Dortmund. Aufmerksamen Besuchern wird es vielleicht nicht entgangen sein: Beim Heimspiel gegen Mainz waren noch ein paar Menschen mehr im Tempel als bei gewöhnlichen Heimspielen, auch wenn sie versucht haben, sich unauffällig zu verhalten und den Ablauf nicht zu stören. Der Grund für die zusätzliche Betriebsamkeit war ein ehrgeiziges Projekt, das der Filmemacher Klaus Martens verfolgt.
Die Partie des Ballspielvereins gegen den Ex-Club unseres Trainers wird sicher nicht ewig in Erinnerung bleiben, schließlich kann selbst der BVB nicht Woche für Woche Momente für die Geschichtsbücher liefern wie unlängst beim Last-Minute gebuchten Flug ins Halbfinale der Champions League gegen den FC Malaga. Und doch wird dieses Spiel niemals vergessen werden. Der Grund dafür ist weder das Ruck-Zuck-Tor von Marco Reus nach 32 Sekunden, auch nicht der 12. Punkt in der persönlichen Treffer-Serie von Robert Lewandowski. Auch nicht die eher überschaubar prickelnden 87 Minuten zwischen diesen beiden Ereignissen. Nein, unvergessen wird es durch das Projekt des Dokumentarfilmers Klaus Martens.
Der bekennende Borusse steht im Begriff, sich einen absoluten Herzenswunsch zu erfüllen, der seine private Leidenschaft und sein berufliches Können in idealer Weise verknüpft: Er macht einen Film, einen Film über die Süd. Über Europas größte freistehende Stehplatztribüne, über jene Tribüne, die hauptverantwortlich dafür ist, dass die renommierte englische Tageszeitung 'The Times' dass Dortmunder Stadion vor einigen Jahren zum schönsten der Welt kürte.
Elf Jahre lange Planung
Lange ging Martens mit dem Gedanken schwanger. Als er unlängst seine Unterlagen durchsah, war er selbst überrascht, wie lange. Elf Jahre liegen zwischen den ersten Ideen, den ersten Kontakten zum Verein. „Die ersten Briefe stammen aus dem Jahr 2002“, erzählt der 59-Jährige. Viele Gespräche waren nötig, zuletzt mit der BVB-Fanbabteilung, Mediendirektor Sascha Fligge und Marketingchef Carsten Cramer. Jetzt also konnte endlich gedreht werden.
Wer nun einwenden mag, „Filme über die Süd hab' ich doch schon genug gesehen“, dem sei versichert: Hast Du nicht! Denn unbenommen, TV-Beiträge über uns Fans, über die Fußballoper des Reviers, die gibt es zur Genüge. Und auch faszinierendes, selbstgedrehtes Material über das Epizentrum Dortmunder Leidenschaft finden sich massenweise bei Youtube. Aber wir reden hier nicht über selbstgedrehtes Amateurmaterial, wir reden auch nicht über einen 10-Minuten- oder kürzer-Beitrag in der Sportschau oder bei Sky. Nein, es geht um die Frage: Ist unsere „Gelbe Wand“ filmreif? Klares Ja, findet Klaus Martens und hat sich deswegen daran gemacht, ein Werk zu produzieren, das leinwandtauglich ist. 90 bis 100 Minuten soll die Endfassung haben, sie kommt voraussichtlich im Herbst in die Kinos und natürlich auch ins Fernsehen, die ARD wird sie zeigen.
Dramaturgie des Spiels in den Gesichtern
Heißen wird der Film „Die Wand“, sollte das urheberrechtliche Schwierigkeiten geben, wird der Titel durch ein „gelbe“ ergänzt. Martens nennt seinen Film „den Versuch, die Dramaturgie des Spiels anhand der Gesichter zu erzählen, ohne eine einzige Spielszene zu zeigen.“ Ihn interessieren die Menschen, die sich in der großen, gelben Masse verbergen. Sieben von ihnen hat er ausgewählt, einen Querschnitt, der vielleicht nicht im wissenschaftlichen Sinne repräsentativ, gleichwohl aber beispielhaft für das Publikum in Dortmund ist.
Die Auswahl war schwierig, denn bei der Besuchermenge des Stadions reden wir von 25.000 Menschen, mal eben die Bevölkerung einer kleinen Kreisstadt wie Olpe, die sich freiwillig alle 14 Tage auf einigen Tausend Quadratmetern zusammenquetscht und nur durch ein einziges Ziel miteinander verbunden ist: „Sie wollen die Jungs siegen sehen, das ist die einzige Gemeinsamkeit, die sie alle haben“, so Martens. Seine Hauptdarsteller sind „Leute wie Du und ich“, eine bunte Mischung, ein Querschnitt durch ein Volk. Einige davon sind nicht diejenigen, die der Unwissende als Sehplatzbesucher und Dauerkarteninhaber vermutet. Ein Professor für Mathematik ist darunter, eine elegante Rentnerin ist dabei. Zu den Protagonisten zählt auch ein Hartz-IV-Empfänger.
Vertrauen der Ultras erworben
Darüber hinaus hat Martens das Vertrauen der Ultras erworben, einen der ihren hat er beim Mainz-Spiel in den Block begleiten können. Keine Kleinigkeit, wenn man um das im Allgemeinen eher medienscheue Wesen der Spezies Ultra weiß. Jeder der Protagonisten wurde von einem Reporter begleitet und in seinen Gefühlswallungen dokumentiert. Zu sehen ist im Film ausschließlich Bildmaterial von der Tribüne, nicht das Übliche „zu Hause abgeholt und begleitet“. Der Film beginnt mit dem Öffnen der Stadiontore und endet mit der Verabschiedung der Mannschaft.
Kennenlernen werden wir am Rande auch einen Ostfriesen aus Köln, der seit Jahren mit seinem Sohn auf die Süd pilgert. Nichts Besonderes? Doch, der kleine Niklas darf mit Fug und Recht davon ausgehen, dass es wenige Kinder im Grundschulalter gibt, die über derart viel Stadionerfahrung verfügen wie er. Auf der Süd wohlgemerkt, sein Stammplatz ist der Wellenbrecher vor Papas Brust. Fangeschichten, die man sich nicht ausdenken kann, Geschichten, die nur das Leben schreibt.
Entscheidend is auffem Platz
Dass es das Spiel gegen Mainz 05 war, dass es sicher nicht das herausragendste der letzten Jahre war, aber für den Film ist das nicht entscheidend. Wir Borussen wissen ja um die Richtigkeit der berühmten Adi-Preißler-Worte: „Entscheidend is' auffem Platz“. Wir auf der Tribüne geben ja ohnehin alles. Meistens zumindest. Für den Film hätte es auch jedes andere Spiel sein können. Hauptsache, unsere Wand kommt endlich auch auf die Leinwand. Verdient hat sie es schon lange - schön, dass der Dokumentarfilmer dieses Werk in Angriff genommen hat. Ich freu' mich jetzt schon drauf!
Uli Vonstein, Gib mich DIE KIRSCHE, 22. April 2013