Köln.. Die Kölner Torhüter-Legende Toni Schumacher verdankt dem BVB ein besonderes Spiel. Ein Interview vor dem Duell beider Klubs am Sonntag.
Das Tor vor dem großen weißen Haus öffnet sich, Toni Schumacher wartet an der Tür. Pantoffel wärmen seine Füße, oben im Büro des 68-Jährigen schimmert der Rhein durch die Fenster. Auf dem Schreibtisch liegt tatsächlich das Buch „Anpfiff“, in dem der ehemalige Torhüter 1987 unter anderem Doping im Fußball beklagte. Der FC Köln schmiss ihn raus, obwohl er sich zuvor in 15 Jahren zur Legende entwickelt hatte. Am Sonntag empfangen die Kölner nun Borussia Dortmund (19.30 Uhr/DAZN), den Verein, mit dem Schumacher mit 42 Jahren der älteste Meister der Bundesliga-Geschichte wurde.
Herr Schumacher, eigentlich waren Sie Torwarttrainer. Wieso haben Sie gespielt?
Toni Schumacher: Stefan Klos hatte sich den Daumen gebrochen, Teddy de Beer wurde damit die Nummer eins, ich wurde, weil ich noch fit war, zur Nummer zwei befördert. Steffen Freund hat nach seiner Auswechslung unablässig gegen die Bande gehauen und dabei gesungen: ,Ottmar, bring den Toni rein.’ Irgendwann sprang der Funke über, alle sangen mit, auch die Fans auf den Rängen.
Und Trainer Ottmar Hitzfeld?
Toni Schumacher: Der war ja eher der kühle Typ, doch plötzlich rief er: ,Toni, ausziehen.‘ Die Spieler rissen mir den Trainingsanzug runter, nur der Ball wollte nicht ins Aus gehen. Ich war schon drauf und dran, einfach auf den Platz zu rennen. Dann wurde das Spiel endlich unterbrochen, ich durfte noch für zwei Minuten auf das Feld, alle Fans standen auf und applaudierten. Sie sehen, meine Augen fangen sofort an zu strahlen, wenn ich daran denke.
Toni Schumacher: "Für mich sind beide Vereine eine Herzensangelegenheit"
Verbunden wird Ihr Name aber vor allem mit Köln. Für wen schlägt Ihr Herz am Sonntag?
Toni Schumacher: Für mich sind beide Vereine eine Herzensangelegenheit, ich verbinde wunderbare, emotionale Momente und wahre Freundschaften mit beiden. Ich gehe mit meiner Tochter zu diesem Heimspiel, sie hat seit zwei Jahren kein Spiel mehr gesehen aufgrund der Pandemie. Mein Herz, und das ist kein Gerede, schlägt für beide Vereine – auch wenn gewiss jeder nachvollziehen kann, dass ich natürlich tief in meinem Herzen immer Kölner bin.
Und wer gewinnt?
Toni Schumacher: Der Favorit ist ganz klar Dortmund, aber der 1. FC Köln hat unter Trainer Steffen Baumgart eine sehr gute Entwicklung genommen. Und die Kölner strotzen nach dem Sieg gegen Leverkusen vor Selbstvertrauen. Dass eine Mannschaft kämpft, sollte normal sein. Aber Baumgart hat den Spielern gezeigt, dass sie nach vorne kämpfen, den Gegner früh verunsichern sollen. Dafür braucht man viel Kondition, die haben sie nun. Und Baumgart hat durch sein Vertrauen in Anthony Modeste ein tolles Zeichen gesetzt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass einige 2018 gefragt haben: ‚Warum holt ihr den aus China zurück?‘ Jetzt küssen sie ihm wieder die Füße.
Entsteht in Köln etwas?
Toni Schumacher: Ich würde mich freuen, die Voraussetzungen sind gut. Aber es ist hier langfristig etwas schwieriger, ich war ja selbst siebeneinhalb Jahre Vorstand.
Was macht die Arbeit schwierig?
Toni Schumacher: Die Medienlandschaft ist riesig, es reden viele in den Verein rein. Die Gremien nehmen eine wichtige Stellung ein. Intensive Emotionen sind nicht rational. Vereine wie zum Beispiel die TSG Hoffenheim finden kaum statt in den Medien, dort lässt es sich ruhiger arbeiten. Mich hat der Druck zwar nicht so beeindruckt. Aber Verantwortliche, die das so noch nicht erlebt haben, die denken schnell mal: ‚Warum werde ich denn jetzt angegriffen.‘ Da kann es passieren, dass man überreagiert.
