New York. .
Stundenlang braten sie in der Sonne, die Hände an der glühend heißen Kamera, bannen hunderte von Tennis-Spielszenen aufs Bild und warten dann auf den letzten Moment – den Jubel des Siegers. Möglichst groß, gaaanz groß. Gemessen an diesen Kriterien machte sich Kei Nishikori nicht viele Freunde bei den Männern und Frauen hinter der Seitenlinie. Keine Pose, kein Schrei, kein gar nichts nach seinem Fünf-Satz-Sieg gegen Stan Wawrinka (3:6, 7:5, 7:6 (9:7), 6:7 (5:7), 6:4); einigermaßen fassungslos machte er sich auf den Weg zum Netz, und der Tross der Fotografen ließ die Kameras sinken. Gute Güte, was für eine Pleite. Aber das war natürlich eine sehr einseitige Sicht der Dinge; Japan war begeistert, und die US Open freuten sich über einen neuen Mann fürs Halbfinale.
Bei Bollettieri ausgebildet
Seit er 2008 bei einem Turnier in Delray Beach an der amerikanischen Ostküste mit 18 den ersten Titel auf der Tour gewonnen hatte, ist Nishikori in seiner Heimat ein Star. Fünf Jahre zuvor hatten ihn die Eltern zu Nick Bollettieri nach Florida geschickt, finanziert von einem der reichsten Männer des Landes aus der Gründerfamilie des Weltkonzerns Sony, Masaiiki Morita. Der Erfolg von Delray Beach schien Morita San und den japanischen Verband zu bestätigen, doch Nishikori tat sich nicht leicht, mit den zum Teil völlig überzogenen Erwartungen seiner Landsleute umzugehen.
Von Anfang an war offensichtlich, dass sein Körper nicht besonders belastbar war. Die Welt des Tennis war zwar überzeugt davon, er habe so viel Talent, dass es für einen Platz unter den Top Ten reichen müsste, aber wegen der Verletzungen dauerte es lange, bis diese Einschätzung Realität wurde.
Einen großen Anteil daran hat jener Mann, der mit seinem Coup 1989 im Achtelfinale der French Open gegen Ivan Lendl zur Legende wurde, Michael Chang. Ende des vergangenen Jahres verpflichtete Nishikoris Agentur IMG Chang als zweiten Coach neben dem Argentinier Dante Bottini, und es sieht so aus, als sei das eine ebenso schlaue Idee gewesen wie die Aufschläge des kleinen chinesischen Amerikaners von unten damals im Spiel gegen Lendl.
Auf die Frage, was denn besser sei bei der Arbeit mit einem so routinierten Coach an der Seite, antwortete Nishikori das Gleiche wie Andy Murray oder Novak Djokovic – ein Spieler, der selbst Titel gewonnen habe, wisse einfach, wie man sich vor großen Spielen fühle.
Viele Verletzungen
Viel hätte nicht gefehlt zu einem spektakulären Sieg im Frühjahr. Im Finale der Madrid Open Mitte Mai spielte er Rafael Nadal zum Entsetzen der spanischen Zuschauer zu Beginn fast an die Wand, und in diesem Satz bestätigte er alles, was ihm je prophezeit worden war. Doch im zweiten wirkte er schon nicht mehr frisch, zu Beginn des dritten Satzes gab er auf, wieder mal verletzt. Der Erfolg brachte ihm allerdings so viele Punkte ein, dass er am Tag danach zum ersten Mal in seiner Karriere und als erster Japaner zu den Top Ten des Tennis gehörte.
Michael Chang sah sichtlich nervös zu, als Kei Nishikori nun im Viertelfinale gegen Stan Wawrinka gewann. Am Anfang feuerte er seinen Mann noch zurückhaltend an, aber je länger die Partie dauerte, desto schwerer fiel es ihm, die Fassung zu bewahren. Am Ende wirkte Nishikori stabiler und stärker als der Schweizer.
Und nun? In Japan wird es Nacht sein, wenn der Sohn der Nation am Samstag im Halbfinale gegen Novak Djokovic spielt – nach zwei Tagen Pause, die die Anstrengungen aus jeweils fünf Sätzen in den beiden Spielen zuvor wohl absorbieren sollten, ebenso die von Novak Djokovic vom Sieg gegen Andy Murray (7:6, 6:7, 6:2, 6:4). Drei Sätze lang erinnerte die Begegnung der beiden wieder mal an einen Schwergewichtskampf, von Murrays Seite mit härteren Schlägen denn je.
Doch in der letzten halben Stunde wurde es immer deutlicher, dass dessen Kräfte schwanden, und so war es wieder Djokovic, der am Ende um Viertel nach eins in der Nacht mit seinem 50. Sieg bei den US Open alles klar machte für das achte Halbfinale in Folge in New York.