Dortmund.. Beim Gastspiel machten die Anhänger von Borussia Dortmund nicht alltägliche Erfahrungen: Zum Einen hat der BVB erstmals im Jahr 2012 nicht gewonnen, zum Anderen bewiesen die Augsburger, wie Gastfreundschaft unter Fußball-Fans gelebt werden kann.
Nun kommen sie alle wieder aus dem Gebüsch mit ihren künstlichen Sensationen: „Dortmund stolpert in Augsburg“ (Der Spiegel), „Dortmund lässt in Augsburg Punkte liegen“ (Die Zeit), „Dortmund patzt im Titelkampf“ (Die Welt) oder die Top-Analyse schlechthin: „Geht Dortmund jetzt die Puste aus?“ (Bild). So ist er halt, der Journalismus von heute. Schnell, schneller, Boulevardstil. Ja, liebe Leute, was habt Ihr denn gedacht? Hört Ihr eigentlich Jürgen Klopp nicht aufmerksam zu? Jeder Gegner ist schwer, weil sich jeder Gegner mächtig ins Zeug legt gegen den Spitzenreiter. Das war schon immer so und ändert sich vermutlich nie.
Dazu kommt, dass Augsburg perfekt eingestellt war von Jos Luhukay und das vor allem auf dem Platz auch umgesetzt hat. Borussias Quarterback Hummels haben sie immer unter Druck gesetzt und so den BVB gezwungen, über Neven Subotic das Spiel aufzubauen. Ihm, der am Samstag wohl einen gebrauchten Tag im Gepäck hatte, gelang das allerdings selten. Seine langen Bälle gingen zumeist ins Nichts oder waren leicht zu verteidigen. Shinji Kagawa, der zweite Dortmunder Kreative, wurde von Landsmann Hosogai gnadenlos wirkungsvoll aus dem Spiel genommen. Das war sicherlich einer der Schlüssel, denn die Spielfeldmitte wurde durch enge Beschattung dort komplett dicht gemacht hat.
Vor Augsburger Leistung den Hut ziehen
Effektiv gutes Pressing, cleveres Verschieben und eine fast fehlerfreie Viererkette der Gastgeber, taten ein Übriges. Am Ende stand ein rundum verdienter Punkt des Aufsteigers vor dem man schlussendlich nur den Hut ziehen kann. Am Beispiel Gibril Sankoh lässt sich das besonders gut festmachen. Vermutlich hatte er den Auftrag, Robert Lewandowski notfalls bis aufs Klo zu begleiten und so konnte keine Torgefahr entstehen. Das Dortmunder Trainerteam wird die nötigen Schlüsse daraus ziehen und unbeirrt weiter am Gesamtprojekt arbeiten.
Interessante und nicht alltägliche Bundesliga-Erfahrungen machten die BVB-Fans auch mit dem Fantreffen „Augsburg Calling“, das erstmals FCA- und BVB-Fans im Rahmen dieses Projektes, das von Fans für Fans organisiert wird, freundlich zusammen führte. Selbst nach dem Spiel gab es eine Zugabe mit der Fanparty im „Charlybräu“ am Oberhauser Bahnhof, wo Live-Bands zur Freude beider Fanlager aufspielten. Ein Ansatz, der in Dortmund ja nicht so ganz unbekannt ist, wurden doch hier die legendären Fantreffs mit europäischen Fans in den 90er Jahren geboren.
Beginn einer neuen Fan-Freundschaft?
Das Drumherum des zweiten Erstliga-Aufeinandertreffens von FCA und BVB zeigte erfreulicherweise auf, wie positiv das „Miteinander“ verschiedener Fangruppen verlaufen kann. Und auch abseits dieser großen gesteuerten Zusammenkunft bildeten sich nach der Partie mehrere, teils größere, gemischte Gruppen aus Augsburgern und Borussen. Gemeinsam zog man durch die Altstadt, versorgte sich mit diversen Fangetränken und tauschte sich über Fußball und Fansein aus. An einigen Ecken konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass zwischen den „Fuggern“ und den Schwarzgelben eine neue „Fanfreundschaft“ aufzukeimen schien.
Teils lautstark wurden „Augsburg und der BVB“ oder BVB-FCA-Wechselgesänge geschmettert. Seltene Szenen, die der Schreiber dieser Zeilen wahrlich lange nicht mehr erlebt hat. Besonders bemerkenswert kann zudem festgehalten werden, dass auf diesem Wege nicht nur gegnerische Fangruppen, sondern auch Heimfans aller Couleur zusammenfanden - vom jungen Mädchen bis zum rüstigen Rentner und vom Ultra bis zum „Trikotträger“.
Der ganze Abend war – zumindest aus Sicht der Kirsche-Redakteure vor Ort – ein wahrlich leuchtendes Beispiel dafür, wie „Fankultur“ anno 2012 durchaus auch gelebt werden kann. Nicht wenige Borussen drücken spätestens nach diesem Wochenende die Daumen, dass der FCA die Klasse hält. Denn gegen weitere gemeinsame Fußball-Feten hätten sicher diejenigen, die dabei waren, nichts einzuwenden.
(12.03.12 – Holger W. Sitter – die-kirsche.com)