Toni Schumacher: "Den Wechsel von Niklas Süle zum BVB verstehe ich nicht"
Sie haben mit Köln die Meisterschale hochgehalten, jetzt dominiert Bayern. Langweilt Sie das?
Toni Schumacher: Die Bayern haben es nicht geschenkt bekommen, das darf man nicht vergessen. Es gibt nur wenige Vereine, die finanziell mithalten können. Borussia Dortmund gehört dazu. Der Anreiz muss daher sein, dass man sich wieder an die Bayern heran arbeitet. Dieses Jahr ist die Möglichkeit auf den Titel da, die Bayern haben ihre Rückschläge. Den Wechsel von Niklas Süle zum BVB verstehe ich allerdings nicht.
Warum?
Toni Schumacher: Wenn er in Dortmund einen Titel holt, dann wird er vermutlich eher DFB-Pokalsieger. Das, was am Ende der Laufbahn zählt, ist aber, wie viele Titel man geholt hat. Und die großen Titel holt man eben in München. Regelmäßig.
Aber ist ein Titel mit Dortmund nicht mehr wert – so wie in Köln?
Toni Schumacher: Ja, das war etwas ganz besonderes. Trotzdem hätte ich gerne eine Autogrammkarte mit noch mehr Meistertiteln drauf.
Toni Schumacher: "Die Mehrheit hat sich damals nur für die Themen Sex und Doping interessiert"
Sie galten auch wegen Ihres Buches als unbequemer Profi. Fehlen heute die Spieler, die anecken?
Toni Schumacher: Die Spieler heute tun sich das nicht mehr an. Ich wollte etwas bewegen, ich wollte zum Überlegen anstoßen. Deswegen habe ich „Anpfiff“ geschrieben. Darin stand zum Beispiel, dass Schiedsrichter mehr verdienen müssen, wir mehr Komfort in den Stadien brauchen, Nachwuchsleistungszentren eingerichtet werden müssen und die Dopingkontrolle kommen muss. Alles Dinge, die im Nachhinein gekommen sind. Aber die Mehrheit hat sich damals nur für die Themen Sex und Doping interessiert. Trotzdem würde ich es wieder schreiben. In „Anpfiff“ habe ich nur die Wahrheit aufgeschrieben.
Würden Sie Olaf Thon noch mal als dumm bezeichnen?
Toni Schumacher: Ich habe ihn ja nicht persönlich als doof bezeichnet, ich habe nur seine vorzeitige Abreise von der WM 1986 als falsch und dumm bezeichnet. Weil er besser geblieben wäre, um sich die Superstars bei der WM anzuschauen, von denen man als junger Fußballer viel lernen kann. Damals wurde vereinfacht gesagt: ‚Der Schumacher ist ein Nestbeschmutzer.‘ Und man hat mich rausgeschmissen.
Würde die Aufregung durch die Sozialen Medien heute noch heftiger ausfallen?
Toni Schumacher: Es wäre noch mal heftiger. Aber gewiss auch differenzierter.
Was bleibt von Ihrer Karriere?
Toni Schumacher: Ich wollte immer, dass die Menschen denken: ‚Der Toni war einer von uns.‘ Ich bin nach Schalke gegangen und habe gesagt: ‚Ich unterschreibe hier, und ihr kriegt alles von mir, was ich auch beim FC gegeben habe. Meine Gesundheit, meine Knochen, meine Leidenschaft, als ob das mein Verein wäre.‘ Ich bin nie zum Abzocken gekommen, und ich bin sicher, das spüren die Menschen.
Eine Frage bleibt noch: Haben Sie noch einen geraden Finger?
Toni Schumacher: Nur die beiden Daumen, alle anderen Finger sind mehrfach gebrochen. Aber das erinnert mich daran, dass ich auch mal sehr schwierige Bälle gehalten habe. Manchmal mussten wir früher, wenn wir Fieber hatten, kalt duschen, danach wurde wieder gemessen und festgestellt: ‚Oh, jetzt hast du keins mehr.‘ Ich sage oft zu meiner Frau: ‚Wenn ich morgens einmal aufwache und keine Schmerzen mehr habe, dann weiß ich, dass ich ich tot bin.‘