Berlin. . Basketball-Bundestrainer Chris Fleming will die Nummer eins in Europa werden. Das ginge auch ohne Dirk Nowitzki erklärt der US-Amerikaner im Interview und lobt Dennis Schröder.

Chris Fleming ist seit dem 1. Dezember Bundestrainer der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Die Aufgabe des 45-Jährigen ist es, nach mageren Jahren für die deutschen Korbjäger im September eine erfolgreiche Europameisterschaft zu absolvieren. Im Interview erzählt er, was er von Dennis Schröder hält und warum er dem deutschen Team zutraut, die Nummer eins in Europa zu werden.

Herr Fleming, Sie sind jetzt schon seit über 20 Jahren in Deutschland. Wissen Sie noch, was damals Ihr Plan war, als Sie herkamen?

Chris Fleming: Ganz genau sogar. Ich bin 1994 nach Deutschland gekommen, weil einer meiner besten Freunde, Jim Shields, damals in Bramsche Basketball gespielt hat. Seine Freundin meinte, es wäre für ihn vielleicht etwas zu einsam hier in Deutschland ohne seine Kumpels von zu Hause. Sie fing also an, einen Job für mich zu suchen. In Quakenbrück in der zweiten Regionalliga ist sie schließlich fündig geworden. Ich habe meinen Job in den USA gekündigt und bin nach Deutschland geflogen. Das war für mich mehr ein Abenteuer.

Chris Fleming war sechs Jahre Spieler der Artland Dragons, danach acht Jahre ihr Trainer und 2007 mit ihnen deutscher Pokalsieger. Anschließend arbeitete der US-Amerikaner sechs Jahre bei den Brose Baskets Bamberg, wurde viermal Meister und weitere dreimal Cupsieger. Seit dem 1. Dezember ist der 45-Jährige Bundestrainer.
Chris Fleming war sechs Jahre Spieler der Artland Dragons, danach acht Jahre ihr Trainer und 2007 mit ihnen deutscher Pokalsieger. Anschließend arbeitete der US-Amerikaner sechs Jahre bei den Brose Baskets Bamberg, wurde viermal Meister und weitere dreimal Cupsieger. Seit dem 1. Dezember ist der 45-Jährige Bundestrainer. © imago

Deutschland wurde inzwischen Ihre zweite Heimat. Sie haben hier eine Familie gegründet. Und jetzt sind Sie sogar Bundestrainer.

Fleming: Stimmt, es ist ein bisschen was draus geworden. Der wichtigste Punkt war, dass der Verein in Quakenbrück, die Artland Dragons, mir eine Chance gegeben hat. Erst als Spieler, danach als Trainer. Ich konnte auch mal einen Fehler machen. Danach kam die Chance in Bamberg, auch dafür bin ich dankbar. Aber dazu wäre es nie gekommen, wenn ich nicht in Quakenbrück als Coach hätte wachsen können. Meine Familie und ich leben jetzt auch wieder hier.

So wurde Quakenbrück zu einem Zentrum des deutschen Basketballs...

Fleming:... genau so ist es. Wir haben immer gewusst, dass es so kommen würde (lacht).

Als Sie 1994 nach Deutschland kamen, gab es hier einige herausragende Talente wie Ademola Okulaja oder Patrick Femerling. Wenig später kam Dirk Nowitzki hinzu. Diese Spieler waren eher Zufalls-Entdeckungen als Ergebnis großartiger Nachwuchsarbeit. Was hat sich seitdem getan?

Fleming: Zwei Sachen. Damals war es primär der TuS Lichterfelde, der eine erstklassige Nachwuchsarbeit machte. Man muss nur schauen, wer damals alles aus dieser Schule gekommen ist. Heute betreiben viel mehr Vereine Jugendarbeit, die Spieler haben mehr Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Das zweite ist, dass Basketball für die Jungs zu einem guten Beruf geworden ist, da ist auch finanziell etwas möglich. Diese beiden Dinge haben dazu geführt, dass sich die Landschaft im deutschen Basketball sehr verändert hat. Obwohl wir noch einen langen Weg vor uns haben. Sicher haben auch die Ausländerbeschränkungen eine positive Rolle gespielt. 2005 konnte man ja noch eine Mannschaft nur mit Ausländern bilden. Jetzt sind die Bedingungen für deutsche Spieler in der BBL viel besser.

