen ins sonnige Malaga im Süden Spaniens. Ich gehöre allerdings zu den vielen Unglücksraben, die während des BVB-Gastspiels in Andalusien daheim die Fußballhauptstadt hüten müssen. Europapokal-Stimmung wird auch hier aufkommen. Und nicht zu knapp. Allerdings offensichtlich etwas später als erwartet.
Normalerweise ist vor einem Auftritt in der Champions League das vorherige Ligaspiel fast mit dem Abpfiff vergessen. Zumindest, wenn man es gewinnen konnte, richten sich die Blicke recht schnell Richtung Europa.
Nachwehen der Verletzungen in Stuttgart
Diesmal ist das etwas anders. Wer heute durch Dortmund läuft und sich den obligatorischen Ballsportgesprächen zwischen Bude und Bushaltestelle nicht entziehen kann, der wird gefragt, was das denn bitte für ein „saumäßiger“ Auftritt des Gegners war? Was denn bitte der Niedermeier für ein Punkt Punkt Punkt (Markiges Schimpfwort bitte wahlweise selbst einfügen) sei?
Der VfB Stuttgart betrat am Wochenende einmal mehr mit Messern zwischen den Zähnen den Rasen und hat mit seinem insgesamt äußerst unsportlichen Auftreten eine Diskussion darüber losgetreten, ab wann es denn zu viel sei mit der rustikalen Spielweise.
Das Epizentrum dieser Diskussion lag naturgemäß in Dortmund, wo man nach dem insgesamt eher glücklichen Sieg beim Kampf-Krampf im Schwabenländle fünf Verletzte zu beklagen hatte. Sie fand aber eigentlich – auch medial – in ganz Fußballdeutschland statt. Außer in Stuttgart, versteht sich.
Treter und Laienschauspieler
Was war passiert? Der Zweite der Fairness-Tabellen reiste am vergangenen Samstag zum abgeschlagenen Schlusslicht. Dessen Übungsleiter Bruno Labbadia kündigte im Vorfeld eine aggressive Spielführung seiner Truppe an. Jürgen Klopp befürchtete schon im Vorfeld Stuttgarter „Schweinereien“ und sollte damit Recht behalten.
Die VfB-Spieler führten Zweikämpfe der Marke „Das ist Sparta!“ und beließen es nicht bei der übertriebenen Härte allein. Sie hetzten auch ihr Publikum bei jeder Gelegenheit gegen den Unparteiischen Deniz Aytekin auf, der es insgesamt noch gut mit ihnen meinte. Und sie mimten nicht nur die Rambos, sondern zu allem Überfluss auch noch sterbende Schwäne.
Unsportliche Tugenden
Sinnbildlich dafür steht der Auftritt von Georg Niedermeyer. Weil es dem Stuttgarter Verteidiger nicht – wie noch im Hinspiel in Dortmund (Nasenbeinbruch bei Kehl) – gelingen wollte, selbst erwähnenswerte Gesichtsverletzungen bei seinen Gegnern herbeizuführen, überließ er diesen Part seinen Mitstreitern Harnik (Nasenbeinbruch bei Schmelzer) und Ibisevic (blutige Lippe und leichte Gehirnerschütterung bei Santana) und konzentrierte sich auf andere unsportliche Tugenden. Der gebürtige Münchener grätschte wie auf einer Seifenrutschbahn mit gestreckten Beinen nacheinander in Gündogan, Sahin und Götze hinein.
Immerhin zweimal sah er dafür Gelb, davon mindestens einmal das viel zitierte „Dunkelgelb“. Als er nach der fälligen Ampelkarte vom Platz ging, schimpfte er wie ein Rohrspatz über den Schiedsrichter, obwohl dieser sogar auf seinen Täuschungsversuch hereingefallen war und den gefoulten Mario Götze verwarnte, weil Niedermeier direkt nach der Kung Fu-Grätsche an seiner zweiten Karriere als Laienschauspieler gebastelt hatte, indem er schreiend und zuckend wie ein Fisch an Land das Opfer einer vermeintlichen Tätlichkeit mimte.
Beulen, Prellungen und Fleischwunden in der Dortmunder Kabine
Anderen Schauspieleinlagen der Schwaben ging der Referee zum Glück nur selten auf den Leim. Aytekin war ein insgesamt guter Spielleiter, der lediglich zu häufig die Karten stecken ließ. Nach dem Abpfiff und einem Blick auf die Beulen, Prellungen und Fleischwunden in der Dortmunder Kabine beklagte Klopp die „Überhärte“ des Gegners. Er habe „Angst um seine Spieler“ gehabt.
Von Stuttgarter Seite aus gab es wahlweise Siebzigerjahre-Plattitüden („Fußball ist ein Männersport“) oder bemerkenswerte Belehrungen. Labbadia zum Beispiel befand: „Borussia Dortmund steht nicht unter Artenschutz. Im Fußball finden Zweikämpfe statt.“ In besagten Diskussionen nach dem Spiel fand sich dankenswerterweise nahezu niemand, der die Stuttgarter Position teilte. Sonst wäre das Experten-Palaver nach dem Spieltag wohl auch endgültig Richtung Realsatire gekippt.
Eines jedoch wurde bei den zahlreichen Wortmeldungen zum Thema versäumt. Man hätte auch mal in die öffentliche Diskussion aufnehmen können, dass es sich beim VfB in der Regel nicht um hitzige Emotionen oder taktische Regelverstöße handelt, sondern dass die Spieler offensichtlich klare Traineranweisungen umsetzen, wenn sie die Sense zücken.
Fairplay macht stolz!
Als Dortmund-Fan kann man nach solchen Fußtritten gegen die Fairness eigentlich nur noch stolzer sein. Nicht, weil man das Spiel trotzdem gewinnen konnte, sondern weil beim BVB unter Klopp eine andere Philosophie vorherrscht. Borussia ist nicht nur die beste Mannschaft der letzten drei Jahre, sondern auch die fairste. Hier sieht man keine überharten Fouls, keine Tätlichkeiten, keine peinlichen Schauspieleinlagen und keine Roland-Wohlfahrt-Gedächtnis-Hetzjagden auf Unparteiische. Es wird nicht getreten, hingefallen und lamentiert, es wird Fußball gespielt. Danke dafür!
Diese Einstellung sollte einem auch gegen charakterlosere Gegner wie die Schwaben nicht verloren gehen. Erst recht nicht auf der internationalen Bühne, wo auch gerne mal Unsportlichkeit mit internationaler Härte oder Cleverness verwechselt wird. Für Jürgen Klopp war das Spiel in Stuttgart ein willkommenes Trainingslager für das Kräftemessen mit dem FC Malaga: „Die fliegen genauso in die Zweikämpfe“. Sollte dem so sein, hoffe ich, dass – wie schon am Samstag – der moralische Sieger auch der Sieger der Partie sein wird.
Und da ist es auch endlich! Das Europapokal-Kribbeln!
01.04.2013, Rutger Koch, Gib mich DIE KIRSCHE