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Was unter anderem zur Folge hat, dass Sie ein Problem haben, das Ihre Vorgänger gern gehabt hätten: ein Überangebot an guten Leuten. Sie werden nicht alle für die EM im September in Berlin nominieren können.

Fleming: Wir müssen abwarten, wer am Ende alles zur Verfügung steht. Aber es stimmt, wir haben eine große Auswahl, ich finde vor allen Dingen: Wir haben eine junge und sehr, sehr gute, vielleicht noch etwas unerfahrene Generation, die in den nächsten sieben, acht Jahren zusammenbleiben könnte. Jeder redet von Dennis Schröder, er ist gerade 21 geworden. Dann hast du Daniel Theis, der 22 ist. Maxi Kleber, Tibor Pleiss, Niels Giffey – das sind alles junge Spieler, die ihre besten Jahre noch gar nicht erreicht haben. Das ist etwas sehr Schönes für den deutschen Basketball, für die Zukunft des deutschen Basketballs.

Dennis Schröder "ist ein richtig harter Arbeiter" 

Dirk Nowitzki gibt es auch noch, der wird allerdings bei der EM 37 Jahre alt sein. Sie waren gerade in den USA, haben mit ihm gesprochen. Aber brauchen Sie ihn überhaupt, um eine erfolgreiche EM zu spielen?

Fleming: (lacht) Er würde uns jedenfalls nicht weh tun. Ich glaube, dass wir Spieler haben, die sich auf dem Level gut durchsetzen können. Ich glaube, dass wir auch ohne Dirk etwas erreichen können. Allerdings ist unsere Vorrundengruppe (mit Serbien, Spanien, Italien, Türkei, Island, d. Red.) mit extrem vielen erfahrenen Spielern besetzt. Dirk mit seiner basketballerischen Qualität als einer der Topspieler der Welt, aber auch seine Erfahrung und seine Führung würden uns enorm gut tun. Zusammengefasst: Die Chancen, eine erfolgreiche EM zu spielen, sind wesentlich besser mit Dirk als ohne ihn.

Ist es denkbar, dass ein deutsches Team mit Nowitzki, Schröder und dem dritten deutschen NBA-Star Chris Kaman in Berlin aufläuft?

Fleming: Alles ist möglich. Ich erwarte, dass Dennis spielt. Er hat immer davon gesprochen, dass er will, wenn nichts gesundheitlich dazwischen kommt. Bei Dirk und Chris müssen wir einfach abwarten.

Sind Sie überrascht von der Entwicklung Dennis Schröders?

Fleming: Ich habe schon gedacht, dass er ein guter NBA-Spieler werden könnte. Was mir große Hoffnung gemacht hat, war, dass er diesen großen Sprung gemacht hat von seiner vorletzten zu seiner letzten Saison in Deutschland. Da hat er sich enorm verbessert. Aber die rasante Entwicklung, die er in dieser Saison in der NBA genommen hat? Das habe ich nicht vorhergesehen. Da hat er alle Erwartungen übertroffen nach seiner etwas wackligen ersten Saison. Dafür gibt es zwei Gründe. Dennis ist ein richtig harter Arbeiter, das zahlt sich aus für ihn. Zweitens ist er in Atlanta in einer Situation gelandet mit einem guten Trainer und sehr guten Mannschaftskollegen. Das ist eine sehr professionelle Truppe.

Deutschland hat immer mal wieder Top-Ergebnisse erzielt, wurde Europameister 1993, WM-Dritter 2002, EM-Zweiter 2005. Solche Highlights gab es. Jetzt starten Sie wieder mit einer jungen, hoffnungsvollen Generation. Haben Sie auch so ein Ziel?

Fleming: Wir sind eine relativ junge Truppe, die außerdem in den letzten fünf Jahren viele verschiedene Coaches hatte und diverse Mannschaftskonstellationen. Erstens ist wichtig, dass wir feste Konturen finden, so etwas wie eine Identität. Das muss schon gelungen sein, wenn die EM losgeht, denn die Gruppe ist extrem stark. Unser Erfolg oder Misserfolg könnte schon in der Vorrunde definiert werden. Wir wollen das Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele in Rio erreichen, das bedeutet, mindestens EM-Platz sechs. Das ist sicher kein leichter Weg. Wir sind aktuell Nummer zehn im europäischen Ranking, und ich vermute ganz stark, dass wir nicht die einzige Mannschaft sind, die nach Rio möchte. Aber wir verstecken uns nicht.

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Fleming traut dieser Basketball-Generation die europäische Spitze zu 

Die Basketball-Bundesliga hat forsch als Ziel formuliert, die Nummer eins in Europa zu werden. Kann das auch ein Anspruch der deutschen Nationalmannschaft sein?

Fleming: Ich glaube schon, dass das realistisch ist. Wir dürfen zwar nicht vergessen, wo wir stehen. 2013 sind wir nicht über die EM-Vorrunde hinausgekommen. 2014 haben wir uns mit Mühe für die EM qualifiziert. Aber diese Generation wird zwei, möglicherweise drei olympische Zyklen zusammenspielen können. Langfristig gesehen, kann sie die europäische Spitze erreichen. Alle Spieler bringen dazu auch eine hohe Bereitschaft mit. Erst einmal ist es eine super Motivation, in Berlin zu spielen. Und es beinhaltet eine große Chance.

Welche Berliner Spieler sind für sie denn interessant?

Fleming: Niels Giffey, Akeem Vargas und Alex King sehe ich als mögliche Kandidaten. Alle bringen bestimmte Fähigkeiten mit. Sie kennen sich mit harter physischer Spielweise sehr gut aus, was für ein Turnier wie die EM sehr wichtig ist. Die Jungs spielen eine Saison auf einem sehr hohen Level, und sie haben eine Gewinner-Mentalität entwickelt. Alba ist jetzt eine der besten Mannschaften Europas.

Wird Alba auch Deutscher Meister in diesem Jahr?

Fleming: Ich sehe mehr als in den vergangenen Jahren einen Kampf zwischen den drei Top-Mannschaften Berlin, Bayern und Bamberg. Sie werden den Titel unter sich ausmachen.

Wie halten Sie es eigentlich aus, nicht mehr Tag für Tag mit Spielern in der Halle zu stehen? Nicht mehr zwei Spiele die Woche zu haben? Fehlt Ihnen nicht etwas nach 14 Jahren als Vereinstrainer?

Fleming: Manche Tage sind okay, an manchen Tagen ist es schwierig. Als ich den Job angenommen habe, habe ich das in Kauf genommen. Es ist schon schwierig ohne den Alltag auf dem Spielfeld. Aber bald kommt es ja wieder. Und ich hatte gerade im Herbst sehr viel Zeit für meine Familie. Ich wohne und arbeite zu Hause. Das ist ein sehr schöner Nebeneffekt. Meine Söhne sind ein und fünf Jahre alt.

Jim Shields (m.) war der Grund, weshalb Chris Fleming nach Deutschland kam.
Jim Shields (m.) war der Grund, weshalb Chris Fleming nach Deutschland kam. © imago

Können Sie sich vorstellen, den Job länger als die vertraglich vereinbarten zwei Jahre zu machen?

Fleming: Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht. Wir müssen sehen, wie es mir liegt, wie wir zusammenpassen und ob wir etwas bewirken können. Auf jeden Fall bin ich begeistert von der Möglichkeit, mit diesen Jungs zu arbeiten. Aber einen Termin habe ich mir nicht gesetzt.

Eine Frage müssen Sie aber jetzt noch beantworten: Was macht eigentlich Ihr Kumpel Jim Shields heute?

Fleming: Jimmy ist längst in die USA zurückgekehrt. Er arbeitet jetzt bei General Electric in Schenectady, New York.